Die Zigarette ist tot – es lebe die E-Zigarette. In Bars ist sie schon erlaubt. Nun hat das BVerwG entschieden, sie nicht als Arzneimittel einzustufen und entzieht damit den behördlichen Verboten und Warnungen die Grundlage. Richtig so, meint Wolfgang Voit, der zu dieser Frage gutachterlich tätig war. "Dampfer" wissen, dass auch die elektronischen Glimmstengel der Gesundheit nur schaden.
LTO: Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat heute in drei Revisionsverfahren über die elektronische Zigarette (E-Zigarette) entschieden, dass sie nicht als Arzneimittel einzustufen ist (Urt. v. 20.11.2014, Az. 3 C 25.13; 3 C 26.13; 3 C 27.13). In einem der Verfahren haben sie ein Gutachten geschrieben. Können Sie kurz erläutern, worum es in diesem und den anderen Klagen ging?
Voit: Beim Gebrauch der E-Zigarette wird eine in einer Filterkartusche oder einem Tank befindliche und meist niktotinhaltige Flüssigkeit, das sogenannte Liquid, elektrisch erhitzt. Der dabei entstehende Dampf wird inhaliert.
In den Verfahren ging es nun darum, ob die E-Zigaretten unter das Arzneimittelgesetz (AMG) fallen. Dies bejahten das Gesundheitsministerium NRW und die Stadt Köln. Sogar die Bundesregierung hat sich für diese Einstufung ausgesprochen. Auf der Grundlage dieser Einordnung haben Behörden dann den Vertrieb und die Herstellung der Liquids verboten, weil es sich um zulassungspflichtige Arzneimittel handele, die ohne Zulassung auf dem Markt seien.
Hersteller und Händler wurden dann auf das strafrechtlich sanktionierte Verbot hingewiesen, solche Produkte ohne eine Zulassung in den Verkehr zu bringen. Die Stadt Köln hatte dem Inhaber eines Tabakladens sogar den Vertrieb stärkerer nikotinhaltiger Liquids mit dieser Begründung versagt.
Die von den Verboten und Warnungen Betroffenen haben gegen diese Vorgehensweisen der deutschen Verwaltung geklagt. Parallel dazu hatte ein Hersteller Feststellungsklage erhoben, um klären zu lassen, dass E-Zigaretten nicht als Arzneimittel anzusehen sind. In diesem Verfahren hatte ich auch mein Gutachten erstattet.
"Ziel der Hersteller ist nicht die Entwöhnung, sondern die Gewöhnung"
LTO: Wie kann denn eine Behörde ein derartiges Produkt als ein Arzneimittel einstufen? Das leuchtet doch höchstens unter dem Aspekt ein, dass manche Menschen die E-Zigarette zur Raucherentwöhnung verwenden, oder?
Voit: Die Einstufung wäre ja richtig, wenn es um die Raucherentwöhnung geht. Hier könnten nikotinhaltige E-Zigaretten in der Tat therapeutisch wirken.
Die Richter mussten in diesem Fall aber nur über die E-Zigaretten entscheiden, die gerade nicht der Raucherentwöhnung dienen. Damit sind solche gemeint, die zum Teil in Tabakläden, zum Teil auch in eigenen Geschäften als eigenständige Produkte und als Alternative zu den herkömmlichen Tabakzigaretten vertrieben werden. Ziel der Hersteller ist damit gerade nicht die Entwöhnung, sondern die Gewöhnung an den Dampf. Es handelt sich daher um Genussprodukte, die aus Sicht des Herstellers dauerhaft als Alternative zur herkömmlichen Zigarette verwendet werden sollen.
Insofern ist es tatsächlich auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar, wieso man überhaupt auf den Gedanken kommt, darin ein Arzneimittel zu sehen. Tatsächlich entspricht der rechtliche Begriff des Arzneimittels aber nicht dem umgangssprachlichen.
"E-Zigaretten werden als Lifestyle-Produkte verkauft"
LTO: Wie genau definiert man das Arzneimittel denn im AMG?
Voit: Für die Einstufung kommt immer auf das konkrete Produkt mit seiner Zusammensetzung und Zweckbestimmung an. Im europäischen und auch im deutschen Arzneimittelrecht unterscheidet man nämlich zwischen sogenannten Präsentations- und Funktionsarzneimitteln.
Präsentationsarzneimittel sind solche, bei denen der Hersteller durch die Aufmachung oder die Zweckbestimmung eine therapeutische Wirkung in Anspruch nimmt. Dies kann eben bei E-Zigaretten der Fall sein, wenn sie etwa mit dem Hinweis "Zur Raucherentwöhnung" versehen sind.
Werden E-Zigaretten aber als Lifestyle-Produkte verkauft, dann können sie nicht in diese Kategorie eingestuft werden. Das ist heute der Regelfall, denn die Werbung für diese Produkte zielt auf Dauerkunden und auf Dauerkonsum ab.
Die beklagten staatlichen Institutionen haben das Gesetz weit ausgelegt und die E-Zigarette als Funktionsarzneimittel eingestuft.
Anne-Christine Herr, BVerwG zu E-Zigaretten: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13880 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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