Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen ohne zeitliche Höchstgrenze ist unzulässig, so das BVerwG. Es verneinte eine allgemeine Höchstgrenze von 30 Jahren und forderte eine klare gesetzliche Regelung. Das wird Zeit, meint Marco Rietdorf.
Mit Beschluss vom 6. September 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die Verjährungsregelung des Kommunalabgabengesetzes Rheinland-Pfalz (KAG), soweit sie die Erhebung von Erschließungsbeiträgen zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage erlaubt, mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar ist (Beschl. v. 06.09.2018, Az. 9 C 5.17).
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wandte sich der der klagende Mann gegen einen Erschließungsbeitragsbescheid. Er ist Eigentümer mehrerer Grundstücke in einem Gewerbegebiet in Rheinland-Pfalz. Das zugehörige Teilstück der Erschließungsstraße wurde 1986 vierspurig erbaut, die zunächst vorgesehene vierspurige Fortführung wurde 1999 endgültig aufgegeben. Ein zweispuriger Weiterbau erfolgte 2003/2004, doch erst im Jahr 2007 widmete die Gemeinde den Straßenzug in seiner gesamten Länge dem öffentlichen Verkehr. Die Erschließungsbeitragsbescheide, um die gestritten wird, ergingen noch später, nämlich erst im Jahr 2011.
Maßgeblich für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen sind grundsätzlich die Bestimmungen der §§ 127 ff. Baugesetzbuch (BauGB). Voraussetzung für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen sind neben der Erforderlichkeit des Erschließungsaufwands die "endgültige Herstellung" der Erschließungsanlage, eine wirksame Erschließungsbeitragssatzung und eine ordnungsgemäße Widmung. Mangels Regelung im BauGB gelten für das Erschließungsbeitragsrecht die landesabgabenrechtlichen Verjährungsvorschriften. Die Beitragspflichten verjähren in Rheinland-Pfalz gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG in Verbindung mit §§ 169, 170 der Abgabenordnung (AO) in vier Jahren nach Entstehung des Anspruchs.
Wenn es "etwas" länger dauert
Immer wieder misslich wird es, wenn die Widmung der Erschließungsanlage – wie hier – zeitlich weit nach deren technischer Herstellung erfolgt oder erst erheblich später eine wirksame Satzung erlassen wird. Das Entstehen der Beitragspflicht verschiebt sich in diesen Fällen nach hinten, wodurch die Festsetzungsverjährungsfrist faktisch leerläuft. Erschließungsbeiträge können daher mitunter erst Jahrzehnte nach dem Eintritt der Vorteilslage erhoben werden. Der Einwand der Verwirkung greift in der Praxis dann meist nicht, denn die Verwirkung fordert nicht nur, dass seit der Möglichkeit, ein Recht geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung durch die Kommune als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist praktisch nur selten der Fall.
Ein altes Problem, das lange gelöst sein könnte
Diese einseitige Belastung der Beitragsschuldner verstößt nach der Rechtsprechung des BVerfG gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit (Beschl. v. 05.03.2013, Az. 1 BvR 2457/08). Abgaben zum Vorteilsausgleich dürfen hiernach nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtsicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, entschieden die Karlsruher Richter.
Trotz der klaren gerichtlichen Maßgaben passten in der Folgezeit lediglich Bayern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen ihre Verjährungsvorschriften an.
Anknüpfend an die Rechtsprechung des BVerfG forderte das BVerwG bereits im Jahr 2015 die zuständigen Gesetzgeber mit deutlichen Worten auf, ihr Beitragsrecht den Anforderungen des Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit anzupassen. Die Leipziger Richter stellten klar, dass sich jedenfalls für Beiträge, die nach dem KAG erhoben werden, eine Höchstgrenze weder im Wege der Analogie oder vermittelt über den Grundsatz von Treu und Glauben nach der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bestimmen lässt (Urt. v. 15.04.2015, Az. 9 C 19/14).
BVerwG bleibt seiner Linie treu – und holt das BVerfG dazu
Auch in seiner aktuellen Entscheidung beharrt das BVerwG darauf, dass eine zeitliche Höchstgrenze gesetzlich geregelt werden muss. Die zuvor vom Oberverwaltungsgericht angenommene Grenze von 30 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage entspreche diesen Anforderungen nicht. Da zwischen der tatsächlichen Entstehung des Vorteils und dem Erlass der Beitragsbescheide mehr als 10 Jahre liegen, sei es möglich, dass die gebotene gesetzliche Neuregelung eine Beitragserhebung künftig ausschließen wird, so das BVerwG. Das Verfahren sei daher auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Gültigkeit der Verjährungsregelung gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) einzuholen.
Diese Entscheidung ist im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen – und stand auch zu erwarten. Der Regelungsauftrag an die Länder ist nach wie vor eindeutig. Es spricht deshalb alles dafür, dass das BVerfG die aktuelle Rechtslage in Rheinland-Pfalz für verfassungswidrig erklären und dem Gesetzgeber angesichts des ihm zukommenden weiten Gestaltungsspielraums eine Frist zur Neuregelung setzen wird.
Diesem bleibt es überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. Es liegt nahe, eine Verjährungshöchstfrist vorzusehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer für den Schuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt, die mit dem Eintritt der Vorteilslage zu laufen beginnt. Der Gestaltungsspielraum bei der Fristbemessung ist indes groß, verfassungsrechtlich unproblematisch sind Anschlussfristen zwischen 10 und 20 Jahren.
Die Entscheidung des BVerwG hat weitreichende Folgen. Sie betrifft all diejenigen Länder, die – wie Rheinland-Pfalz – keine gesetzliche Höchstgrenze für die Abgabenerhebung normiert haben. Liegt die tatsächliche Entstehung des Vorteils bereits mehr als 10 Jahre zurückliegt, ist eine rechtssichere Beitragserhebung aktuell unmöglich.
Leidtragende des regulatorischen Versagens der Länder sind einmal mehr die Kommunen, die Gefahr laufen, dass eine Beitragserhebung dauerhaft ausscheidet. Die Kommunen tun daher gut daran, sich das Gebot einer zeitnahen Abrechnung in Erinnerung zu rufen und besonders sorgsam bei der Widmung und Satzungserlass der Erschließungen zu sein.
Der Autor Dr. Marco Rietdorf ist Rechtsanwalt & Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Bonn. Als Partner der Kanzlei Redeker Sellner Dahs berät und vertritt er Unternehmen und die öffentliche Hand sowohl in bau- und abgabenrechtlichen als auch in wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Fragen.
BVerwG zur maximalen Frist für Erschließungsbeiträge: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30821 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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