Wenn Journalisten bei Gerichten die Übersendung von Urteilen beantragen, entsteht häufig Streit darüber, welche Angaben zu anonymisieren sind. Das BVerwG hat jetzt klargestellt, dass die Namen von Richtern, Schöffen, Staatsanwälten und Verteidigern nicht geschwärzt werden dürfen. Und mit einer mündlichen Auskunft muss die Presse sich auch nicht mehr abspeisen lassen, freut sich Martin W. Huff.
Im entschiedenen Fall hat der Kläger, Redakteur der Anwaltsnachrichten Ausländer- und Asylrecht, beim Direktor des Amtsgerichts (AG) Nürtingen beantragt, ihm die Abschrift einer strafgerichtlichen Entscheidung zwecks Publikation in dieser Zeitschrift zu übersenden. Er erhielt eine anonymisierte Kopie des Urteils, in der die Namen der Personen geschwärzt waren, die an dem Verfahren mitgewirkt hatten. Die Berufsrichterin und die Schöffen waren also ebenso wenig erkennbarwie der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Verteidiger oder die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Zwar nannte der Direktor später noch den Namen der Berufsrichterin, lehnte aber weitere Angaben ab.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hat das beklagte Land Baden-Württemberg in der zweiten Instanz verpflichtet, dem Redakteur Auskunft auch über die Namen der Schöffen zu erteilen. Im Übrigen bestätigten die Berufungsrichter aber die Abweisung der Klage: Das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Vertreters der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und der Urkundsbeamtin überwiege das ebenfalls grundrechtlich geschützte Auskunftsrecht der Presse.
Anders nun am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Die Leipziger Richter haben das Amtsgericht dazu verpflichtet, auch den Namen des Staatsanwalts und des Verteidigers mitzuteilen; nur der Name der Urkundsbeamtin habe geschwärzt werden dürfen (BVerwG, Urt. v. 1.10.2014, Az. 6 C 35/13).
Nicht der Staat entscheidet über journalistische Relevanz
Das Persönlichkeitsrecht auch des Staatsanwalts und des Verteidigers muss nach Ansicht der Bundesrichter hinter dem grundrechtlich geschützten Auskunftsinteresse der Presse zurückstehen. Kraft des ihnen übertragenen Amtes beziehungsweise ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege stünden sie bei ihrer Mitwirkung an Gerichtsverfahren im Blickfeld der Öffentlichkeit.
Nur dann, wenn sie, wofür es im entschiedenen Fall keine Anhaltspunkte gab, erhebliche Belästigungen oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit befürchten müssten, könnte ein berechtigtes Interesse daran bestehen, ihre Identität nicht gegenüber der Presse preiszugeben.
Das BVerwG stellt explizit fest, dass das Argument der Vorinstanz nicht trägt, Staatsanwalt und Verteidiger trügen keine unmittelbare Verantwortung für ein Strafurteil und deren Namen hätten daher keinen hinreichenden Informationswert für die Presse. Unabhängig davon, dass Verteidiger und Staatsanwalt auf den gerichtlichen Verfahrensgang Einfluss nehmen können, sei es nicht Sache staatlicher Stellen, sondern der Presse selbst, darüber zu bestimmen, welche Informationen sie unter welchen Aspekten benötigt, um zu einem bestimmten Thema zum Zweck einer möglichen Berichterstattung über Gerichtsverfahren zu recherchieren. "Der Staat hat nicht in eine journalistische Relevanzprüfung einzutreten", teilte der 6. Senat mit.
Enge Ausnahme: Gar keine materielle Bedeutung für das Thema der Recherche
Den Namen der Urkundsbeamtin durfte das AG Nürtingen schwärzen, weil deren personenbezogene Daten erkennbar keine materielle Bedeutung für das Verfahren hätten, begründen die Leipziger Richter die Ausnahme vom Grundsatz.
Im Rahmen der Recherche zu Gerichtsverfahren dürfe die Presse nicht etwa solche personenbezogenen Informationen herausverlangen, die erkennbar gar keine materielle Bedeutung im Zusammenhang mit dem Thema der Recherche und der ins Auge gefassten Berichterstattung haben. Das Persönlichkeitsrecht betroffener Personen müsse nicht hinter dem Auskunftsinteresse der Presse zurückstehen, wenn die Vermutung naheliege, dass das Informationsverlangen in Bezug auf eine bestimmte Person erfolge "ins Blaue" hinein erfolge oder jedenfalls keinen ernsthaften sachlichen Hintergrund habe, so der Senat.
Ausnahmsweise sei eine staatliche Stelle nicht verpflichtet, die angeforderten Informationen herauszugeben, wenn sie deren Herausgabeberechtigt verweigert und die Presse daraufhin nicht zumindest ansatzweise den von ihr zugrunde gelegten Wert dieser Information für ihre Recherche oder die ins Auge gefasste Berichterstattung darlegt.
Allerdings betonen die Bundesrichter auch in diesem Zusammenhang, dass der Maßstab zur Beurteilung dieses Zusammenhangs zur Berichterstattung großzügig sein und der besonderen Funktion wie auch Arbeitsweise der Presse vollauf Rechnung tragen muss.
Journalisten haben einen Anspruch auf Übersendung von Gerichtsentscheidungen
Mit dem Urteil bleibt das BVerwG seiner im Jahr 1997 begründeten Rechtsprechung treu, dass der Inhalt von Gerichtsentscheidungen öffentlich sein muss. In Zukunft müssen die Gerichte die Namen der Verfahrensbeteiligten (Richter, Schöffen, Staatsanwälte und Rechtsanwälte)nennen.
Die Leipziger Richter stärken aber auch Stellung der Medien bei der Anforderung von Gerichtsentscheidungen. So ergibt sich aus dem Urteil eindeutig, dass Pressevertreter überhaupt einen Anspruch auf Zusendung von – wenn auch zum Teil anonymisierten – Entscheidungen haben.
Die Entscheidung beendet also endgültig eine auch in den vergangenen Monaten vor allem in Bayern und Rheinland-Pfalz wieder vermehrt anzutreffende leidige Praxis der Gerichte, die Übersendung von Entscheidungen abzulehnen mit dem Argument, es gebe nur einen presserechtlichen Anspruch auf Auskunft, nicht aber auf deren Übersendung.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LegerlotzLaschet (LLR) in Köln und Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Er bildet seit langem Pressesprecher der Justiz aus.
Martin W. Huff, BVerwG stärkt Rechte der Presse: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13384 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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