BVerfG verhandelt Vaterschaftsanfechtung: Ein Kind, drei Eltern?

von Hasso Suliak

26.09.2023

Ein leiblicher Vater kämpft um sein Recht, auch als rechtlicher Vater anerkannt zu werden. Ob das BVerfG seiner Verfassungsbeschwerde stattgeben wird, ist offen. Nicht ausgeschlossen, dass der Erste Senat den ganz großen Wurf wagt.

Emotionsgeladener Familienstreit am Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Az. 1 BvR 2017/21): Wie LTO bereits ausführlich am Montag berichtet hatte, rügt ein leiblicher Vater per Verfassungsbeschwerde, dass ihm trotz aller Bemühungen die rechtliche Elternschaft zu seinem kleinen Sohn verwehrt wird und er daher in seinem Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verletzt ist. Wie der Erste Senat entscheiden wird, ließ er in der Verhandlung am Dienstag nicht durchblicken, doch deuteten Fragen an Sachverständige darauf hin, dass das Gericht auch mehr als zwei Personen als rechtliche Eltern akzeptieren könnte.

Der Beschwerdeführer, dessen Beziehung zur Kindsmutter kurz nach der Geburt des Kindes in die Brüche ging, hatte sich unmittelbar nach der Trennung nicht nur um den stetigen Umgang mit seinem Sohn, sondern vergeblich auch um die rechtliche Vaterschaft bemüht. Diese garantiert wichtige Mitspracherechte, die das Kind betreffen. Ohne Anerkennung der Vaterschaft gibt es z.B. auch kein (gemeinsames) Sorgerecht.

Dass die Anerkennung des Beschwerdeführers als rechtlicher Vater scheiterte, lag zunächst ganz praktisch daran, dass die Kindsmutter entsprechende Termine vor dem Standesamt platzen ließ und seinem Wunsch nicht zustimmte. Schließlich wandte sie sich wenige Wochen nach der Geburt des Sohnes zudem einem anderen Mann zu, der dann wenig später auch in die Rechtsstellung als rechtlicher Vater einrückte. Der leibliche Vater schaute in die Röhre und musste die Vaterschaft des anderen Mannes gerichtlich anfechten.

Zeitpunkt der sozial-familiären Beziehung zum neuen Partner strittig

Damit scheiterte er letztlich vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg (Beschl. v. 05.08.2021, Az. 8 UF 95/21). Dieses legte die einschlägigen Abs. 2 und 3 des § 1600 BGB, die dem leiblichen Vater ein (begrenztes) Vaterschaftsanfechtungsrecht zubilligen, anders als noch die Vorinstanz zu seinen Ungunsten aus.

Nach § 1600 Abs. 3 steht leiblichen Vätern ein Anfechtungsrecht zu, wenn im "maßgeblichen Zeitpunkt", den das Gesetz aber nicht näher bestimmt, keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater besteht. Umstritten ist in der Rechtsprechung seit Jahren, wann dieser "maßgebliche Zeitpunkt" vorliegt – und ein stückweit auch, welche Qualität die Bindung haben muss.

Reichen ein paar Wochen mit einem Säugling schon aus, um den leiblichen Vater außen vor zu lassen? Muss die Beziehung zwischen Kind und dem "Neuen" bereits bestanden haben, als der leibliche Vater sich erstmals um seine rechtliche Vaterschaft bemühte? Oder genügt als Zeitpunkt zugunsten des neuen Partners vielleicht die letzte mündliche Verhandlung im Anfechtungsprozess?

Im vorliegenden Fall legte sich das OLG Naumburg zu Ungunsten des leiblichen Vaters auf den spätestmöglichen Zeitpunkt fest: Wenn zwischen Kind und dem neuen Partner im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Anfechtungsverfahrens eine sozial-familiäre Beziehung besteht, sei für den leiblichen Vater die Anfechtung "gesperrt". Dabei brachte das OLG allerdings auch ein gewisses Maß an Bedauern zum Ausdruck: Im konkreten Fall habe der leibliche Vater keine Chance gehabt, die rechtliche Vaterstellung für sein Kind einzunehmen. "Dies ist jedoch eine Folge der gesetzlichen Regelung", so das OLG.

Das Gericht verwies dabei auch auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24.03.2021 (BGHZ 223, 239). Deutschlands höchstes Zivilgericht hatte seinerzeit die Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater für unbegründet erklärt, wenn zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz eine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind besteht, auch wenn eine solche zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrages noch nicht vorlag.

Drei Elternteile künftig sorgeberechtigt?

Ob es die aktuelle Rechtslage, wie sie im BGB ausgestaltet ist, nun den leiblichen Vater in seinem Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG verletzt, ließ das BVerfG im Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht durchblicken. Intensiv befasste es sich aber damit, ob sich derartige Konflikte zwischen leiblichen Vätern und einer neuen sozialen Familie des Kindes nicht vielleicht dadurch lösen ließen, dass nicht nur ein Vater, sondern noch ein zweiter als rechtlicher Vater in Betracht kommen könnte. Ein Türöffner zur Mehrelternschaft?

Das Problem dabei wäre: Das BVerfG müsste seine eigene Rechtsprechung von 2003 aufgeben. Damals hatte das Gericht entschieden, dass es im Sinne des Kindeswohls läge, wenn die rechtliche Elternschaft auf zwei Elternteile beschränkt bleibe (Urt. v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96 u. 1 BvR 1724/01).

Ob sich dieses Familienbild nun – 20 Jahre später – ändern könnte? Es wäre wohl eine kleine familienrechtliche Revolution, die nach Ansicht von Verhandlungsbeobachtern nicht gänzlich ausgeschlossen ist. Jedenfalls befragten die Richter:innen des Ersten Senates am Dienstag vor allem die als Sachverständige geladenen Vertreter:innen psychologischer Verbände beharrlich, ob es denn dem Kindeswohl und für die Bindungsfähigkeit von Kindern förderlich wäre, wenn statt zwei künftig drei Elternteile sorgeberechtigt sein würden.

Diese verwiesen in ihren Antworten zwar immer wieder auf eine dünne Forschungslage, erteilten dem Vorschlag aber jedenfalls keine grundsätzliche Absage. Prof. Dr. Anne Sanders vom Deutschen Juristinnenbund (djb) bemerkte jedoch, dass eine derartige Mehrfachelternschaft wohl nur Sinn ergebe, wenn das Verhältnis aller Seiten von Kooperation geprägt sei. Im vorliegenden Fall sei dies aber gerade nicht gegeben. Hier würde z.B. eine Verteilung des Sorgerechts auf drei Schultern neues Konfliktpotential schaffen, dass sicherlich nicht im Kindeswohl läge.

Ein Hauch von Schlammschlacht im BVerfG

Dass der am Dienstag in Karlsruhe verhandelte Fall wohl tatsächlich nicht das beste Beispiel ist, um Modelle neuer Elternschaft zu entwickeln, belegten am Dienstag eindrucksvoll die Prozessparteien selbst: Der Rechtsanwalt von Kindsmutter und rechtlichem Vater, Dirk Siegried, warf der Seite des Beschwerdeführers Falschdarstellungen in der Verfassungsbeschwerde vor. Unter anderem habe dieser im Zeitpunkt der Einleitung des Anfechtungsverfahrens anders als vom leiblichen Vater behauptet, gar keine sozial-familiäre Beziehung zum Kind gepflegt. Dem widersprach die Anwältin des leiblichen Vaters später: Die Kindsmutter und ihr neuer Partner hätten ihren Mandanten bewusst aus dieser Verantwortung gedrängt. In diesen Momenten der Verhandlung fühlte sich wohl mancher der Anwesenden an Schlammschachten vor dem Familiengericht erinnert.

Während sich das BVerfG unterdessen nicht in die Karten schauen ließ, ob und in welchem Umfang es den Fall zum Anlass nehmen wird, um ggf. die Rechtsstellung leiblicher Väter zu verbessern, kündigte die Vertreterin des Bundesministeriums der Justiz (BMJ), Staatssekretärin Dr. Angelika Schlunck, eine weitreichende Abstammungsreform an. Bei dem im Koalitionsvertrag verabredeten Projekt würden u.a. auch Konstellationen wie die des vorliegenden Falles berücksichtigt werden. Im Hinblick auf § 1600 BGB sei es zunächst jedoch u.U. sinnvoll, wenn der Gesetzgeber eine Klarstellung vornehme. Dann vermutlich in dem Sinne, dass leibliche Väter auch in Konstellationen wie diesen die Chance eröffnet wird, rechtlicher Vater zu werden.

Eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird in einigen Monaten erwartet.

Zitiervorschlag

BVerfG verhandelt Vaterschaftsanfechtung: . In: Legal Tribune Online, 26.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52790 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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