Die Recherche ist ein nahezu unantastbarer Kern der Pressefreiheit und so stark geschützt, dass andere Rechtsgüter regelmäßig dahinter zurückstehen müssen. Das BVerwG entschied am Mittwoch, dass es Journalisten deshalb auch erlaubt sein muss, Fotos eines SEK-Einsatzes zu machen. Warum die Beamten dennoch nicht um ihre Anonymität fürchten müssen, erklärt Markus Ruttig.
Eigentlich war es ein Routineeinsatz für die Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei. Sie sollten einen der gewerbsmäßigen Geldwäsche beschuldigten mutmaßlichen Sicherheitschef der so genannten russischen Mafia aus der Untersuchungshaft bei einer Augenarztpraxis in der Schwäbisch Haller Fußgängerzone vorführen. Die zivil gekleideten SEK-Beamten waren zwar unvermummt, aber bewaffnet. Gegen 10.30 Uhr meldeten die Innenkräfte, dass die Untersuchung in ungefähr zehn Minuten abgeschlossen sei.
Dennoch beschäftigte der Einsatz am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), das ein Grundsatzurteil zur Pressefreiheit fällte. Die höchsten Verwaltungsrichter entschieden, dass die Recherche ein nahezu unantastbarerer Kern der Pressefreiheit ist, hinter deren Schutz andere Rechtsgüter regelmäßig zurückstehen. Dass es der Fall bis nach Leipzig schaffte, ist dabei einem Zufall zu verdanken.
Denn nur zufällig entdeckten ein Journalist und ein Volontär den Einsatz des SEK und näherten sich dem Einsatzleiter. Der Fotograf wies sich als Pressevertreter aus und fragte nach Grund und Details des Einsatzes. Als er sich anschickte, Bilder von den Dienstfahrzeugen und den eingesetzten Beamten anzufertigen, forderte der Einsatzleiter ihn auf, das Fotografieren zu unterlassen.
Fotografierverbot ist das letzte Mittel
Die Polizei rechtfertigte das Verbot unter anderem damit, dass die eingesetzten Beamten des SEK durch die Veröffentlichung der Fotos in der Zeitung enttarnt werden könnten. Dadurch wäre es gefährlicher sie bei künftigen SEK-Aktionen einzusetzen und sie selbst hätten persönlich durch Racheakte gefährdet werden können. Die Zeitung berichtete im Folgenden ohne Fotos von dem Kommandoeinsatz, wollte aber gerichtlich geklärt wissen, ob das Verbot rechtens war.
In der ersten Instanz hatte das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart die Klage des Zeitungsverlags gegen das Fotografierverbot noch abgewiesen. Auf die Berufung des Verlags stellte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim aber fest, dass das Verbot des Einsatzleiters rechtswidrig war. Der VGH begründete seine Entscheidung vor allem damit, dass keine Gefahr einer unzulässigen Veröffentlichung der angefertigten Fotografien bestanden habe. Ohne entsprechende Anhaltspunkte habe der Einsatzleiter nicht davon ausgehen dürfen, dass sich die Zeitung rechtswidrig verhalten würde und die Bilder der SEK-Beamten unverpixelt wiedergeben würde (Urt. v. 19.08.2010, Az. 1 S 2266/09).
Diese Einschätzung teilt das BVerwG und betont, dass der Einsatz von Kräften des Spezialeinsatzkommandos im Sinne der einschlägigen Bestimmung des Kunsturhebergesetzes (KUG) ein zeitgeschichtliches Ereignis darstellt, von dem Bilder auch dann veröffentlicht werden dürfen, wenn die abgelichteten Personen nicht zustimmen. Allerdings könne ein berechtigtes Interesse der eingesetzten Beamten dem Abdruck entgegenstehen, wenn die Bilder ohne den erforderlichen Schutz gegen eine Enttarnung der Beamten, also ohne Verpixelung, veröffentlicht werden.
Um die Anonymität der SEK-Einsatzkräfte zu schützen, sei es nicht immer notwendig ein Fotografierverbot auszusprechen. Regelmäßig bestehe zwischen der Anfertigung des Fotos und der Veröffentlichung hinreichend Zeit besteht. Deshalb könne die Polizei den Standpunkt auf andere, die Pressefreiheit stärker wahrende Weise, durchzusetzen. Denn die Aufnahmen hätten auch vorübergehend beschlagnahmt werden können, was gegenüber dem Verbot das mildere Mittel gewesen wäre (Urt. V. 28.3.2012, Az. 1 S 2266/09).
Die bildliche Dokumentation muss erlaubt sein
Auf den ersten Blick mag das Urteil verwundern. Die SEK-Beamten riskieren bei gefährlichen Einsätzen häufig ihre Gesundheit, teilweise sogar ihr. Soll ihr Schutz hinter der Pressefreiheit zurückstehen? Das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Einsatzkräfte sollten Einschnitte in die Freiheit der Berichterstattung doch rechtfertigen können. Immerhin bleibt ein Wortbericht möglich.
Wenn diese von der Verfassung geschützten Rechtsgüter wirklich miteinander in Konflikt gestanden hätten, wäre die Frage eindeutig zu Lasten der Pressefreiheit zu beantworten gewesen.
Aber über eine solche Zuspitzung mussten die Gerichte nicht entscheiden. Im Gegenteil betonen der VGH Baden-Württemberg und auch das BVerwG, dass es rechtwidrig gewesen wäre, Bilder des Einsatzes zu veröffentlichen, welche die SEK-Beamten erkennbar zeigen. Das Schutzbedürfnis der Polizisten gerät also nicht aus dem Blickfeld.
Aber dieser Umstand rechtfertigt nicht die weitgehendste Einschränkung des von der Pressefreiheit geschützten Rechts auf Recherche, zu dem die bildliche Dokumentation gehört. Gegenüber dem Verlag hätte auch nach Abschluss des Einsatzes eingeschritten werden können. Etwa durch eine vorübergehende Beschlagnahme der Aufnahmen.
SEK-Beamte bleiben anonym
Noch bedeutsamer ist die Einschätzung des VGH, dass man der Presse ohne weitere Anhaltspunkte nicht unterstellen darf, sie würde rechtswidrig handeln und unverpixelte Bilder der Beamten veröffentlichen. Ein Fotografierverbot kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass derjenige, der die Lichtbilder herstellt, diese ohne Einwilligung der abgebildeten Personen (§ 22 KUG) und sonstige Rechtfertigungsgründe (§ 23 KUG) veröffentlichen und sich dadurch nach § 33 KUG strafbar machen wird. Daran fehlte es aber.
Auch wenn die Leipziger Richter in dem Fall aus Baden-Württemberg die Pressefreiheit gestärkt haben, werden Beamte der Spezialeinsatzkräfte auch künftig anonym bleiben. Das BVerwG bestätigt, dass die SEK-Beamten ein berechtigtes Interesse nach § 23 Abs. 2 KUG haben, der Verbreitung von Bildnissen, auf denen sie identifizierbar sind, zu verhindern. Ein solches Interesse kann auch die nicht ganz fernliegende Gefährdung von Leben und Gesundheit des Abgebildeten für den Fall der Verbreitung und Veröffentlichung des Bildnisses sein, etwa bei Polizeibeamten oder bei nicht enttarnten V-Leuten.
Mit Blick auf die Gefahr von Racheakten der so genannten Russenmafia bestand diese Gefahr auch hier. Selbst wenn den Spezialeinsatzkräften damit das Recht grundsätzlich zur Seite steht, können und sollten sie für ihre Anonymität, wie auch sonst in brenzligen Situationen, selber sorgen: Die Öffentlichkeit ist an die Bilder von vermummten Beamten gewöhnt.
Der Autor Dr. Markus Ruttig ist Partner und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz bei CBH Rechtsanwälte in Köln und Dozent für Medienrecht an der Fachhochschule Fresenius.
Markus Ruttig, BVerwG stärkt Recht auf Recherche: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5912 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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