Bundesprüfstelle gegen Rapper: Bushido-Album zu Recht indi­ziert

Gastbeitrag von Felix Hilgert, LL.M.

06.11.2019

Das BVerwG hat der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien den letzten Rest ihres nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraums genommen, und gerade deswegen eine Indizierung bestätigt. Das Urteil erläutert Felix Hilgert.

Die Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) galt früher als Lehrbuchbeispiel für eine Behörde mit einem eigenen Beurteilungsspielraum, der von den Verwaltungsgerichten nicht überprüft werden kann. Begründet wurde dies damit, dass dort nicht Verwaltungsjuristen über die Indizierung entscheiden, sondern ein pluralistisch besetztes Gremium mit Vertretern auch aus Kunst und Kultur, Erziehung und Jugendarbeit. Diese durfte einst also allein feststellen, ob die Tatbestandsmerkmals einer Norm erfüllt sind – das bedeutet der unbestimmte Rechtsbegriff des Beurteilungsspielraumes.

Allerdings sind derartige Beurteilungsspielräume der Verwaltung jenseits richterlicher Kontrolle natürlich verfassungsrechtlich problematisch. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner berühmten Mutzenbacher-Entscheidung (Beschl. v. 27.11.1990, Az. 1 BvR 402/87) schon so gesehen. Ein Medium, mag es auch pornographisch sein, kann nach § 18 Abs. 3 Nr. 2 Jugendschutzgesetz (JuSchG) nicht indiziert werden, wenn es der Kunst dient. Die Feststellung der BPjM, ob ein Werk als Kunst zu beurteilen ist oder nicht, unterliege aber, so das BVerfG, als bloße sachverständige Äußerung des Gremiums voll der gerichtlichen Kontrolle.

Lediglich für die Abwägung zwischen den Belangen der Kunst und den Belangen des Jugendschutzes blieb danach noch das, was in der Kommentarliteratur bisweilen als "Wurmfortsatz des Beurteilungsspielraums" bezeichnet wurde. Diesen letzten verbleibenden Teil hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nunmehr gekappt (Urt. v. 30.10.2019, Az. 6 C 18.18).

Ein Mehr an Befugnissen macht Entscheidung rechtswidrig

Anlass dazu gab ein etwas paradoxer Sachverhalt: Die BPjM hatte im April 2015 ein Album des Rappers Bushido indiziert, weil die Texte der darauf enthaltenen Lieder einen kriminellen Lebenswandel verherrlichen und durchgängig herabwürdigende Äußerungen in Bezug auf Frauen und Homosexuelle in vulgärer Sprache enthalten. Die Belange des Jugendschutzes wögen schwerer als diejenigen der Kunstfreiheit, weil das Album zwar Unterhaltungswert, aber keine gesteigerte künstlerische Bedeutung habe, entschied das Gremium.

Von der entscheidenden Sitzung hatte die Prüfstelle bereits unter anderem die Plattenfirma und Bushido selbst benachrichtigt und darauf hingewiesen, dass weitere Beteiligte an dem Album ebenfalls teilnehmen und sich dort äußern könnten.

In der Sitzung selbst erschienen weder die Plattenfirma noch Bushido – aber er klagte gegen die Indizierung. Ein Kernargument: Nicht alle Texte habe er selbst geschrieben, die Musik nicht selbst komponiert. Die BPjM habe es versäumt, auch den übrigen Textern und den Komponisten die Gelegenheit zu geben, den Kunstcharakter des Albums zu erläutern. Damit sei die Entscheidung fehlerhaft und könne auch im Gerichtsverfahren nicht geheilt werden, weil ja ein Beurteilungsspielraum bestehe, den das Gremium der BPjM selbst wahrnehmen müsse.

Die übrigen Texter und die Komponisten, vom Verwaltungsgericht (VG) Köln beigeladen, haben sich nicht geäußert - und das VG hat die Indizierung bestätigt. Ein Anhörungsmangel sei nicht gegeben, jedenfalls aber geheilt, und die Indizierungsentscheidung materiell rechtmäßig (VG Köln, Urt. v. 02.09.2016, Az. 19 K 3287/15).

Dem ist das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster nicht gefolgt. Bezugnehmend auf ein älteres Urteil des BVerwG entschied es, dass die Bundesprüfstelle grundsätzlich wenigstens die "wesentlichen Beteiligten" an einem Werk anhören müsse, um zu einer auch formell fehlerfreien Entscheidung über seinen künstlerischen Stellenwert zu gelangen. Davon dürfe nur abgesehen werden, wenn die Beteiligten nicht zeitnah zu ermitteln seien (OVG Münster, Urt. v. 16.05.2018, Az. 19 A 2001/16).

Kein Beurteilungsspielraum, keine Anhörungspflicht?

Das BVerwG erteilt der strengen Sicht des OVG dann auch eine Absage (Urt. v. 30.10.2019, Az. 6 C 18.18). Unter Aufgabe der eigenen Rechtsprechung aus der Zeit vor der "Mutzenbacher"-Entscheidung urteilt es nun, dass der Bundesprüfstelle überhaupt kein Beurteilungsspielraum zustehe, sondern die Entscheidung des Gremiums ("nur") eine gerichtlich voll überprüfbare sachverständige Anwendung der Kriterien des Jugendschutzgesetzes (JSchG) darstellt.

Bislang liegt nur die Pressemitteilung des Gerichts vor – aus dieser ergibt sich nicht ganz eindeutig, ob die BPjM die Texter und Komponisten gar nicht hätte anschreiben müssen, oder ob sie es hätte tun müssen und dieser Mangel "nur" im gerichtlichen Verfahren geheilt wurde. Jedenfalls war nach Ansicht des BVerwG hier auch ohne gesondertes Anhörungsschreiben an alle kreativ Beteiligten am Werk eine rechtmäßige sachverständige Äußerung des Gremiums der BPjM zur Kunstqualität möglich, die im Gerichtsverfahren (nur) durch ein anderes Sachverständigengutachten zu erschüttern gewesen wäre. Das sei dem Kläger indes nicht gelungen.

Das Ergebnis mag zunächst nach Niederlage aussehen – die Behörde verliert mit dem Entzug eines Beurteilungsspielraumes nominell einen Teil ihrer Macht. Für die Entscheidungspraxis könnte es aber letztlich von Vorteil sein. Denn die Anforderungen des OVG würden ganz eigene praktische Probleme aufwerfen und könnte einen effektiven Jugendschutz torpedieren. Erscheint es bei einem Musikalbum mit einigen Textern und Komponisten theoretisch noch möglich, alle Beteiligten anzuhören, stößt dies bei Medien wie Filmen und Computerspielen mit potentiell tausenden Beteiligten schnell an seine Grenzen. Verlässliche und praxistaugliche Maßstäbe dafür, wer nun "wesentlich" beteiligt war, fehlen.

Gerichtliche Kontrolle wird einfacher

Natürlich muss die BPjM weiterhin den Urhebern und Anbietern eines Mediums Gelegenheit zur Stellungnahme im Indizierungsverfahren geben (§ 21 Abs. 7 JuSchG), wozu auch eine effektive Benachrichtigung gehört. Es erscheint aber auch im Lichte früherer Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 18.02.1998, Az. 6 C 9.97) praxisgerecht, hierzu primär den auf einem Medium ersichtlichen, kommerziell am Ausgang des Verfahrens direkt interessierten Verwerter anzuschreiben und es diesem zu überlassen, ggf. einzelne weitere Beteiligte zu informieren, sie der BPjM zu nennen, oder deren Input im Rahmen einer eigenen Stellungnahme zu berücksichtigen.

Hierzu kann Anbietern auch nur geraten werden. Die Erfahrung zeigt, dass Missverständnisse hinsichtlich des Inhalts eines Mediums durch eine Teilnahme am Verfahren vermieden werden können, gerade wenn es sich um komplexe oder umfangreiche Medien wie Romane oder Computerspiele handelt, die das Gremium in seiner Prüfsitzung nicht in voller Länge betrachten kann. Und für den Fall, dass die Prüfer in der Bewertung dennoch einmal danebenliegen, ist mit dem vorliegenden Richterspruch auch die gerichtliche Kontrolle einfacher geworden.

Felix Hilgert ist Rechtsanwalt bei Osborne Clarke in Köln und berät Medienanbieter u.a. in allen Fragen des Jugendschutzes.

Kanzlei des Autors

Zitiervorschlag

Bundesprüfstelle gegen Rapper: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38559 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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