2/2: "Die E-Zigarette ähnelt eher der Tabakzigarette"
LTO: Wieso konnten sie das? Ist der Begriff nicht so eindeutig definiert wie der des Präsentationsarzneimittels?
Voit: Nein, es handelt sich um einen nicht klar umrissenen Tatbestand. Der Wortlaut des Arzneimittelgesetzes (AMG) stellt hier darauf ab, ob das Mittel geeignet ist, physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Während die Begriffe "wiederherstellen" und "korrigieren" auf eine heilende Zielsetzung hindeuten, ist der Begriff "beeinflussen" neutral gehalten.
Deshalb haben die Behörden auch die Auffassung vertreten, dass damit auch Produkte gemeint sind, die ein anderes Ziel als die Heilung verfolgen – wie etwa E-Zigaretten. Das Inhalieren des in ihnen enthaltenen Nikotins beeinflusst natürlich den menschlichen Körper, etwa indem es Blutdruck und Herzschlag erhöht.
LTO: Sie waren schon vor der Entscheidung des BVerwG der Auffassung, dass es zu weit ginge, die E-Zigaretten darunter zu subsumieren. Warum?
Voit: Fasst man den Begriff "beeinflussen" wirklich so weit, so müssten aber auch sehr viele andere Stoffe als Funktionsarzneimittel eingestuft werden. Dies beginnt bei Klebstoffen, die als Schnüffelstoffe verwendet werden können, und reicht bis zu alkoholischen Getränken.
Deshalb liegt es näher, die drei Begriffe im Kontext zu verstehen und generell eine therapeutische Zielsetzung zu verlangen. Zwar ist Nikotin ein pharmakologisch wirksamer Stoff. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ähnelt die E-Zigarette aber wohl eher der Tabakzigarette. Eine therapeutische Eignung und Zweckbestimmung der Liquids sehe ich nicht.
"Den Nutzern ist die Gefahr der Selbstschädigung bekannt"
LTO: Diese Produkte werden ja nicht nur deutschland- sondern europaweit vertrieben. Deckt sich die gefundene Entscheidung mit der Rechtslage auf europäischer Ebene?
Voit: Der EuGH sieht dies in Zusammenhang mit den sogenannten "legal highs" genauso. Es handelt sich bei diesen Stoffen um chemische Substanzen, die eine berauschende Wirkung haben. Häufig werden sie als Kräutertee oder als Badezusatz vertrieben, wobei die Nutzer die Wirkung kennen. In Deutschland haben Behörden und Gerichte diese Produkte als nicht zugelassene Arzneimittel eingestuft und deshalb auch die Straftatbestände des AMG angewendet. Ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte Zweifel an dieser Einordnung und hat die Frage dem EuGH vorgelegt. In seiner Entscheidung hat der EuGH klargestellt, dass ein Stoff eine therapeutische Wirkung haben muss, damit er als Funktionsarzneimittel eingestuft werden kann.
Dies deckt sich auch mit der Neufassung der Europäischen Richtlinie über Tabakprodukte vom 3.4.2014 (Richtlinie 2014/40/EU). Dort werden die E-Zigaretten in Art. 2 Nr. 16 definiert. In den Art. 20 ff. werden dann Vorgaben für das Inverkehrbringen dieser Produkte gemacht, die von den Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2016 umzusetzen sind. Dazu gehören Warnhinweise auf nikotinhaltigen Liquids ebenso wie Höchstmengen an Nikotin. Auch in Deutschland wird es dann also Regelungen geben, die die Verkehrsfähigkeit der E-Zigarette und die Verkaufsmodalitäten festlegen. Auch vor dem Hintergrund kann es nicht sinnvoll sein, sie als nicht zugelassene Arzneimittel einzustufen.
LTO: Befürworten Sie – neben der rechtsdogmatischen Einordnung – das Urteil auch in der Sache?
Voit: Die Einstufung des Gerichts ist auch in der Sache richtig, denn andernfalls wären solche Produkte unabhängig von einer Gesundheitsgefahr verboten. Als nicht zugelassene Arzneimittel wären sie nicht verkehrsfähig und eine Zulassung als Arzneimittel können sie nicht bekommen, weil sie gar keinen medizinischen Nutzen hervorrufen wollen.
Wenn eine Gesundheitsgefahr besteht, kann ein Verbot oder eine Beschränkung für solche Produkte natürlich gerechtfertigt sein. Wenn aber keine oder nur eine geringe und den Nutzern bekannte Gefahr der Selbstschädigung besteht, gibt es für ein Verbot keine Grundlage.
LTO: Herr Professor Voit, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Prof. Dr. Wolfgang Voit ist Sprecher der Forschungsstelle für Pharmarecht an der Philipps-Universität Marburg.
Anne-Christine Herr, BVerwG zu E-Zigaretten: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13880 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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