Regelungen, die bestimmte Straftäter zum Tragen von Fußfesseln verpflichten, sind verfassungsgemäß. Das entschied das BVerfG. Dennoch nahm das Gericht den Gesetzgeber in die Pflicht, wie Jörg Kinzig erläutert.
Manchmal benötigen höchstrichterliche Entscheidungen Zeit. Bisweilen sogar erstaunlich viel Zeit. So liegen die Judikate der Gerichte, gegen die sich zwei ehemalige Straftäter mit ihren Verfassungsbeschwerden zur Wehr setzten, mittlerweile fast zehn Jahre zurück. Am Donnerstag veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine 58 Seiten starke Entscheidung, in der das Gericht den Regelungen über die Elektronische Aufenthaltsüberwachung, landläufig auch Fußfessel genannt, eine Verfassungsmäßigkeit attestiert (Beschl. v. 1. 12. 2020, Az.2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12).
Geklagt hatten zwei ehemalige Sexualstraftäter. Der eine von ihnen war in den 90er Jahren unter anderem wegen Mordes und Gefangenenmeuterei zu mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt 20 Jahren Dauer verurteilt worden. Der andere hatte mehrere Vergewaltigungen begangen, die ihm im Jahr 2004 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren einbrachten. Beide standen nach vollständiger Verbüßung ihrer Haftstrafen im Jahr 2011 zur Entlassung an.
Als derartige sogenannte Vollverbüßer trat bei beiden von ihnen die sogenannte Maßregel der Führungsaufsicht ein. Deren Zweck ist es, entlassene Straftäter bei ihrer Resozialisierung zu unterstützen, aber auch für eine angemessene Kontrolle ihres zukünftigen Verhaltens zu sorgen. Dazu dürfen die Vollstreckungsgerichte Weisungen auferlegen. Eine davon ist die Verpflichtung, eine Fußfessel zu tragen. Diese einschneidende Maßnahme hatte der Gesetzgeber erst zu Beginn des Jahres 2011 in Kraft gesetzt. Davon machten Landgericht (LG) und Oberlandesgericht (OLG) Rostock in beiden Fällen Gebrauch. Dagegen wandten sich die Beschwerdeführer an das BVerfG.
Maßnahme mit hoher Eingriffsintensität
Auch wenn der am 1.12.2020 ergangene Beschluss des Zweiten Senats einstimmig gefällt wurde, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Anordnung, eine Fußfessel zu tragen, um eine Maßnahme mit hoher Eingriffsintensität handelt. Das konzediert auch ausdrücklich das BVerfG.
Dementsprechend hatte es gleich eine ganze Batterie von Grundrechten in den Blick zu nehmen. Um nur die wichtigsten zu nennen: Die Menschenwürde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen Ausprägungen als Resozialisierungsgebot und Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht der körperlichen Unversehrtheit, die Berufsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Dabei verneint das Gericht zunächst nachvollziehbar einen Eingriff in den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Zentral ist dabei das Argument, dass eine Fußfessel "nur" den Aufenthaltsort der betreffenden Person übermittelt. Zudem hat der Gesetzgeber eine genaue Ortung innerhalb der Wohnung ausdrücklich untersagt. Auch seien damit weder eine "Rundumüberwachung" noch die Erstellung eines Persönlichkeitsprofils möglich. Außer Acht lässt das Gericht bei dieser Gesamtbetrachtung jedoch die Vielzahl weiterer Weisungen, die einem Probanden der Führungsaufsicht in der Regel zusätzlich aufgegeben werden. Sie reichen im Einzelfall bis zu einer Art mobiler Sicherungsverwahrung.
Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auferlegt
Zentral für die Entscheidung sind die Ausführungen des Gerichts zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hier hatten zwei Studien des Freiburger Max-Planck-Instituts und des Tübinger Instituts für Kriminologie darauf hingewiesen, dass bisher keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorlägen, dass die Fußfesseln tatsächlich zu einer Reduzierung des Rückfallrisikos ihrer Träger beitragen. Insoweit zog sich das Karlsruher Gericht auf die schlichte Behauptung zurück, dass deren Einsatz aber auch nicht als "generell wirkungslos" bezeichnet werden könne.
Erfreulich ist, dass dem Gesetzgeber insoweit eine besondere Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auferlegt wurde. So sei er "verpflichtet, die spezialpräventiven Wirkungen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung empirisch zu beobachten und das gesetzliche Regelungskonzept gegebenenfalls den dabei gewonnenen Erkenntnissen anzupassen". Zudem habe er auch die technischen Rahmenbedingungen im Auge zu behalten.
Auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hat die Entscheidung keine durchgreifenden Probleme gegenüber der Verwendung der Fußfessel. Mit dem Straftatenkatalog, der die Anordnung der Fußfessel regiert, würden "höchstrangige Verfassungswerte" geschützt. Tatsächlich haben fast alle der derzeit 135 Fußfesselträger Gewalt- oder Sexualstraftaten begangen. Ob es aber auch verhältnismäßig ist, dass Drogenstraftäter mit der Fußfessel ausgestattet werden können, thematisiert der Beschluss nicht.
Gericht weicht "Prognoseproblematik" aus
Nach dem gesetzlichen Programm setzt die Verpflichtung zum Tragen einer Fußfessel zudem voraus, dass die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere derartige Katalogstraftaten begehen wird. Diese Anforderung reicht dem BVerfG aus. Wer erhofft hat, dass sich das Gericht mit der Frage auseinandersetzt, ob die dadurch erforderlichen Prognosen überhaupt hinreichend zuverlässig gestellt werden können, wird abermals enttäuscht. Wie schon bei vorangegangenen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung weichen die Richterinnen und Richter der in der Fachliteratur vielerörterten Prognoseproblematik aus. Am Beispiel des einen der beiden Beschwerdeführer: Wie zuverlässig kann bei einem mittlerweile deutlich gealterten Mann, der rund 20 Jahre ununterbrochen im Strafvollzug einsaß, die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten einer bestimmten Art nur einigermaßen zuverlässig prognostiziert werden?
In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass der Gesetzgeber trotz der auch vom BVerfG betonten Eingriffsintensität der Fußfessel bis jetzt nicht verlangt, vor ihrer Anordnung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Das Gericht erörtert diese Problematik unter dem Prozessgrundrecht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Eine derartige Verpflichtung zu etablieren, halten die Richterinnen und Richter jedoch nicht für erforderlich. Insoweit genüge die Amtsaufklärungspflicht des Strafprozessrechts.
Dass diese Zurückhaltung schnell an Grenzen stoßen kann, zeigt der Fall eines der beiden Beschwerdeführer. Hier stammte das letzte "nervenfachärztliche Gutachten" aus dem Jahr 1991 (!), lag also zum Entscheidungszeitpunkt mehr als 20 Jahre zurück. Das erscheine dennoch, so das BVerfG, "verfassungsrechtlich noch hinnehmbar".
Kein Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot
Auch verstoße die Pflicht, eine Fußfessel zu tragen, nicht gegen das Resozialisierungsgebot. Dabei stellt Karlsruhe durchaus in Rechnung, dass das Tragen einer Fußfessel insbesondere bei der Aufnahme intimer Kontakte hinderlich sein kann. Doch seien auch diese Einschränkungen aufgrund des beabsichtigten Schutzes der erwähnten hochrangigen Rechtsgüter gerechtfertigt.
Dafür, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verletzt wird, hatte bereits der Gesetzgeber durch umfangreiche Erhebungs- und Verwendungsvorschriften gesorgt. Ihnen wird nachvollziehbar eine Unbedenklichkeit attestiert.
Dass – wie ebenfalls die genannten empirischen Untersuchungen ergeben haben – das Tragen einer Fußfessel zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen und bei der Ausübung eines Berufes hinderlich sein kann, sieht das BVerfG ebenfalls. Doch hat das Gericht auch dagegen wegen der mit dieser Maßnahme avisierten Zielgruppe nichts zu erinnern.
Zahl der Fußfesselträger deutlich gestiegen
Die Entscheidung befasst sich nur mit der Zulässigkeit der Fußfessel im Rahmen der Führungsaufsicht. Ob es auch präventivpolizeilich, etwa bei Gefährdern, zulässig ist, sich dieses Instruments zu bedienen, hat das Gericht nicht erörtert.
In der letzten Zeit ist die Zahl der Fußfesselträger deutlich angestiegen. Dies sollte der Gesetzgeber im Rahmen seiner nunmehr vom BVerfG auferlegten Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht im Auge behalten.
Nichts wissen wir über die beiden Beschwerdeführer. Ob sie wohl immer noch mit einer Fußfessel durch die Gegend laufen (müssen)?
Prof. Dr. Jörg Kinzig ist Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen und Autor des jüngst im Orell Füssli Verlag erschienenen Buches "Noch im Namen des Volkes? Über Verbrechen und Strafe".
BVerfG zur elektronischen Fußfessel: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44196 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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