Die Erhöhung der Parteienfinanzierung aus dem Jahr 2018 ist verfassungswidrig. Auch künftige Vorhaben muss der Gesetzgeber besser begründen – und das schon im Gesetzgebungsverfahren, erklärt Sebastian Roßner.
Im Juli 2018 verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der damals regierenden großen Koalition das "Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze" (PartGuaÄndG 18), das in Art. 1 die Erhöhung der sogenannten absoluten Obergrenze der Parteienfinanzierung in einem großen Sprung von 165 auf 190 Millionen Euro vorsah. Diese Erhöhung war – so urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Dienstag (Urt. v. 24.01.2023, Az. 2 BvF 2/18) – verfassungswidrig.
Sie verstoße gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit der politischen Parteien und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die das Gericht 1992 in seinem zweiten Parteienfinanzierungsurteil (Urt. v. 9. April 1992, Az. 2 BvE 2/89) gemacht hatte.
Die Gründe des Gerichts in der aktuellen Entscheidung haben allerdings eine besondere Pointe, denn tragend ist, dass der Gesetzgeber sein Vorgehen nicht hinreichend begründet hat. Diese Begründungspflicht hat das Gericht mit neuartigen Akzenten versehen, was den Zeitpunkt einer Begründung angeht.
Parteien dürfen nicht vom Staat abhängig werden
Nach der wegweisenden Entscheidung aus dem Jahr 1992 ist eine allgemeine staatliche Parteienfinanzierung zwar zulässig, darf aber wegen des Grundsatzes der Staatsfreiheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht dazu führen, dass die Parteien vom Staat abhängig werden. Dahinter steht die vom GG vorgegebene Zweckbestimmung der Parteien, nämlich Werkzeuge der Bürger zu sein, um den Staat demokratisch zu lenken.
Um den Gegensatz zwischen staatlicher Finanzierung und Staatsferne der Parteien aufzulösen, dürfe die staatliche Parteienfinanzierung, so die Karlsruher Richter seinerzeit, immer nur eine Teilfinanzierung sein. Dazu ersann das BVerfG zwei Grenzen: Die relative Obergrenze besagt, dass eine Partei nicht mehr Geld aus dem Staatssäckel erhalten darf, als sie aus eigener Kraft an Geld einwirbt. Diese bleibt damit auf die Unterstützung der Bürger angewiesen.
Absolute Obergrenze: Der Staat ist kein Selbstbedienungsladen
Die absolute Obergrenze limitiert die Summe, die der Staat insgesamt, das heißt für die Finanzierung aller politischer Parteien zusammengenommen, aufwenden darf. Sie soll einen sparsamen Einsatz der öffentlichen Mittel garantieren und dem Eindruck entgegenwirken, der Staat sei für die Parteien ein Selbstbedienungsladen. Deshalb werden die jeweiligen Subventionen anteilig gekürzt, sobald die Summe der Finanzierungsansprüche der Parteien – unter Berücksichtigung der relativen Obergrenze – die absolute Grenze erreicht.
Die absolute Obergrenze wurde 1994 auf 230 Millionen DM festgesetzt und danach mehrfach erhöht, seit 2013 angelehnt an einen eigens für die Parteien definierten Preisindex gemäß § 18 Abs. 2 Parteiengesetz. Die absolute Obergrenze hätte demnach im Jahr 2018 eigentlich bei etwa 165 Millionen Euro liegen müssen. Für den Fall, dass sich "die Verhältnisse einschneidend geändert haben", ließ das BVerfG in seinem Urteil aus dem Jahr 1992 aber ausdrücklich auch eine "außergewöhnliche Erhöhung der absoluten Obergrenze" zu.
Dass 2018 eine solche einschneidende Veränderung der Verhältnisse gegeben war, wurde in der Gesetzesbegründung zwar vorgetragen, von den Abgeordneten von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, die einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle gestellt hatten, aber bezweifelt.
BVerfG: Sachfremde Motive des Gesetzgebers?
Zwei der vier Gründe, die der Gesetzgeber für eine außerplanmäßige Erhöhung der absoluten Finanzierungsgrenze angeführt hatte, verwarf das Gericht. Es ließ sich nicht von dem angeblich erhöhten Aufwand überzeugen, der anfalle, um die Transparenz- und Rechenschaftspflichten zu erfüllen. Vor allem folgte das Gericht nicht der Argumentation, die absolute Obergrenze müsse angehoben werden, damit die nach der relativen Obergrenze bestehenden Ansprüche nicht gekürzt würden.
Das letztere Argument ist eine gedankliche Zumutung: Wozu dienen Finanzierungsgrenzen, wenn nicht dazu, die Finanzierung zu begrenzen? Außerdem führte es dazu, dass das BVerfG dem Gesetzgeber ausdrücklich ein sachfremdes Motiv unterstellt hat, nämlich, er habe sich bei der Erhöhung der absoluten Obergrenze primär an dem orientiert, was nach der relativen Obergrenze an Subventionen möglich ist.
Die beiden anderen in der Gesetzesbegründung angeführten Gründe für eine "einschneidende Veränderung der Verhältnisse" betrafen erhöhte Kosten, die den Parteien entstanden seien: Zum einen, weil die internen Abläufe digitalisiert werden mussten und zum anderen, weil vermehrt teure Mitgliederentscheide und -befragungen durchgeführt wurden. Diese Argumente ließ das Gericht gelten, jedoch nur dem Grunde nach.
Prozeduralisierungsgebot verletzt
Hier wird es juristisch sehr interessant, denn das BVerfG hat Art. 1 des PartGuaÄndG 18 eben nicht gekippt, weil es materiell, also hinsichtlich des Finanzierungsbedarfs, zu einem anderen Ergebnis als der Gesetzgeber gekommen wäre. Vielmehr billigt es der Legislative einen erheblichen Einschätzungsspielraum zu, wieviel Geld die Parteien benötigen, um auch vor dem Hintergrund einschneidender Veränderungen ihre verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen.
Aber den Gesetzgeber trifft dabei, so das Gericht, ein Prozeduralisierungsgebot. Das heißt im Kern, er hat seine Einschätzungen eingehend und nachvollziehbar zu begründen, und zwar im Gesetzgebungsverfahren selbst, damit dieser Zwang zur Rationalisierung den Inhalt des Gesetzes noch beeinflussen kann.
Daran, so das Gericht, fehlte es im parlamentarischen Verfahren zu Art. 1 PartGuaÄndG 18. Im gerichtlichen Verfahren hatte die Bundesregierung zwar einige Erwägungen und Gründe nachgeschoben, etwa zu den gestiegenen Ausgaben für das Plakatieren sowie veränderte Kosten durch die Digitalisierung. Dies genügte den Anforderungen nicht, weil es eben zu spät erfolgte, um sich noch auf das Gesetzgebungsverfahren auswirken zu können.
BVerfG gibt Kontrolle des Gesetzgebers nicht ganz aus der Hand
Die mit diesem Urteil präzisierte Figur eines Prozeduralisierungsgebotes wird voraussichtlich für Gesetzgebungsvorhaben, in denen dem Gesetzgeber ein erheblicher Einschätzungsspielraum zukommt, wie er verfassungsrechtliche Pflichten erfüllen will, noch einige Bedeutung erlangen: Seine Entscheidungen müssen nicht nur begründbar sein, sondern er muss sie bereits im legislativen Verfahren auch in nachvollziehbarer Weise begründet haben.
Beobachtungs- und Begründungspflichten sind für Eingriffe in Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte, zum Beispiel in die Gleichheit der Wahl (etwa BVerfG, Urt. v. 13.02.2008, Az. 2 BvK 1/07 oder BVerfG, Urt. v. 09.11.2011, Az. 2 BvC 4, 6, 8/10), bekannt. Hinzukommt nun eine Pflicht zu einem rationalen Gesetzgebungsverfahren, die nicht mehr eng daran gebunden ist, dass subjektive Rechte durch das Gesetzesvorhaben beeinträchtigt werden.
Das Prozeduralisierungsgebot entlastet das BVerfG davon, inhaltlich scharfe Vorstellungen von dem zu entwickeln, was der Gesetzgeber richtigerweise hätte beschließen sollen – eine Aufgabe, die unter den Gesichtspunkten der Demokratie und der Gewaltentrennung ohnehin heikel ist. Dennoch gibt das Gericht die Kontrolle des Gesetzgebers nicht aus der Hand.
In Zukunft deutlich weniger Geld für die Parteien
Für die Parteienfinanzierung bedeutet das Urteil ein Zurück auf den gesetzgeberischen Stand von 2011, d.h., die absolute Obergrenze muss ohne die verfassungswidrige Erhöhung im Jahr 2018 gemäß dem Preisindex fortgeschrieben werden.
Für das Jahr 2022, für welches die Bundestagspräsidentin im Frühjahr die Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung festsetzen wird, liegt sie bei gut 178 Millionen statt bei etwa 205 Millionen Euro. Alle anspruchsberechtigten Parteien werden sich auf eine erhebliche Kürzung der Mittelzuweisung einstellen müssen.
In der Vergangenheit empfangene Gelder aus der staatlichen Finanzierung werden die Parteien aber wahrscheinlich nicht zurückzahlen müssen. Dagegen sprechen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes. Zudem will das Urteil ja sicherstellen, dass die Parteien in verfassungsgemäßer Weise ihre Aufgaben erfüllen. Eine Pflicht zur Rückzahlung würde die Fähigkeit der Parteien gefährden, dies zu tun. Allerdings hatten mehrere Parteien schon signalisiert, wirtschaftlich dazu in der Lage zu sein.
BVerfG zur staatlichen Parteienfinanzierung: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50870 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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