Das BVerfG hat im Organstreitverfahren auf Antrag der Fraktion Die Linke bestätigt, dass der Vermittlungsausschuss in der Organisation des Vermittlungsverfahrens nicht umsonst über viel Freiheit verfügt – zu Recht, findet Joachim Wieland.
Jeder Abgeordnete hat aus Art. 38 Grundgesetz (GG) das gleiche Recht zur Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren. Deshalb müssen Ausschüsse und andere Gremien des Parlaments spiegelbildlich zum Plenum zusammengesetzt sein. Auch kleinere Fraktionen haben das Recht auf Mitwirkung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit auch für die Auswahl der 16 Mitglieder des Bundestages im Vermittlungsausschuss gilt (Urt. v. 08.12.2004, Az. 2 BvE 30/2).
Daraus hatte die Fraktion Die Linke im Jahr 2011 den Schluss gezogen, dass sie auch das Recht habe, an Arbeitsgruppen und informellen Gesprächskreisen des Vermittlungsausschusses beteiligt zu werden. Diese Mitwirkung war ihr verweigert worden, als sich Mitglieder des Vermittlungsausschusses auf Einladung von dessen Vorsitzenden in einer Arbeitsgruppe ohne Beteiligung der von der Antragstellerin vorgeschlagenen Abgeordneten in einer Arbeitsgruppe trafen. Die Fraktion Die Linke hatte das vom Ausschuss zu beratende Gesetz über die Erhöhung von sozialrechtlichen Regelbedarfen („Hartz IV“) grundsätzlich abgelehnt. Daraufhin sah die Mehrheit im Vermittlungsausschuss offenbar keinen Sinn darin, eine Vertreterin der Fraktion an der Kompromisssuche zu beteiligen.
Auch an einer informellen Gesprächsrunde durfte eine von der Linken vorgeschlagene Abgeordnete nicht teilnehmen. Das BVerfG hat nun am Dienstag deutlich gemacht, dass der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen nicht für Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses gilt (Urt. v. 22.09.2015, Az. 2 BvE 1/11) und die Fraktion Die Linke daher nicht an den Arbeitsgruppen sowie informellen Gesprächsrunden beteiligt werden musste.
Das Spiegelbild als Regel
Der Grundsatz der demokratischen Repräsentation des Volkes im Parlament setzt voraus, dass nicht nur der Bundestag, sondern auch seine Ausschüsse und Gremien in ihrer Zusammensetzung ein Spiegelbild des Plenums bilden. Nur so ist sichergestellt, dass alle Abgeordneten sich in gleicher Weise an der parlamentarischen Willensbildung beteiligen können. Zwar sind nicht alle Abgeordneten in allen Gremien des Parlaments vertreten.
Der Zusammenschluss in Fraktionen und Gruppen erlaubt ihnen jedoch eine indirekte Mitwirkung durch die Vertreter ihrer parlamentarischen Gruppierung. So können sie ihr Recht durchsetzen, nicht nur an den Entscheidungen des Parlaments teilzunehmen, sondern Gesetze und andere parlamentarische Akte auch gleichberechtigt mit zu beraten. Dieses Recht erstreckt sich auch auf die Auswahl der 16 Mitglieder des Vermittlungsausschusses, die der Bundestag entsendet. Dementsprechend ist die Fraktion Die Linke im Vermittlungsausschuss mit zwei Bundestagsabgeordneten vertreten.
Die Ausnahme
Warum muss die Fraktion dennoch nicht an Arbeitsgruppen und informellen Gesprächsrunden des Vermittlungsausschusses beteiligt werden? Das ergibt sich nach der überzeugenden Ausführung des Urteils des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus der Aufgabe des Vermittlungsausschusses. Er soll einen Kompromiss zwischen Bundestag und Bundesrat finden und Blockaden des Gesetzgebungsverfahrens durch die Mitwirkung von zwei Kammern der Gesetzgebung entgegenwirken, weshalb seine Verhandlungen nicht öffentlich sind.
Die Geschäftsordnung gibt dem Vermittlungsausschuss daher aber auch einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Organisation der Kompromissfindung. Er kann informelle Beratungsgremien wie Arbeitsgruppen und sonstige Gesprächsrunden einrichten. Wenn der Vorsitzende solche Gremien einberuft, sind sie dem Vermittlungsausschuss zuzurechnen. Da im Vermittlungsausschuss neben den Mitgliedern des Bundestags auch Vertreter jedes Bundeslands mitwirken, scheidet aber schon für den Ausschuss selbst eine spiegelbildliche Zusammensetzung zum Parlament aus. Das gilt erst recht für seine Arbeitsgruppen und sonstigen oft informellen Untergruppierungen. An ihnen nehmen nicht selten auch Nichtmitglieder des Ausschusses teil.
Entscheidend ist also nicht die Zusammensetzung der Gremien nach formellen Kriterien, sondern nach Maßgabe der Förderung der Kompromissfähigkeit. Wenn sich ein Kompromissvorschlag abzeichnet, berät ihn der Vermittlungsausschuss selbst. Hier endet die kompromissfördernde Informalität und gilt auf Seiten der Mitglieder des Bundestags wieder das Prinzip der Spiegelbildlichkeit. Durchsetzen werden sich Mitglieder kleiner Oppositionsfraktionen allerdings auch im Ausschuss selbst nicht. Das gilt aber für das Plenum des Parlaments nicht anders.
Entscheidend ist im Vermittlungsverfahren vorrangig, dass ein Kompromiss gefunden wird, der einen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ermöglicht.
Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, Oppositionsfraktion von Arbeitsgruppe ausgeschlossen: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16972 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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