Das BVerwG hat das Immobilien-Vorkaufsrecht für Kommunen ausgebremst. Für das nachvollziehbare Ziel des Milieuschutzes war das Vorkaufsrecht schlichtweg das falsche Instrument. Carl-Stephan Schweer erklärt die Gründe.
In Deutschland machen die Städte unterschiedlich intensiven Gebrauch von den Instrumenten des besonderen Städtebaurechts. Ein Beispiel dafür sind Erhaltungssatzungen nach § 172 Baugesetzbuch (BauGB). Ein besonderes Schutzziel dieser Satzung ist die gleichbleibende Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (§ 172 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BauGB), also Milieuschutzsatzungen. In Berlin gilt (Stand Ende 2020) dieser Milieuschutz für fast ein Drittel der Wohnungen. Andere Städte haben von dem Instrument ähnlich viel Gebrauch gemacht.
In Milieuschutzgebieten besteht ein gemeindliches Vorkaufsrecht (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB). Es soll im Interesse des Allgemeinwohls ausgeübt werden, wenn damit das städtebauliche Erhaltungsziel gefördert werden kann. Umgekehrt ist das Vorkaufsrecht nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen, wenn das Grundstück "den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme [entsprechend] bebaut ist und genutzt wird und … keine Missstände" aufweist.
Dieses Vorkaufsrecht ist vor allem in Berlin zunehmend ausgeübt worden, gerade bei bestehenden Gebäuden, um zu verhindern, dass der neue Eigentümer etwa über Sanierungen Mieterhöhungen veranlasst, durch die sich bestehende Bevölkerungsstruktur ändern kann.
Abwendung über 20 Jahre Bindung und Vertragsstrafe
In Berlin ist die Praxis so: Wird ein Grundstück in einem städtebaulichen Erhaltungsgebiet verkauft, bietet der Bezirk dem Erwerber eine Vereinbarung zur Abwendung des Vorkaufsrechts an. Damit soll der Käufer für 20 Jahre – und vertragsstrafenbewehrt – vor allem auf Aufteilung, Modernisierungen und energetische Sanierungen verzichten.
Geht der Erwerber darauf nicht ein, schließt das Bezirksamt aus eben diesem Umstand, dass der Erwerber in der Zukunft Absichten verfolgt, mit denen das Ziel der Erhaltungssatzung beeinträchtigt wird, und übt das Vorkaufsrecht aus – oft zugunsten der Wohnungsbaugesellschaften.
Den Einwand, das Grundstück sei doch gegenwärtig bebaut und an die vorhandene Wohnbevölkerung vermietet, ließen die Berliner Bezirke nicht gelten, § 26 BauGB sei gar nicht anwendbar.
Die Berliner Verwaltungsgerichte (VG Berlin und OVG Berlin-Brandenburg) haben diese Praxis gebilligt: Zwar müsse der Ausschluss des Vorkaufsrechts nach § 26 BauGB beachtet werden, aber die Verweigerung der Abwendungsvereinbarung, der Kaufpreis, die Rechtsform des Erwerbers (auf Gewinnerzielung gerichtete Gesellschaft): All dies führe zu der begründeten Annahme, der Erwerber könne nichts Gutes im Schilde führen.
BVerwG: Es geht um die Gegenwart
Diesem Vorgehen hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nun ein Ende gesetzt (Urt. v. 09.11.2021, Az. 4 C 1.20). Das Gericht wendet § 26 Nr. 4 BauGB mit seinem eindeutigen Wortlaut an und lehnt eine andere Auslegung ab.
In der aufgeheizten Diskussion um Verstaatlichung von Wohnungsbeständen zur Lösung des Mietenproblems ist das ein wohltuender Akt juristischer Hygiene. Danach ist das Vorkaufsrecht ausgeschlossen, wenn das Grundstück gegenwärtig so "bebaut ist und genutzt wird", wie es den Zielen den Städtebaurechts entspricht. Vermutungen über die Zukunft seien vom Gesetz nicht zugelassen, der Wortlaut klar: Der gegenwärtige Zustand zählt.
Literatur: Es geht auch um die Absichten
Damit wird eine juristische Debatte in der Literatur beendet, die sich vor allem um die Frage drehte, ob das Vorkaufsrecht in Erhaltungssatzungen so überhaupt seiner Aufgabe gerecht werden könne. Dort wird argumentiert, sie unterschieden sich von den anderen städtebaulichen Maßnahmen und Instrumenten dadurch, dass es nicht um eine aktive Stadtentwicklungspolitik geht, sondern um das Festhalten an Bestehendem. Daher müssten zwingend die künftigen Nutzungsabsichten eines Erwerbers berücksichtigt werden, auch wenn das im Wortlaut der Vorschrift nicht ordentlich zum Ausdruck gekommen sei.
Entscheidend sei dabei die Eingreifschwelle: Es müsse mehr als eine reine Vermutung für die zweckwidrige Nutzung sprechen, vielmehr eine begründete Annahme geben, die sich auf Tatsachen gründet. Ein sicherer Nachweis der künftigen satzungswidrigen Nutzungsabsicht sei nicht erforderlich.
Ausreichende Anhaltspunkte könnten zum Beispiel der Kaufpreis sein. Verwaltungsgerichte schätzten ein, ob der Kaufpreis wegen seiner Höhe wirtschaftlich nur zu rechtfertigen war, wenn das gekaufte Grundstück anders als bisher genutzt werden sollte. Auch persönliche Anhaltspunkte sollten zählen, wenn der Erwerber schon anderswo durch die Beeinträchtigung von Erhaltungsbelangen auffällig geworden war: Dann sollte gleichsam in einer Umkehrung der Verhältnisse der Käufer den Nachweis dafür erbringen, dass er die Ziele der Erhaltungssatzung nicht beeinträchtigen werde. Nach mancher Äußerung mussten besondere Tatsachen gar nicht erst festgestellt werden, weil Altbaukäufern schon aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung unterstellt werden könne, sie verfolgten erhaltungswidrige Verwertungsabsichten.
BVerwG bleibt auf seiner Linie
All das gilt für das BVerwG allerdings nicht. Und das war absehbar. Das Gericht hatte schon 1993 in einer Entscheidung angedeutet, dass im Konzept des BauGB künftige Nutzungsänderungsabsichten des Erwerbers bei der Ausübung des Vorkaufsrechts keine Rolle spielen dürfen, denn es habe die einzige Sonderregelung des früheren Rechts absichtsvoll nicht übernommen (Beschl. v. 29. 061993, Az. 4 B 100/93). Der Beschluss betraf allerdings (noch) nicht das Vorkaufsrecht in Erhaltungsgebieten. Eine der gewichtigen Stimmen in der juristischen Literatur, der ehemalige Richter am BVerwG Paetow, hatte daher die Ausführungen des Gerichts auch nicht auf das hier erörterte Vorkaufsrecht bezogen.
Es trifft zu: Das städtebauliche Ziel, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten, ist bei Bestandsgebäuden besonders schwer mit Mitteln des BauGB zu erreichen. Denn das Vorkaufsrecht nur dann ausüben zu können, wenn schon im Zeitpunkt der Veräußerung städtebaulich unerwünschte, weil unsoziale Mietsituationen bestehen, ist befremdlich. Was sollte die Gemeinde als neuer Eigentümer dann auch für das Erhaltungsziel tun: Mieten senken? Liegt es im Wohl der Allgemeinheit, wenn dadurch der Kaufpreis völlig unrentabel wird, die Allgemeinheit ihn aber bezahlt hat – für den Mieterschutz von einem Dutzend Mieter, die vorher mehr bezahlt haben? Das ist absurd.
Wo ein Grundstück bereits so genutzt wird, wie es der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung entspricht, ist kein Raum für ein Vorkaufsrecht. Eine Kommunalisierung von Wohnungsbeständen als Selbstzweck oder gar als Mietendämpfungsmaßnahme ist im BauGB nicht vorgesehen. Die Entscheidung des Gerichts gibt dem Vorkaufsrecht wieder seine städtebauliche Funktion.
Kein Schaden für den Milieuschutz
Darunter leidet der Milieuschutz nicht. Die allgemeinen Regelungen auch zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung funktionieren. Baumaßnahmen müssen nämlich besonders genehmigt werden und den Zielen der Erhaltungssatzung entsprechen.
Bei Verdrängungsgefahr in Milieuschutzgebieten wird zum Beispiel nicht genehmigt. Für eine solche reicht es nach der Rechtsprechung schon aus, wenn das Vorhaben zu einer nicht nur geringfügigen Mieterhöhung führen kann, gleichgültig, ob der Eigentümer die Mieten tatsächlich erhöhen will. Es reicht aus, dass er bei der nächsten Neuvermietung eine höhere Miete verlangen kann.
Damit sollen umlagefähige Maßnahmen vermieden und bestehende Mieter nicht verdrängt werden. Natürlich hat auch das eine Kehrseite: Aus Milieuschutzgründen werden die Bestandsgebäude in den Erhaltungsgebieten nicht saniert, obgleich der bei Altbauten besonders notwendig wäre; ältere Bewohner bräuchten Fahrstühle; Wärmedämmung mindert Heizkosten und ist ein Beitrag zum Klimaschutz etc.
Das Vorkaufsrecht ist bei vermieteten Bestandsgebäuden also tatsächlich ungeeignet. Anders liegt es bei unbebauten Grundstücken oder den berühmten Geisterhäusern. Hier liegt ein städtebaulicher Missstand auf der Hand und die Gemeinde sollte bei einer Veräußerung das Vorkaufsrecht möglichst ausüben. Dann kann eine städtische Wohnungsbaugesellschaft neue Wohnungen errichten. Und die Gemeinden sollten Baugebote erlassen. Das ist schwierig, führt aber tatsächlich zu neuem Wohnraum.
Der Autor Carl-Stephan Schweer ist Partner bei Raue. An dem Verfahren vor dem BVerwG war er nicht beteiligt, vertritt aber Eigentümer in anderen Vorkaufangelegenheiten, für die die jetzt ergangene Entscheidung durchaus präjudiziell ist.
BVerwG zu Immobilienverkäufen: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46662 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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