Der zweite Hauptangeklagte gesteht: Er habe sich um alles außer die Technik des Drogenshops gekümmert, diese sei Aufgabe von Maximilian Schmidt gewesen. Doch beschränkte sich "Shiny Flakes" wirklich darauf und wie steht es um sein Vermögen?
Auch der siebte Verhandlungstag im Candylove-Prozess startet mit fast halbstündiger Verzögerung: Der Protagonist dieses Tages fehlt. Dann wird Friedemann G. endlich, wie gewohnt in Begleitung von zwei Wachtmeistern, in Handschellen vorgeführt, nimmt seinen Platz neben seiner Verteidigerin ein und die Verhandlung kann beginnen.
In dem Verfahren vor dem Landgericht (LG) Leipzig (Az. 8 KLs 105 Js 34746/19) sind fünf Männer wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angeklagt, da sie etwa 20 Kilogramm Drogen über einen Onlineshop verschickt haben sollen, darunter der auch als "Kinderzimmer-Dealer" bekannt gewordene Maximilian Schmidt, der noch während der Verbüßung seiner vorangegangenen Haftstrafe wegen des Drogenshops "Shiny Flakes" als Hauptprotagonist einer Netflix-Dokumentation auftrat. Schmidt hatte am 5. Verhandlungstag erstmals eine Tatbeteiligung eingestanden und hierzu am 6. Verhandlungstag Fragen beantwortet.
Bevor es nun zur angekündigten Einlassung des G. kam, erhitzte ein Beschluss des Gerichts die Gemüter der Strafverteidiger. Externe Sachverständige sollen Datenträger des Angeklagten Schmidt entschlüsseln. Schmidts Verteidiger Curt-Matthias Engel trat dem entgegen. Die Begründung: Die Angeklagten seien an einem zügigen Verfahren interessiert, eine Entschlüsselung dauere aber lange. "Wir reden nicht vom Übergang von iPhone4 aufs iPhone13, das sind komplexe Verschlüsselungen. Ich sage Ihnen: Viel Spaß, das wird nichts", so Engel. Ob es Engel möglicherweise nicht allein um den vermeintlich langen Zeitablauf der Auswertung, sondern auch um befürchtete Ergebnisse derselben geht?
Im Ergebnis ließ sich das Gericht jedenfalls darauf ein, dass die beauftragten Sachverständigen eine zeitliche Einschätzung abgeben sollen und man dann weitersehe. Auf das Ansinnen seiner Verteidiger, Schmidt eine Kopie der Datenträger zur Verfügung zu stellen, um so möglicherweise Zeit zu sparen, ging die Kammer nicht ein.
"Strolch" übernahm die Aufgaben in der realen Welt
Was Schmidt in seiner Einlassung gesagt habe, sei im Kern zutreffend, gestand hiernach Friedemann G. Teilweise habe "sein lieber Max aber etwas übertrieben", insbesondere was seine Ängste ihm gegenüber betreffe. Schmidt hatte geschildert, dass G. ihm gegenüber teilweise aggressiv gewesen sei und ihn dies nicht unbeeindruckt gelassen habe.
G. habe Schmidt in der Gemeinschaftsküche im offenen Vollzug kennengelernt und ihn anfangs als überheblich wahrgenommen. Dann hätten sie sich jedoch näher kennengelernt und viel Zeit miteinander verbracht. G. selbst habe Schmidt dann gefragt, ob er die technische Umsetzung des Onlineshops übernehmen würde, ihm selbst fehle jegliches technisches Knowhow. G. habe den Shop schon als ihr gemeinsames Baby betrachtet, Max habe aber deutlich gemacht, dass er lediglich der Mann hinter dem Computer habe sein wollen.
Um den Rest habe G. sich dann gekümmert und alle Aufgaben in der realen Welt übernommen, darunter den Einkauf der Ware. Vieles habe er auf Kommission gekauft. Als die wegen Beihilfe angeklagten Jens M. und Julius M. nicht mehr mitmachten, habe er auch aus seiner eigenen Wohnung heraus "gearbeitet".
Wie steht es um "Shiny Flakes" Vermögen?
Jens M. und Julius M hätten zuvor so wenig wie möglich wissen sollen, sie seien nur für das Verpacken und Verschicken in der Bunkerwohnung angestellt gewesen. Schmidt sei schon krankhaft darauf bedacht gewesen, zu niemand anderem Kontakt zu haben. Dies habe sich aber nicht immer vermeiden lassen, so habe er etwa Jens M. im Auto des G. getroffen. Von diesem unerwarteten Zusammentreffen berichtete Schmidt bereits selbst.
Mit seinem mitangeklagten damaligen Anwalt R. habe er diverse Immobiliengeschäfte geführt und sei während des offenen Vollzugs bei der R-GmbH angestellt gewesen. Er habe zudem versucht, R. zu überreden, eine Wohnung für Schmidt anzumieten. Aufgrund seiner eigenen Beobachtungen sei er davon ausgegangen, dass Schmidt über entsprechendes finanzielles Kapital verfügte, was potenziell für die Immobiliengeschäfte günstig hätte sein können. Er habe ausschließlich Markenklamotten getragen, Markengeschirr verwendet, hochpreisige Bio-Lebensmittel gekauft, sich regelmäßig von einem Taxi abholen lassen und Interesse an einem hochpreisigen Fahrzeug gehabt. Schmidt habe sein etwaiges Vermögen ihm gegenüber jedoch nie bestätigt.
Was wusste der angeklagte Rechtsanwalt R.?
Rechtsanwalt R. habe G. schließlich auch eine Bunkerwohnung vermittelt. Mit der tatsächlichen Nutzung habe R. aber nichts zu tun gehabt. "Ich suggerierte ihm, dass ich die zweite Wohnung bräuchte, um mit angeblichen Frauengeschichten gegenüber meiner Freundin nicht aufzufliegen", so G. in seiner Einlassung. Aus diesem Grund habe R. ihn auch "Strolch" genannt.
Diese Freundin war wohl mittelbar auch der Grund dafür, dass Schmidt von G. als "Hausschwein" und "kleines Kind" bezeichnet wurde. Schmidt habe immer die Süßspeisen seiner damaligen Freundin aus dem gemeinsamen Kühlschrank weggegessen, obwohl diese sich fortlaufend darüber beschwerte. Deshalb habe G. ihn so genannt. An diesem Punkt musste Schmidt dann auch ein Lachen unterdrücken.
Fragen ließ G. anschließend zu. Dabei kam u.a. heraus, dass er den Shop nicht "für lau" betrieben habe, die Erträge aber meilenweit vom Erträumten entfernt gewesen seien. Er habe den Shop gestartet, um innerhalb kurzer Zeit reich zu werden.
Verwertbarkeitsfrage ist erneut Thema
Vor der Mittagspause äußerte sich dann erneut der Anwalt des angeklagten Anwalts R., Andrej Klein und griff die am vorherigen Verhandlungstag geäußerte Auffassung des Gerichts zu der Frage der Verwertbarkeit der Erkenntnisse im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung an. Das LG hatte ausgeführt, dass die Existenz eines Mandatsverhältnisses nicht umfassend jedes Gespräch zwischen einem Rechtsanwalt und einer weiteren Person schütze. Ein Gespräch müsse spezifisch und mit konkretem Mandatsbezug sein, auch wenn dieser nicht eng gezogen werden dürfe.
Diese Auffassung sei schlicht falsch, so Strafverteidiger Klein. Ermittlungspersonen dürften eben nicht bei Gesprächen zwischen Anwalt und Mandant erstmal zuhören und aufzeichnen und müssen nur später löschen, wenn sich für sie ein Mandatsbezug ergebe. Vielmehr müsse die Aufnahme sofort gestoppt werden. Denn es sei ja schließlich die Mandatsanbahnung geschützt, es könne nicht rein auf den Inhalt der Gespräche ankommen. Es liege nicht in der Entscheidungsbefugnis der Ermittler, ob etwas Mandatsbezug hat oder nicht.
Genau so schilderte es dagegen die am Nachmittag als Zeugin geladene Kriminalhauptkommissarin. Rein technisch laufe die Aufzeichnung immer mit, im Nachhinein werde dann über eine Löschung entschieden. Mandantengespräche hätten gelöscht werden müssen, was man wohl auch tat. Klar wurde zudem: Der Anfangsverdacht gegen R. habe sich aus der überwachten Kommunikation zwischen G. und R. gegeben. Ein Thema, bei dem der Saal auf Seiten der Verteidigung lauter und teilweise fast schon erbost wurde, bis der Vorsitzende eine Ermahnung in den Raum feuerte. Es scheint, als bliebe das Thema der Verwertbarkeit nach wie vor die zentrale Rechtsfrage des Prozesses.
Zeugin kehrt bisheriges Rollenbild um
Doch auch ansonsten hatte die Zeugin kein leichtes Spiel und wurde eingehend von allen Seiten befragt. Auch Schmidt wich zum ersten Mal etwas von seiner Ruhe ab, wippte leicht mit den Beinen und zog oft kritisch und fast schon verärgert die Augenbrauen zusammen.
Der mögliche Grund: Die Aussage der Zeugin deckt sich zum Teil nicht mit den Einlassungen von G. und Schmidt. So sei ihrer Einschätzung nach G. im Anstellungsverhältnis bei Schmidt gewesen. G. habe sich Schmidt gebeugt und angepasst und ihm gegenüber irgendwann geäußert, dass er nicht sein Leibeigener sei. Schmidt dagegen hatte behauptet, auf keinen Fall der Chef oder Organisator gewesen zu sein.
Weiterhin sei nach der Zeugin davon auszugehen, dass Schmidt auch eine Bestellung versendet habe. Die Ermittlungsbehörden tätigten verschiedene Testbestellungen, von denen gleich an der ersten die DNA von Schmidt gefunden worden sei. Zudem sei Schmidt während des Zeitraums dieser Bestellung allein in der Wohnung des G. gewesen. Die DNA-Spur könne man sich aber auch damit erklären, dass Schmidt etwa im Rahmen der Einrichtung des Druckers mit dem Adresskleber, an dem die DNA gefunden wurde, in Verbindung kam, so sein Verteidiger Engel.
Warum hat man denn nicht eher zugeschlagen?
Die Frage, warum die Ermittlungsbehörden denn nicht eher zugeschlagen haben, konnte die Zeugin nicht klar beantworten. Dies habe polizeitaktische und tatsächliche Gründe. Gutachten dauerten zum Teil sehr lang. Beispielsweise habe das DNA-Ergebnis Schmidts von der ersten Testbestellung erst vorgelegen, als der Shop bereits abgeschaltet gewesen sei. Kritisch nachgefragt wurde in diesem Zusammenhang auch bei der Aussage, dass die Polizei 50 Sendungen von Candylove in einer Paketstation gefunden, jedoch nur zwei davon beschlagnahmt haben soll. Die anderen Sendungen habe die Polizei einfach ungesehen wieder in Umlauf gegeben. Um keinen Verdacht bei den Angeklagten zu erzeugen, so die Kommissarin sinngemäß.
Der nächste Verhandlungstag ist für den 13. März 2023 terminiert.
Tag 7 bringt weiteres Geständnis im Candylove-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51274 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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