Ab Sonntag dürfen nur noch in kritischen Regionen verschärfte Corona-Regeln, wie z.B. eine Maskenpflicht in Innenräumen gelten. Doch wann liegt ein Hotspot vor? Klären werden das wohl die Verwaltungsgerichte.
Die sog. Hotspot-Regelung des neuen Infektionsschutzgesetzes (IfGS), die den Ländern bei einer bedrohlichen Infektionslage die Anordnung härterer Corona-Maßnahmen ermöglicht, wird in Kürze die Verwaltungsgerichte beschäftigen. In Hamburg haben AfD und FDP bereits rechtliche Schritte angekündigt. Und auch in Mecklenburg-Vorpommern könnte es zu einer gerichtlichen Klärung kommen.*
Ungeachtet hoher Infektionszahlen hatten am 18. März Bundestag und Bundesrat den Weg für ein für ein neues IfSG frei gemacht, dass die meisten Anti-Corona-Maßnahmen beendet. Seit 20. März obliegt nunmehr den Bundesländern die Entscheidung, welche Maßnahmen sie ergreifen, um die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen.
Grundsätzlich sollten die Länder dabei nur noch niedrigschwellige Auflagen anordnen dürfen. So etwa die Maskenpflicht in Krankenhäusern, Dialyse- und Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern, dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie Testpflichten zum Schutz vulnerabler Personen unter anderem in den oben genannten Bereichen, aber auch in Kitas und Schulen. Bundesweit soll auch die Maskenpflicht in Zügen und Flugzeugen erhalten bleiben.
Keine belastbaren Kriterien?
Schärfere Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zu erlassen ist den Ländern nur noch erlaubt, wenn die Infektionslage auf dem Gebiet des Bundeslandes derart bedrohliche Züge angenommen hat, dass eine Hotspot-Regelung greift (§ 28 Abs.8 IfSG). In dem Fall können die betroffenen Gebietskörperschaften erweiterte Schutzvorkehrungen anwenden, etwa Maskenpflicht, Abstandsgebote oder Hygienekonzepte. Voraussetzung ist ein Beschluss des Landesparlaments in Bezug auf die Gebietskörperschaft und die Feststellung der konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage.
Schwellenwerte, ab wann eine Region ein Hotspot ist, sind im Gesetz allerdings nicht beziffert. Generelle Voraussetzung ist, dass eine Überlastung der Klinikkapazitäten droht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte Kriterien genannt, an denen man dies bemessen könne: Wenn Kliniken wegen zu vieler Corona-Patienten oder Personalausfälle die Notfallversorgung nicht mehr leisten könnten, wenn sie planbare Eingriffe absagen oder Patienten in andere Häuser verlegen müssten sowie wenn Vorgaben zu einer Mindestpräsenz von Pflegekräften nicht eingehalten werden könnten.
Hamburg plant nun, das gesamte Land zu einem solchen Hotspot zu erklären. Wie in Mecklenburg-Vorpommern: In Schwerin hat der Landtag bereits beschlossen, dass dort bis zum 27. April weiter strengere Maßnahmen gelten. Die Bürgerschaft in Hamburg will nun am Mittwoch einen entsprechenden Antrag der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen beschließen. "Die Bürgerschaft stellt gemäß § 28a Absatz 8 Satz 1 lfSG fest, dass in der Freien und Hansestadt Hamburg durch eine epidemische Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) die konkrete Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage besteht", heißt es im Drucksachen-Entwurf, der LTO vorliegt.
Hamburg: Hohe Personalausfall in Krankenhäusern
Grund für die Fortgeltung der schärferen Maßnahmen ist u.a. der hohe Personalausfall in den Krankenhäusern. So sei die Anzahl der den Gesundheitsämtern gemeldeten Beschäftigten in Krankenhäusern, die aufgrund einer Absonderung nicht den Dienst ausüben können, zwischen dem 27. Februar 2022 und dem 22. März 2022 von 544 Personen auf 1.194 Personen erheblich angestiegen. Bei einer weiteren Zunahme der Anzahl infizierter Mitarbeitender in den Krankenhäusern in der Freien und Hansestadt Hamburg bestehe die "konkrete Gefahr", dass ein medizinischer Versorgungsengpass auftrete, der nicht mehr kompensiert werden könne.
Der Antrag sieht daher die Fortführung der Maskenpflicht in Innenräumen und im Einzelhandel sowie Maßnahmen für besonders zu schützende Einrichtungen für weitere vier Wochen bis zum 30. April vor. Auch die Beibehaltung der 2G-plus-Regel für Geimpfte oder Genesene mit zusätzlichem negativem Test bei Tanzveranstaltungen soll beibehalten werden. In den Schulen soll die Maskenpflicht ebenfalls generell weiter gelten, allerdings sollen Schüler:innen und Lehrer:innen die Masken an ihren Arbeitsplätzen im Unterricht abnehmen dürfen. Ob die CDU die Entscheidung mitträgt, ist noch offen. Die Linke will zustimmen, dies aber mit weiteren Forderungen an den Senat verbinden, wie Sprecher am Dienstag sagten.
AfD und FDP ziehen vor das VG Hamburg
Empört ob der geplanten Maßnahmen sind dagegen AfD und FDP. Beide haben Klagen bzw. Eilanträge gegen die Verordnung angekündigt, mit denen sich dann bald das VG Hamburg beschäftigen dürfte. Der Senat verlasse den zulässigen Rahmen des IfSG, wenn Hamburg zu einem Corona-Hotspot erklärt werde, erklärte der FDP-Landesvorsitzende Michael Kruse laut dpa. "Vermeintlich hohe Inzidenzen sind keine ausreichende Begründung für das Ausrufen einer Hotspot-Regelung. Auch die Dauerbesorgtheit von Bürgermeister Tschentscher reicht dafür nicht aus." Um Hamburg zum Hotspot zu erklären, müsse eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen. "Dies ist angesichts niedriger Zahlen von Corona-Patienten auf den Hamburger Intensivstationen nicht erkennbar", so Kruse.
In die gleiche Kerbe wie die FDP schlägt auch die Hamburger AfD: Eine weitere Verlängerung der Maskenpflicht und anderer Eindämmungsmaßnahmen mit einer drohenden Überlastung der Krankenhäuser zu begründen, sei falsch, da Hamburg eine der bundesweit niedrigsten Inzidenzen und eine stabile Situation in den Kliniken aufweise, sagte Landesvize Krzysztof Walczak am Dienstag. "Die Krankenhauskapazitäten in Hamburg werden nicht zusammenbrechen, nur weil Kinder außerhalb des Sitzplatzes ihre Masken abnehmen oder
man beim Einkaufen im Supermarkt wieder anderen Menschen ins Gesicht
schauen kann."
Laut RKI betrug die 7-Tage-Inzidenz in Hamburg am Dienstag 1.107,9. Nur in Berlin gab es mit 1.076,5 bundesweit einen noch niedrigeren Wert. Auch die Hospitalisierungsrate (oder "Krankenhaus-Inzidenz") ist in Hamburg im bundesweiten Vergleich mit 3,78 niedrig. Auch hier liegt die Hansestadt knapp vor Berlin (3,22) auf dem vorletzten Platz. Zum Vergleich: Im Hotspot-Bundesland Mecklenburg-Vorpommern liegt die Krankenhaus-Inzidenz bei 17,38.
Grüne und SPD fest entschlossen
Doch ungeachtet dieser Werte halten die Hamburger Regierungsfraktionen SPD und Grüne an ihrem Vorgehen fest: Ohne Zweifel habe sich die Pandemiesituation auch in Hamburg zuletzt vergleichsweise entspannt, sodass richtigerweise die meisten Einschränkungen zurückgenommen wurden, so Lena Zagst, stellvertretende Vorsitzende der Grünen Bürgerschaftsfraktion sowie Sprecherin für Justizpolitik und Verfassung gegenüber LTO. Gleichwohl, so Zagst, führten die Auswirkungen des aktuellen dynamischen Infektionsgeschehens jedoch zu einer erheblichen Belastung der kritischen Infrastruktur und im Gesundheitswesen. "Wir hätten uns daher vom Bund andere Instrumente ohne die zusätzlichen Voraussetzungen des § 28a Abs. 8 IfSG gewünscht", so die Juristin.
Dem angekündigten Rechtsstreit sehe man im Übrigen gelassen entgegen, da die Voraussetzungen des § 28a Abs. 8 IfSG vorlägen. In Hamburg drohe "auf Grund einer besonders hohen Anzahl von Neuinfektionen oder eines besonders starken Anstiegs an Neuinfektionen eine Überlastung der Krankenhauskapazitäten". Die Bewertung, so Zagst, basiere auf einer Gesamtschau der Lage, mit Fokus auf den starken Anstieg der Infektionszahlen seit Anfang März im Zusammenhang mit der Untervariante BA.2 von Omikron, der Situation auf den Intensivstationen sowie die Zunahme der Corona-positiven Patient:innen auf den Normalstationen um rund 76 Prozent in nur drei Wochen. Dazu kämen die hohen Krankenstände unter dem Personal in den Krankenhäusern, die teilweise bis zu 25 Prozent des Personalkörpers ausmachen und zur Verschiebung von elektiven Eingriffen führen. Dirk Kienscherf, Vorsitzender der SPD-Fraktion Hamburg bezeichnete die geplante Hotspot-Regelung als einen "verantwortungsvollen Basisschutz für die nächsten vier Wochen".
Eilanträge auch von Hamburger Bürgern erwartet
Beschäftigen wird sich das VG Hamburg in Kürze allerdings nicht nur mit Klagen von AfD und FDP. Der Berliner Rechtsanwalt Prof. Niko Härting teilte LTO mit, dass seine Kanzlei von mehreren Hamburger Bürgerinnen und Bürgern gebeten wurde, Eilanträge zu stellen, sobald die geplante Hamburger Verordnung vorliegt.
Härting zufolge seien die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Hotspot-Regelung nicht erfüllt: § 28a Abs. 8 IfSG fordere eine "konkrete Gefahr eines sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage", es müsse also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sein, dass es zu einer Überlastung der Krankenhäuser in Hamburg komme.
Hiervon könne aber in Hamburg gerade nicht die Rede sein. Nicht zuletzt habe ein Senatssprecher selber bestätigt, dass man lediglich 'nicht ausschließen' könne, dass sich aus den hohen Infektionszahlen auch mehr Krankenhauspatienten ergeben könnten. "Wenn man etwas 'nicht ausschließen kann' (Wann kann man das schon einmal?), ist es noch lange nicht 'hinreichend wahrscheinlich'", so Härting. Die Feststellung eines "Hotspots" sei nicht in das freie Belieben oder auch Ermessen der Länder gestellt, sondern an bestimmte Kriterien gebunden. "Sind diese Kriterien nicht erfüllt, so ist eine Verordnung, die sich auf § 28a Abs. 8 IfSG stützt, rechtswidrig."
Keine Hotspots in Bayern, BaWü und NRW
Das "heiße Eisen" einer Hotspot-Regelung erst gar nicht anfassen wollen hingegen Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein -Westfalen – trotz deutlich höherer Infektionswerte als in Hamburg.
In Stuttgart verständigte sich die Koalition aus Grünen und CDU am Dienstag darauf, die Hotspot-Regeln nicht anzuwenden. Grün-Schwarz bezweifelt, dass die Regeln vor Gericht standhalten. Das bedeutet, dass von Sonntag an im Ländle keine Masken mehr getragen werden müssen und auch die Zugangsregeln wegfallen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) appellierte an die Menschen im Land, freiwillig in Innenräumen weiter Maske zu tragen. "Damit schützen wir nicht nur die eigene Gesundheit, sondern zeigen auch Solidarität in der Gemeinschaft", teilte der Regierungschef mit.
Ähnlich verfährt auch NRW: Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sieht keinen Spielraum, ganz Nordrhein-Westfalen rechtssicher als Corona-Hotspot auszuweisen und damit mehr Sicherheit zu schaffen. Seine kritische Haltung zu dieser Rechtsauffassung der Bundesregierung sei bekannt, sagte Wüst am Dienstag der dpa in Düsseldorf. Die Bundesregierung habe unlängst wieder unterstrichen, wie hoch die Hürden für solche Schutzmaßnahmen der Länder wären. "Das ist nicht das, was 16 Ministerpräsidenten sich gewünscht haben", kritisierte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz. Nun trage der Bund auch die Verantwortung für die weitere Entwicklung der Pandemie.
Ob es in Brandenburg zu einer Hotspot-Regelung kommen wird, ist noch offen. Nach Auffassung des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Benjamin Raschke solle erst beobachtet werden, wie rechtssicher die Praxis in anderen Ländern sei.
Die Verwaltungsgerichte in Hamburg und Schwerin* dürften daher alsbald Maßstäbe setzen.
Mit Material von dpa
*Ergänzung der Redaktion am 29.03.2022, 16.40 Uhr: Klagen - u.a. von der FDP - wurden inzwischen auch gegen die Hotspot-Regelung in Mecklenburg-Vorpommern angekündigt.
Corona-Maßnahmen in den Ländern: . In: Legal Tribune Online, 29.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47979 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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