Rüffel für die bayerische Justiz: Das Bundesverfassungsgericht hat den Haftbefehl für einen 17-Jährigen beanstandet, der beim tödlichen Angriff auf einen Augsburger Feuerwehrmann im Dezember anwesend war.
Der 17-jährige Augsburger Alessio L. saß zu Unrecht in Untersuchungshaft. Das entschied jetzt eine Kammer des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und gab der Verfasssungsbeschwerde des Auszubildenden statt (Beschl. v. 09.03.2020, Az. 2 BvR 103/20). L., der eine Lehre als Speditionskaufmann macht, war anwesend, als im Dezember ein Augsburger Feuerwehrmann aus einer Gruppe junger Männer heraus mit tödlicher Wucht geschlagen wurde. Ob L. sich dabei strafbar gemacht hat, war und ist hoch umstritten.
Der 49-jährige Roland S., Mitglied der Augsburger Berufsfeuerwehr, war mit seiner Frau und einem befreundeten Paar auf dem Rückweg vom Augsburger Weihnachtsmarkt, als er auf die Gruppe der sieben jungen Männer traf. Nach kurzem Geplänkel schlug der mutmaßliche Haupttäter Halid S. dem Feuerwehrmann mit so großer Wucht gegen den Kopf, dass eine Ader riss und der Mann sofort verstarb. Anschließend prügelten mehrere Jungmänner noch auf den Begleiter ein, der schwer verletzt wurde.
Die Tat hatte damals für große Aufregung gesorgt. "Ein friedfertiger Bürger wurde totgeschlagen, schlichtweg totgeschlagen", erklärte Innenminister Horst Seehofer empört. Als Täter ermittelte die Staatsanwaltschaft sieben junge Männer, alle mit Migrationshintergrund, die meisten aber mit deutscher Staatsbürgerschaft.
Die tatsächliche Beschreibung und die rechtliche Einordnung des Geschehens war und ist hoch umstritten. Die Staatsanwaltschaft erwirkte Haftbefehle gegen alle sieben Männer. Die Tat von Halid S. wurde als Totschlag eingestuft, L. soll Beihilfe geleistet haben. Das Landgericht Augsburg hob kurz darauf sechs Haftbefehle wieder auf, nur Halid S. musste in Haft bleiben. Eine weitere Woche später setzte das Oberlandesgericht (OLG) München die Haftbefehle wieder in Kraft. Dagegen legte L. mit Hilfe seines Verteidigers Felix Dimpfl Verfassungsbeschwerde ein.
Waren alle Gruppenmitglieder bereit, Gewalt anzuwenden?
Nach Darstellung der Staatsanwatlschaft handelte es sich bei den sieben jungen Männern um eine Gruppe namens "Oberhausen 54", benannt nach der Postleitzahl des Stadtteils, in dem sie wohnen. Die Gruppe habe den Feuerwehrmann umzingelt, um ihn einzuschüchtern. Alle Gruppenmitglieder seien bereit gewesen, Gewalt anzuwenden.
Das Landgericht kam nach Auswertung von Zeugenaussagen und Videoaufnahmen zu einer differenzierteren Schilderung. Danach habe L. den Feuerwehrmann nach einer Zigarette gefragt. Dieser hatte brüsk geantwortet "Schnauze", L. hatte "Was, wieso Schnauze?" entgegnet.
Dann fragte der Feuerwehrmann, ob L. ihn anpöbeln wolle, und schubste L. von sich fort. In diesem Moment traf ihn der tödliche Faustschlag von Harid S. Gegen L. liege demnach kein dringender Tatverdacht einer strafbaren Handlung vor, so das Landgericht. Er habe nichts gemacht, sondern sei nur anwesend gewesen, insbesondere habe er den Faustschlag von Harid S. nicht unterstützt und auch keinen entsprechenden Willen gehabt.
Sachverhalt unnötig in individuelle Handlungen zerlegt?
Das OLG warf dem Landgericht daraufhin vor, es zerlege den Sachverhalt in individuelle Handlungen und berücksichtige nicht den gruppendynamischen Charakter der Situation. Die Gruppe sei provozierend und bedrohlich aufgetreten. Außerdem hätten nach dem tödlichen Faustschlag mehrere Gruppenmitglieder den Begleiter angegriffen. Schon das Auftreten als Gruppe habe die Haupttat gefördert. Ob es tatsächlich eine Umzingelung gegeben hat, sei nicht entscheidend. Bei L. bestehe Flucht- und Verdunkelungsgefahr sowie der besondere Haftgrund der Tatschwere, weswegen die Haftbefehle wieder in Kraft zu setzen seien.
Das BVerfG hielt die Darlegungen des Landgerichts in seiner Entscheidnung nun offenbar für überzeugender.
Dem Beschluss des OLG fehle die erforderliche "Begründungstiefe", befanden die Karlsruher Richter. Es werde weder deutlich, welchen Tatbeitrag L. geleistet haben soll noch woraus sich ein Vorsatz bezüglich des tödlichen Faustschlags ergeben könnte. Die bloße körperliche Anwesenheit am Tatort sei nicht strafbar. Abstrakte Ausführungen zur Gefährlichkeit von Gruppen genügten nicht. Dass das Landgericht den Sachverhalt in individuelle Handlungen der jeweiligen Beschuldigten "zerlegt" hat, sei nicht verfehlt, sondern einfach- wie verfassungsrechtlich geboten.
L. wurde noch am Dienstag aus der U-Haft entlassen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beschäftig sich zwar nur mit seinem Fall. Anwalt Dimpfl geht aber davon aus, dass nun auch Haftbeschwerden anderer Beteiligter Erfolg haben könnten.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40775 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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