Die Coronakrise trifft auch die Baubranche. Vorhaben werden nicht fertig, etwa, weil die Baustelle unter Quarantäne gestellt ist. Ein neueres BGH-Urteil kommt daher wie gerufen. Sebastian Eufinger und Maximilian R. Jahn erläutern.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seiner Entscheidung vom 30.01.2020 die lang umstrittene Frage beantwortet, welchen Inhalt der Entschädigungsanspruch nach § 642 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat (AZ. VII ZR 33/19). Die Entscheidung birgt gerade mit Blick auf die Coronakrise erheblichen Sprengstoff.
Der Besteller ist bei einem Werkvertrag so in den Herstellungsprozess eingebunden, dass es regelmäßig seiner Mitwirkung bedarf. Je nach Vertragsgestaltung muss er Pläne erstellen und Genehmigungen beschaffen. Vor allem aber muss er ein baureifes Grundstück zur Verfügung stellen, da ohne Baustelle zwangsläufig nicht gebaut werden kann.
Unterbleibt eine erforderliche Mitwirkung muss der Unternehmer seine Produktionsmittel, also Personal, Geräte und Kapital weiter leistungsbereit halten, ohne dass er damit auf dieser Baustelle wirtschaftlich tätig sein kann. Für dieses Bereithalten soll er nach § 642 BGB entschädigt werden.
Die Berechnung des Entschädigungsanspruchs war lange umstritten. Mit seiner Entscheidung, die zu Klassikern der Baurechtsprechung zählen wird, bringt der BGH nunmehr Licht ins Dunkel.
Schätzung statt Berechnung
Nach der Grundsatzentscheidung des VII. Zivilsenats (unter neuem Vorsitz) steht dem Unternehmer eine verschuldensunabhängige Entschädigung für die von ihm während des Annahmeverzugs unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel einschließlich Wagnis, Gewinn und allgemeine Geschäftskosten zu. Hiervon ist dasjenige abzuziehen, was er infolge des Annahmeverzugs an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann.
Dabei sieht § 642 BGB keine Berechnung des Entschädigungsanspruchs vor. Vielmehr muss der Tatrichter eine Abwägungsentscheidung treffen, wobei er nach § 287 Zivilprozessordnung zur Schätzung berechtigt ist. Das hat Auswirkungen auf den Prozessvortrag und die diesem zugrunde liegenden baubetrieblichen Gutachten in einer Vielzahl laufender Verfahren.
Der Unternehmer muss dementsprechend – voraussichtlich anhand der Auftragskalkulation – eine Zuordnung der vereinbarten Vergütung zu den unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmitteln vornehmen und darlegen, welche Vergütung er mit diesen Produktionsmitteln während des Annahmeverzugs erwirtschaftet hätte. Eine Erstattung des anteiligen Umsatzes (Allgemeine Geschäftskosten- Unterdeckung, entgangener Gewinn) kommt hingegen – anders als bei einer Kündigung durch den Unternehmer nach § 648 BGB – nicht in Betracht.
Mit Blick auf den anderweitigen Erwerb nimmt der BGH bewusst in Kauf, dass die weitgehend gleichlautende Formulierung in § 642 Abs. 2 BGB und § 648 BGB einen signifikant anderen Inhalt hat.
Bei der Berechnung nach § 648 BGB muss der Unternehmer sich nur Aufträge anrechnen lassen, die er aufgrund der Kündigung annehmen und ausführen konnte. Da Aufträge oft mit ohnehin freien Kapazitäten durchgeführt werden können, ist dies nur bei voller Unternehmensauslastung denkbar. Bei dem Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB geht es nach Auffassung des BGH jedoch darum, ob der Unternehmer durch die in Folge des Annahmeverzugs frei gewordenen Produktionsmittel Einnahmen erzielt hat, unabhängig von der Frage der Auslastung.
Da der Unternehmer als Anspruchssteller die Darlegungs- und Beweislast trägt, muss er auch die Unproduktivität seiner Produktionsmittel nachweisen. Bildlich gesprochen, muss der Unternehmer also ein Video davon fertigen, wie seine Kolonne im Betrieb Karten spielt, um den nicht gegebenen Einsatz der Kolonne auf anderen Baustellen zu dokumentieren.
Ohnehin kann der Besteller einen Entschädigungsanspruch ausschließen, indem er dem Unternehmer eine anderweitige Erwerbsmöglichkeit anbietet.
Entscheidung zu Lasten des Unternehmers
Im Ergebnis gibt es für den Unternehmer in allen Fällen des unverschuldeten Mitwirkungsverzugs, nun keine brauchbare Anspruchsgrundlage (mehr):
Ein Anspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B scheitert an der fehlenden Anordnung des Bestellers und ist nach – ebenfalls neuer BGH-Rechtsprechung – nur auf Ersatz der tatsächlich erforderlichen Kosten gerichtet. Ein Anspruch nach § 6 Abs. 6 VOB/B scheitert in aller Regel am fehlenden Verschulden Bestellers. Ein Anspruch nach § 642 BGB greift zwar durch, wird im Regelfall aber nur einen relativ geringen Ausgleich gewähren.
Dem Unternehmer bleibt damit nur, in Fällen des Annahmeverzugs möglichst schnell den – oft aber risikoreichen – Weg über eine Kündigung zu gehen, falls der Besteller zuvor dem Abschluss einer Kostenübernahmevereinbarung nicht zustimmt.
Anspruch auf Entschädigung in der Coronakrise
Der Coronavirus hat bereits jetzt erhebliche Auswirkungen auf Baustellen. Den Unternehmer treffen derzeit insbesondere Liefer-, Material- und Personalengpässe, die ihm die Arbeit erschwert oder unmöglich macht. Genauso können sich aber Einschränkungen ergeben, die sich auf die erforderliche Mitwirkung des Bestellers auswirken.
Wird die Baustelle unter Quarantäne gestellt, kann der Besteller kein baureifes Grundstück zur Verfügung stellen. Fällt ein Unternehmer aufgrund der vorgenannten Engpässe aus, kann er dem nicht vom Corona Virus betroffenen Folgeunternehmer keine Vorleistung überlassen. Erforderliche Baustellenbesprechungen werden abgesagt, Behörden nehmen Abnahmetermine nicht mehr wahr.
Ob dem Unternehmer in diesen Fällen ein Anspruch nach § 642 BGB zusteht, ist umstritten. Kern des Streits ist die Frage, ob das Vorliegen höherer Gewalt eine Rolle spielt, obwohl § 642 BGB kein Verschulden voraussetzt.
Bislang wurde vom Bund als einem der größten Besteller (Erlass vom 23.3.2020; Az.: 70406/21#1) aber auch von anderen Verbänden wie der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen (BVMB) vertreten, dass es darauf ankommt, ob der Besteller das Risiko zumutbar beeinflussen kann und ob die hindernden Umstände in die Mitwirkungssphäre des Bestellers fallen.
Zur Begründung wird auf eine Entscheidung des BGH (Urt. v. 20.4.2017, Az. VII ZR 194/13) verwiesen, in der eine Mitwirkungspflicht zur Abwehr außergewöhnlich ungünstiger Witterungseinflüsse verneint wurde. Dies jedoch nur, da der Besteller nicht das Schlechtwetterrisiko übernommen hatte und seine Mitwirkungshandlung nicht darin bestand für geeignete Witterungsbedingungen zu sorgen. Die ihm obliegende Mitwirkungshandlung – Bereitstellen des Baugrundstücks – konnte er jedenfalls erbringen.
Hier liegt aber der wesentliche Unterschied zu den Corona-Fällen. Kommt es aufgrund des Coronavirus zu einer behördlichen Anordnung oder dem Ausfall eines Vorunternehmers, kann der Besteller seine geschuldete Mitwirkungshandlung gerade nicht erbringen. Darauf, dass er hierauf keinen Einfluss nehmen kann, kann es nicht ankommen.
Verschuldensunabhängiger Anspruch des Unternehmers
Der Entschädigungsanspruch ist verschuldensunabhängig. Auch in seiner neusten Entscheidung betont der BGH nochmal ausdrücklich, dass § 642 BGB die Verteilung des vertraglichen Risikos regelt, ohne dass eine der Parteien hieran ein Verschulden trifft.
Auch wenn das Urteil vor der Coronakrise gesprochen und erst jetzt veröffentlicht wurde, ist nicht davon auszugehen, dass der BGH dem Anspruch nach § 642 BGB ein Korrektiv hinzufügt, welches Rücksicht auf die Frage der zumutbaren Beeinflussbarkeit nimmt.
Während die Auffassung des BGH eigentlich eine drastische Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 642 BGB zu Lasten des Unternehmers zur Folge hat, dürfte sie ihm im Rahmen der Coronakrise Handlungsspielräume eröffnen.
Der Unternehmer wird nämlich dann, wenn die Mitwirkungshandlung aufgrund des Coronavirus ausbleibt, Ansprüche nach § 642 BGB geltend machen können. Die vom BGH vorgestellten, erheblichen finanziellen Einschränkungen von § 642 BGB dürften sich jedenfalls bezogen auf Personal und Nachunternehmern in der aktuellen Situation kaum auswirken. Schließlich stehen dem Unternehmer aktuell kaum Möglichkeiten für einen anderweitigen Einsatz seines Personals zu Gebote.
Im Ergebnis dürften auf Besteller also erhebliche Ansprüche zukommen. Sie sollten die Zeit daher nutzen, um möglichst zeitnah Abgeltungsvereinbarungen mit ihren Unternehmern zu treffen.
Die Autoren Sebastian Eufinger und Dr. Maximilian R. Jahn sind Rechtsanwälte in der auf das Bau- und Architektenrecht spezialisierten Sozietät Jahn Hettler Rechtsanwälte PartG mbB.
BGH zum Werkvertragsrecht: . In: Legal Tribune Online, 03.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41188 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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