Staatshilfen in der Coronakrise: Mit der Gieß­kanne und ohne gesetz­liche Grund­lage

Gastbeitrag von Prof. Dr. Martin Burgi

05.05.2020

Die Corona-Hilfen mussten im Krisenmodus erfolgen und waren alternativlos. Allerdings: Auch mit Blick auf künftige Krisen ist im Rahmen des wirtschaftlichen Neustarts der Gesetzgeber gefordert, meint Martin Burgi.

Bereits in den ersten Wochen seit Ausbruch der Corona-Krise haben Bund und Länder bis dahin unvorstellbare Summen für Unternehmen und Unternehmer jeder Branche und Größenkategorie mobilisiert. Die staatlichen Finanzhilfen bildeten von Anfang an – und zu Recht - neben den Maßnahmen des Social Distancing und der Gesundheitsvorsorge den zentralen Baustein des politischen Krisenmanagements. Allein der Bund hat bereits in dieser Phase das größte Haushaltspaket in der Geschichte der Bundesrepublik geschnürt. Es umfasst über alle Bereiche hinweg haushaltswirksame Maßnahmen in Höhe von 353, 3 Milliarden Euro.

Förderzwecke und -voraussetzungen der unternehmensbezogenen Staatshilfen wurden weder in Parlamentsgesetzen noch in Rechtsverordnungen niedergelegt. Vielmehr ergingen in rascher Abfolge Verwaltungsvorschriften (synonym: Richtlinien oder Erlasse), während die Parlamente lediglich mit wenigen Sätzen und Ziffern die Ansätze im jeweiligen Haushaltsgesetz nach oben setzten. Die sonst so strenge Kontrolle durch die EU-Kommission wurde gelockert, teilweise ist das EU-Beihilferecht suspendiert worden. All das belegt die Leistungsfähigkeit und Flexibilität von Politik, Verwaltung (ja, auch hier gibt es systemrelevante Helden) und Verfassungsrecht.

Vorbehalt des Gesetzes

Darf es aber so weitergehen? Mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz vom 27.03.2020 ist immerhin eine erste parlamentarische Grundlegung erfolgt. Sie zielt auf die Überwindung von Liquiditätsengpässen in der Realwirtschaft und soll die Rekapitalisierung am Kapitalmarkt unterstützen, unter anderem durch das Instrument der staatlichen Beteiligung an Unternehmen. Viele Regelungen wurden aus dem Abschnitt über die Stabilisierung der Bankenwirtschaft aus der Zeit der Finanzkrise übernommen.

Aufs Ganze gesehen rächt sich aber nun, dass es in Deutschland noch nie ein Rahmengesetz für die Vergabe von Wirtschaftssubventionen gegeben hat. Subventionsrecht ist weitgehend Exekutivrecht. Die obergerichtliche Rechtsprechung hält die etatmäßige Bereitstellung der erforderlichen Mittel im jeweiligen Haushaltsgesetz, also eine Art Blankoermächtigung an die Wirtschaftsverwaltung für ausreichend. Dies geschieht seit jeher mit der Begründung, dass es nicht um Eingriffe in die Grundrechte, sondern um staatliche Leistungen gehe. Teilweise wird die Wettbewerbsfreiheit bereits aus dem Schutzbereich der Grundrechte herausdefiniert.

Diese Herangehensweise ist fatal: Dimension und Lenkungswirkung staatlicher Finanzhilfen werden dabei völlig unterschätzt. Auch die Verfassungsrechtslehre widmet sich mit größerer Leidenschaft eher dem noch so kurzfristigen Kontaktverbot, das jedenfalls einer ausgefeilten parlamentsgesetzlichen Grundlage bedürfe.

Wesentlichkeitstheorie

Die Corona-Krise gibt jedenfalls endgültig Anlass, diese Sichtweise zu überwinden. Richtigerweise muss die flächenhafte Unterstützung von Gesamtwirtschaft und Unternehmen auf gesetzliche Grundlagen gestellt werden. Denn Subventionspolitik ist Gestaltung und Lenkung, also weit mehr als Haushaltsaufstellung. Selbstverständlich sind hierdurch Grundrechte betroffen, sowohl durch die Lenkungseffekte als auch durch die Differenzierungskriterien. Angesichts der gewaltigen Dimensionen ist überdies absehbar, dass der grundrechtliche Aktionsradius aller durch künftige Sparzwänge eingeschränkt sein wird, und zwar nachhaltig.

Abgesehen davon ist der Vorbehalt des Gesetzes nicht nur grundrechtlich begründet. Nach der sogenannten Wesentlichkeitstheorie müssen alle für die Bürger und das Gemeinwesen grundlegenden Entscheidungen durch den Gesetzgeber getroffen werden. Das ist eine letztlich im Demokratieprinzip begründete Notwendigkeit.

Die Wesentlichkeit bemisst sich nach einer Gleitformel: Je mehr und je stärker der Regelungsimpact, desto eher ist der Gesetzgeber gefordert. Erfolgen Subventionsprogramme im Zusammenwirken von Bund und Ländern, kommen Gesetzesvorbehalte aus dem Finanzverfassungsrecht (zum Beispiel nach Art. 104b Grundgesetz) hinzu, so zuletzt beim Kohlekompromiss.

Übrigens: Werden nicht Subventionen, sondern öffentliche Aufträge an die Wirtschaft vergeben, geschieht dies innerhalb eines gesetzlichen Rahmens und ganz selbstverständlich sind Staatshilfen an sozial Bedürftige (unter ihnen die Empfänger von Kurzarbeitergeld) gesetzlich geregelt.

Neustart-Gesetz für künftige und bestehende Hilfen

Der von Wirtschaftsminister Peter Altmaier angekündigte Plan für einen "Neustart der Wirtschaft" muss demnach innerhalb des Rahmens eines Neustart-Gesetzes entwickelt werden. Das betrifft sowohl die Modifizierung und Erweiterung der bestehenden Hilfen als auch – und vor allem - ein "bedarfsgerechtes Konjunkturprogramm" und ein "langfristiges Fitnessprogramm". Innerhalb ihrer Gesetzgebungskompetenzen gilt Entsprechendes für die Länderebene.

Durchgehend bedarf es einer Vergewisserung über die Fördervoraussetzungen: Dabei werden unter anderem Aspekte wie die Intensität der Betroffenheit oder die Pflicht zur vorrangigen Verwendung eigener Ressourcen eine Rolle spielen. Die Diskussion um eine klimapolitische Neuausrichtung ("Innovations- statt Abwrackprämie") gehört ebenso ins Parlament wie die Frage des Umgangs mit Unternehmen, die Steueroasen nutzen.

Schließlich müssen einzelne Instrumente wie Zuschuss, Kredit, Bürgschaft, oder Unternehmensbeteiligung systematisch abgegrenzt und konditioniert werden. Und die wichtigsten Kontrollpflichten und Sanktionsmaßnahmen sind von der Ebene der Verwaltungsvorschriften auf die des Gesetzes zu befördern.

Handlungsrahmen für künftige Krisen

Parallel (aber mit geringerem Zeitdruck) sollten Rahmenregelungen für das richtige Reagieren in den ersten Wochen einer etwaigen neuen Pandemie (oder verwandten Krise) erarbeitet werden. Hierbei können die soeben gesammelten guten wie schlechten Erfahrungen verwertet werden. Das künftige Krisenmanagement würde dadurch an Transparenz und Legitimation gewinnen und die dann politisch Verantwortlichen könnten sich auf gefestigterem Grund bewegen. Rechtsstaatlichkeit ist ein Gebot für alle Politikfelder. Es verpflichtet dazu, Maß zu halten: Beim Social Distancing, aber auch in der Wirtschaftspolitik.

Schließlich würde mit einem Rahmengesetz für künftige Staatshilfen allen potenziell Betroffenen bereits jetzt deutlicher vor Augen geführt, dass eine neuerliche Hilfe des Staates weder unbegrenzt noch unkonditioniert sein wird. Daher gilt es, die eigenen Anstrengungen für Liquidität und Existenzvorsorge zu erhöhen.

Staatshilfen sind unverzichtbar, aber der Gesetzgeber muss die Gießanordnung festlegen und dosieren. Ein Überbietungswettbewerb der Regierungen, befeuert vom populistischen Wunsch nach Bürokratiefreiheit (= Kontrollfreiheit), wird spätere Kahlschläge per Rasenmäher (um im Gartenbild zu bleiben) unausweichlich werden lassen.

Prof. Dr. Martin Burgi ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2014 bis 2015 war er Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Als Gutachter, Sachverständiger und Prozeßvertreter ist er u.a. für Bundes- und Landesministerien sowie für Wirtschaftsunternehmen und -verbände tätig.

Zitiervorschlag

Staatshilfen in der Coronakrise: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41504 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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