Einzelne Airlines lassen ihre Maschinen fliegen, selbst wenn die fast leer sind, weil Fluggäste wegen des Coronavirus massenhaft ausbleiben. Julian Dust zu den rechtlichen Hintergründen einer wirtschaftlichen wie ökologischen Katastrophe.
Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, die im EU-Recht festgelegte Verpflichtung für Fluggesellschaften, fest zugeteilte Zeitnischen an den Flughäfen (sogenannte Slots) auch tatsächlich zu nutzen, vorübergehend zu lockern. Medienberichten zufolge sollen für den Zeitraum vom 1. März 2020 bis 30. Juni 2020 deshalb alle zugeteilten Slots als genutzt angesehen werden – und zwar ganz egal, ob nun tatsächlich Flugzeuge abheben oder nicht. Die Aussetzung dieser Pflicht erfordert ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren, der Vorschlag müsste also noch vom Europäischen Parlament und vom Rat der EU angenommen werden.
"Geisterflüge" mit fast leeren Maschinen sind wirtschaftlich wie ökologisch eine Katastrophe. Einzelne Fluggesellschaften nehmen sie aktuell trotz der wegen des Coronavirus fehlenden Nachfrage in Kauf, weil sie sonst Anrechte auf lukrative Start- und Landezeiten an großen Flughäfen verlieren könnten. Die Nutzung eines Flughafens durch eine Fluggesellschaft erfolgt zwar grundsätzlich auf vertraglicher Basis, unterliegt also der Privatautonomie. An vielen internationalen Flughäfen ist die Nachfrage von Luftfahrtgesellschaften jedoch höher als das Angebot. Die Zuweisung von Slots für Starts und Landungen ist dort entsprechend vollständig reguliert.
Das Vergabeverfahren soll einen transparenten, neutralen und diskriminierungsfreien Wettbewerb schützen. Zuständig für die Vergabe ist der Flughafenkoordinator, der in Deutschland am Frankfurter Flughafen sitzt und Slots einmal pro Flugplanperiode durch Verwaltungsakt zuteilt.
Warum Airlines ihre Slots nicht leichtfertig aufgeben
Das Verfahren zur Slot-Vergabe ist durch EU-Verordnung geregelt. Danach wird ein Pool möglicher Slots gebildet, der von den Kapazitäten des jeweiligen Flughafens abhängt. Luftfahrtunternehmen können beantragen, dass ihnen Zeitnischen aus dem Pool zugewiesen werden. Diese Zeitnischen haben einen überragenden wirtschaftlichen Wert, weil sie Starts und Landungen zu attraktiven Zeiten an wichtigen Flughäfen ermöglichen. In den USA wird deshalb zum Beispiel auch mit Slots gehandelt, nach europäischem Recht ist eine Übertragung von Zeitnischen nur eingeschränkt möglich.
Wesentlich ist, dass innerhalb des Vergabeverfahrens Rechte angestammt werden können. Das heißt, dass Airlines einmal erworbene Zeitnischen nach Ablauf der Flugplanperiode nicht zurückzugeben müssen, wenn sie nachweisen können, dass sie die jeweiligen Zeitnischen zu mindestens 80 Prozent genutzt haben. Diese Regel ist wichtig, weil nur so ein stabiles und verlässliches Flugangebot gewährleistet werden kann.
Wegen der Corona-Krise laufen die Luftfahrtgesellschaften nun Gefahr, dieses Anrecht zu verlieren: Medienberichten zufolge führten mehrere Airlines deshalb zuletzt Leerflüge ganz ohne Passagiere durch, nur um sich die Rechte an attraktiven Zeitnischen zu sichern.
Nun sieht die EU-Verordnung zwar Ausnahmen von der Pflicht vor, Slots bei nicht ausreichender Nutzung zurückgeben zu müssen, zum Beispiel in Fällen höherer Gewalt. Ein europaweiter Einbruch der Nachfrage dürfte aber nicht als Ausnahme zählen.
Höhere Gewalt höchstens bei Flügen nach China und Hongkong
Nach dem Wortlaut der Verordnung sind Slots u.a. dann nicht zurückzugewähren, wenn unvorhersehbare und unvermeidbare Umstände eintreten, auf die das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss hatte und die eine schwerwiegende Störung des Flugbetriebs haben, einschließlich der Abfolge von Zeitnischen.
Laut Medienberichten haben sich die EU-Flughafenkoordinatoren zwar verständigt, dass höhere Gewalt in Bezug auf Flüge nach China und Hongkong angenommen werden kann. Es dürfte aber mit dem Wortlaut unvereinbar sein, den allgemeinen Rückgang der Nachfrage als Störung anzusehen.
Dies hat die missliche Konsequenz, dass der Anreiz insbesondere zu ökologisch katastrophalen Leerflügen bestehen bleibt und Fluggesellschaften zudem je nach Standort und dortiger Ausbreitung des Virus wirtschaftlich ungleich von der Krise betroffen sind.
Der Vorschlag der EU-Kommission zur vorübergehenden Aussetzung der 80-Prozent-Nutzungsregel ist deshalb überzeugend – und vor allem gar nicht so neu: Zuletzt wurde beispielsweise ein entsprechendes Verfahren 2009 als Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise durchgeführt.
Der Autor Dr. Julian Dust, LL. B. ist Mitglied der Forschungsstelle für Unternehmensstrafrecht an der Universität Augsburg und Referendar am Landgericht Frankfurt am Main.
Coronavirus und Luftverkehr: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40877 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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