Weil Gemeinden die Zweitwohnungsteuer auf Grundlage alter Zahlen erheben, ist sie rechtswidrig. Eine Übergangsfrist für neue Regelungen gibt es nicht, entschied nun das BVerwG. Kommunen müssen jetzt schnell reagieren, zeigt Dennis Klein.
Wird eine kommunale Abgabensatzung im gerichtlichen Verfahren als rechtswidrig erkannt, darf sie auch nicht übergangsweise als wirksam behandelt werden. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig (Urt. v. 27.11.2019, Az. 9 C 6.18, 9 C 7.18, u. a.).
In den Fällen, die zusammengefasst von den Leipziger Richtern entschieden wurden, geht es um die Zweitwohnungsteuer, die eine örtliche Aufwandsteuer ist. Gemeinden dürfen diese erheben, sofern dies landesrechtlich zugelassen ist und sie entsprechende kommunale Abgabensatzungen erlassen. Steuerlicher Belastungsgrund ist die gesteigerte Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, die durch das Innehaben einer Zweitwohnung neben der Hauptwohnung zum Ausdruck kommt.
Das gesamte Aufkommen durch die Zweitwohnungsteuer beträgt bundesweit rund 110 Millionen Euro. Das ist im Vergleich zu anderen Steuern nicht viel, die Zweitwohnungsteuer ist also eher eine Bagatellsteuer. Das eigentliche Motiv vieler Gemeinden dürfte auch weniger in der Einnahmenerzielung liegen, als vielmehr darin, Steuerpflichtige zu veranlassen, ihren Hauptwohnsitz im Gemeindegebiet anzumelden. Dann winken nämlich höhere Anteile an den Steuermilliarden aus der Einkommensteuer.
Erhebung der Zweitwohnungsteuer basiert auf viel zu alten Zahlen
Das Problem der Zweitwohnungsteuer liegt in ihrer Bemessungsgrundlage. Viele kommunale Zweitwohnungsteuersatzungen knüpfen nämlich an die Wertverhältnissen des Jahres 1964 an. Wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Wertverzerrungen verstößt dies aber gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Absatz 1 GG.
Die Zweitwohnungsteuer teilt insofern das Schicksal der Grundsteuer: Diese knüpfte nämlich ebenfalls an die Wertverhältnisse von 1964 an und wurde 2018 in ihrer damaligen Fassung vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als verfassungswidrig eingestuft.
Der Hintergrund ist, dass ursprünglich für Grundstücke Einheitswerte festgestellt werden sollten, die dann für verschiedene Steuerarten einheitlich als Bewertungsgrundlage hätten herangezogen werden können. Die Einheitsbewertung sämtlicher 35 Millionen Grundstücke in Deutschland stellte sich für die Verwaltung aber als so aufwendig heraus, weswegen sie letztmalig für 1964 vorgenommen wurde. Zwischenzeitlich haben sich die Grundstückswerte weiterentwickelt – und zwar höchst unterschiedlich. Während Grundstücke in Metropolen enorme Wertzuwächse erfuhren, fielen diese in anderen Gegenden bescheidener aus oder waren teilweise sogar negativ. Auch innerhalb von Gemeinden hat es erhebliche Wertverschiebungen gegeben. Da diese jahrzehntelange Entwicklung ignoriert wurde, lag die Gleichheitswidrigkeit quasi auf der Hand.
Die eigentlich als Arbeitserleichterung für die Gemeinden gedachte Anknüpfung an die Einheitswerte erweist sich damit als steuerlicher Bumerang: Über die Anknüpfung an die Einheitsbewertung importieren viele kommunale Abgabensatzungen gewissermaßen die Verfassungswidrigkeit.
Viele Gemeinden hatten zunächst gehofft, dass eine an den Inflationsraten ausgerichtete Wertfortschreibung der Einheitswerte das Problem lösen würde. So hatte 2018 auch noch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, dass eine Hochrechnung der Wertverhältnisse von 1964 anhand von Preisindizes ausreichen würde. Jedenfalls bewege sich dies noch innerhalb des gesetzlichen bzw. kommunalen Regelungsspielraumes.
Diesen Ideen hat allerdings das BVerfG in einer kürzlichen Entscheidung aber ebenfalls eine Absage erteilt. Für zwei bayerische Gemeinden entschied es, dass eine Hochrechnung mit dem Verbraucherpreisindex nicht geeignet sei, die inzwischen aufgetretenen Wertverzerrungen auszugleichen. Denn mit dem Index werden naturgemäß alle Werte einheitlich fortgeschrieben, zwischenzeitliche Wertverzerrungen also ignoriert.
Gemeinden wollten eine Atempause
Bei den jetzt vom BVerwG zu entscheidenden Fällen dreier Gemeinden aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen ging es deshalb auch gar nicht mehr darum, ob die betroffenen Zweitwohnungsteuersatzungen rechtswidrig waren. Daran gab es keinen Zweifel mehr. Die betroffenen Gemeinden kämpften aber noch darum, ihre bisherigen rechtswidrigen Satzungen wenigsten übergangsweise weiter anwenden zu dürfen, bis sie neue verfassungskonforme Regelungen erlassen hätten.
Sie sahen sich darin durch die Tradition des BVerfG bestärkt, das nicht selten eine befristete Fortgeltungsanordnung zu Übergangsfristen bei verfassungswidrigen Steuergesetzen zubilligt. Die Karlsruher Richter nehmen nämlich regelmäßig auf die Haushaltsbelange der öffentlichen Hand Rücksicht, zumal wenn rückwirkend Steuerrückzahlungen im Raum stehen. So hatte es beispielsweise für die Grundsteuer eine Übergangsfrist gebilligt, wenn bis Ende 2019 eine Neuregelung gefunden würde. Die Politik lockte die in Aussicht gestellte Atempause und einigte sich: Nach zähem Ringen hat der Bundestag im Herbst 2019 denn auch einen Reformkompromiss gefunden.
Das Bundesverwaltungsgericht vermochte sich dieser Tradition nun aber nicht anzuschließen. Es erkannte die betroffenen Abgabensatzungen ausnahmslos für rechtswidrig an und billigte den Gemeinden keine Übergangsfrist zu. Recht ist Recht und Unrecht ist Unrecht, wenn man so will.
Gemeinden können Einnahmenausfälle begrenzen
Anders als das BVerfG hat das Bundesverwaltungsgericht auch keine Kompetenz zu einer Fortgeltungsanordnung. Die vorliegenden Anfechtungsklagen der betroffenen Bürger konnte es nur nach den Vorgaben der Verwaltungsgerichtsordnung entscheiden. Danach war es verpflichtet, die angefochtenen Bescheide aufzuheben, soweit diese keine Grundlage in einer rechtmäßigen Satzung finden und deshalb die betroffenen Bürger in ihren Rechten verletzten.
Das ist eine folgerichtige Entscheidung. Sie erhöht den Handlungsdruck auf die Gemeinden, notwendige gesetzliche Anpassungen zeitnah vorzunehmen.
Ein kleines Trostpflaster gab das BVerwG den Gemeinden dann doch noch mit auf den Weg: Betroffen sind nur konkret angefochtene Bescheide. Sofern Zweitwohnungsteuerbescheide bestandskräftig sind, gibt es keine kommunale Verpflichtung, diese von sich aus zu überprüfen und anzupassen. Und die erforderlichen Neufassungen der kommunalen Abgabensatzungen dürfen sogar rückwirkend in Kraft gesetzt werden, sofern das Verschlechterungsverbot für die Steuerpflichtigen beachtet wird. Wenn Gemeinden jetzt schnell reagieren, lassen sich die Einnahmeausfälle also durchaus begrenzen.
Der Autor Prof. Dr. Dennis Klein ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover und zugleich Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Toppenstedt bei Hamburg.
BVerwG zur Zweitwohnungsteuer: . In: Legal Tribune Online, 29.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38977 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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