Die Rocker der Hells Angels ziehen mit einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe. Der Prozessvertreter Sönke Gerhold schildert im Interview, warum das verschärfte Verbot ihrer Abzeichen auf Kutten und Motorrädern verfassungswidrig sein soll.
LTO: Herr Gerhold, Sie sind Jura-Professor in Bremen und vertreten die Hells Angels Stuttgart bei ihrer Verfassungsbeschwerde. Gegen was richtet sich der Motorradclub?
Prof. Sönke Gerhold: In dem Rechtsstreit geht es um die Verfassungsmäßigkeit von § 9 und § 20 Vereinsgesetz. Das Gesetz ist im März 2017 neu gefasst worden, und verschärft die Verbote von Vereinskennzeichen – und zwar für alle Hells Angels Charter in Deutschland sowie für alle anderen Motorrad- und Nicht-Motorradvereine, wenn ein sogenannter Schwesterverein verboten worden ist oder künftig verboten wird.
LTO: Welche konkreten Folgen hat die Gesetzesänderung denn speziell für die Rocker der Hells Angels?
Gerhold: Den "Hells-Angels"-Schriftzug, aber auch alle anderen Embleme, die wie der sogenannte "Death Head" eindeutig den Hells Angels zugeordnet werden können, dürfen sie in der Öffentlichkeit nicht mehr zeigen. Tätowierte Mitglieder können nicht mehr ins Schwimmbad oder in die Sauna gehen, ohne dass sie ihre Tätowierung abkleben müssen, und das, obwohl die Tätowierungen zu einer Zeit entstanden sind, in der die Kennzeichen erlaubt waren. Weiter müssen sie und viele andere Mitglieder die Logos auf ihren Motorrädern umlackieren lassen. Das setzt sich fort von der Gürtelschnalle, über die Armbanduhr bis zu Jacken und T-Shirts. Verstoßen sie gegen das Verbot, droht ihnen Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
LTO: Die Gesetzesverschärfung betrifft nicht nur die Hells Angels in den 13 Vereinen, die bislang verboten wurden?
Gerhold: Nein. In Deutschland gibt es zur Zeit 1018 Mitglieder in 67 Vereinen, sogenannten Chartern. Sie alle sind betroffen. Das verfassungsrechtliche Problem ergibt sich dabei auch aus der Art wie die Hells Angels organisiert sind. Es gibt eben keinen Dachverband, das sind alles selbständige Regional- und Ortsvereine.
LTO: Wie war die Rechtslage vorher?
Gerhold: Auf den Kutten der Hells Angels prangt der sogenannte "Death Head", ein geflügelter Totenkopf, das Markenzeichen der Hells Angels weltweit, darüber der Schriftzug "Hells Angels" und darunter dann der jeweilige Orts- oder Regionalzusatz, etwa der Zusatz "Stuttgart". Bislang hatte der BGH klargestellt, dass die Verwendung einer abweichenden Ortsbezeichnung dazu führt, dass man nicht das Kennzeichen eines verbotenen Vereins verwendet und damit straffrei bleibt. Dass also der Hamburger Ableger der Hells Angels seit 1983 verboten ist, änderte nichts daran, dass die Stuttgarter auf ihrem Jackenrücken "Hells Angels" und "Stuttgart" tragen durften. Die Gesetzesverschärfung, gegen die wir jetzt vorgehen, hat zum Ziel, der bisherigen verfassungskonformen Auslegung durch den BGH den Boden zu entziehen.
"Der Gesetzgeber hatte primär die Rocker im Blick."
LTO: Ist die Gesetzesänderung denn ganz speziell auf Motorradclubs wie die Hells Angels oder die Bandidos zugeschnitten, oder wen trifft das noch?
Gerhold: Aus den Protokollen der Gesetzesverhandlungen lässt sich ablesen, dass der Gesetzeber primär die Rocker im Blick hatte. Aber es ist natürlich ein allgemeines Gesetz und kann so beispielsweise auch Fußballvereine und ihre Fangruppen betreffen. Wird etwa eine dieser Fangruppen verboten, dann trifft das Kennzeichenverbot auch den Fußballverein selbst. Ebenfalls gut vorstellbar ist, dass das Gesetz Umweltverbände wie Greenpeace treffen könnte, falls einer ihrer Untervereine verboten wird.
LTO: Wie rechtfertigt der Gesetzgeber denn die Verschärfung?
Gerhold: Einerseits mit dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung – das lässt sich aber normativ nicht im Grundgesetz fassen. Und andererseits mit dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Durchsetzungsmacht des Staates: Ein Bürger könne beim Anblick einer Kutte nicht unterscheiden, ob das jetzt Hells Angels Stuttgart oder verbotene Hamburger sind, und würde dann glauben, dass der Staat sein Vereinsverbot nicht wirksam durchsetze. Auch das ist natürlich kein Verfassungsgut.
LTO: Welche Grundrechte der Rocker sind denn aus Ihrer Sicht betroffen?
Gerhold: Wir rügen unter anderem Eingriffe in Art. 9 GG, die Vereinigungsfreiheit, und in die Eigentumsfreiheit gemäß Art. 14 GG. Das verschärfte Verbot führt dazu, dass die geschützte Marke "Hells Angels" bundesweit nicht mehr geführt werden darf. Das Gesetz sieht außerdem keinerlei Entschädigung oder Übergangsvorschriften vor. Das ist schon ein erheblicher Eingriff. Daneben spielen für uns das Rückwirkungsverbot und die Rechtsschutzgarantie zentrale Rollen.
"Das neue Vereinsgesetz ist für mich klar verfassungswidrig."
LTO: Warum klagen jetzt ausgerechnet die Stuttgarter Hells Angels?
Gerhold: Das müssten Sie die Vereinsmitglieder selbst fragen. Die Stuttgarter haben mich jedenfalls gefragt, ob ich sie im Prozess vertreten möchte, und da ich von der Verfassungswidrigkeit des neuen Vereinsrechts überzeugt bin, habe ich das Mandat übernommen.
LTO: Für Sie macht es also keinen Unterschied, dass Sie nun die Hells Angels vertreten, die der Öffentlichkeit nicht nur als Motorradfreunde, sondern auch wegen krimineller Aktivitäten wie Erpressung, Menschen- und Drogenhandel bekannt sind?
Gerhold: Ich halte es zunächst für meine Aufgabe, dem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen, und das neue Vereinsgesetz ist für mich klar verfassungswidrig. Wäre ein anderes Charter oder ein ganz anderer Verein, also etwa ein Umweltschutzverein auf mich zugekommen, hätte ich das Mandat ebenso übernommen. Zudem kann man nicht von den Verfehlungen einiger auf die gesamte Bewegung der Hells Angels schließen. Da gibt es viele Vorurteile, die ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen kann. Die Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Charter war jedenfalls sehr angenehm und hoch professionell.
LTO: Aber es gibt auch Verurteilungen…
Gerhold: Das kann man ebenfalls nicht verallgemeinern, gerade weil es um ganz viele selbstständige Vereine geht. Ich habe die Führungszeugnisse der Stuttgarter Mitglieder eingesehen, und viele weitere Einblicke erhalten und da muss man sagen, das Stuttgarter Charter ist definitiv keine kriminelle Vereinigung. Auch entsprechende Studien haben gezeigt, dass sich die Verfehlungen anderer Charter nicht auf die Szene als solche übertragen lassen.
"Die Hells Angels verstehen sich selbst als Bruderschaft."
LTO: Sie betonen ja immer die rechtliche Unabhängigkeit der einzelnen Vereine – zugleich soll durch das Abzeichen "Hells Angels" auf den Kutten und Motorrädern ja gerade eine überregionale Zusammengehörigkeit ausgedrückt werden…
Gerhold: Der Gedanke ist überregional. Die Hells Angels verstehen sich selbst als Bruderschaft. Jedem durchreisenden verbrüderten Motorradfahrer wird signalisiert: "Hier bekommst Du Hilfe in allen Lebenslagen." Und Schwestervereine, die sich vollkommen legal verhalten, haben keine Einflussmöglichkeit auf vielleicht kriminelle Bestrebungen in anderen Vereinen. Jeder Verein trifft Entscheidungen für sich, Befehlsstrukturen existieren da nicht.
LTO: Sind die Hells Angels Stuttgart mit ihrer Verfassungsbeschwerde Vorreiter oder gibt es noch andere Motorradclubs, die klagen?
Gerhold: Ich weiß auch noch von einer Verfassungsbeschwerde des Gremium MC und von einer der Bandidos.
LTO: Gehen die rivalisierenden Clubs in dieser Sache bewusst getrennte Wege?
Gerhold: Nein, die Vereine kooperieren und die Verfassungsbeschwerden der Bandidos und der Hells Angels Stuttgart werden auch zusammen eingereicht. Sie sind aber getrennt erarbeitet worden – unter anderem, um den Besonderheiten des jeweiligen Clubs gerecht zu werden.
LTO: Fahren Sie auch Motorrad, Herr Gerhold?
Gerhold: Nein. Und ich trage auch keinerlei Vereinskennzeichen. Ich bin also selbst nicht betroffen.
Markus Sehl, Verfassungsbeschwerde der Hells Angels: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27167 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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