BVerfG verhandelt Parteifinanzierung: Selbst­be­di­e­nung der Politik?

von Dr. Christian Rath

12.10.2021

Der Bundestag weitete vor drei Jahren die staatliche Parteifinanzierung aus. Dagegen klagten FDP, Linke und Grüne sowie die AfD. Jetzt begann die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts – an einem ungewöhnlichen Ort. Christian Rath war dabei.

War die ebenso großzügige wie hastige Erhöhung der Parteienfinanzierung im Juni 2018 verfassungswidrig? Beschlossen wurde die Erhöhung damals nur mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD. Alle Oppositionsparteien haben alsbald dagegen geklagt. An diesem Dienstag und Mittwoch verhandelte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). 

Seit 1994 erhalten die Parteien keine "Wahlkampfkostenerstattung" mehr, sondern eine "staatliche Teilfinanzierung". Pro Euro Mitgliedsbeitrag oder Spende gibt der Staat 45 Cent dazu. Außerdem gibt es pro Wählerstimme 86 Cent aus der Staatskasse (vorausgesetzt die Partei kommt über 0,5 Prozent der Stimmen bei Bundes- und Europawahlen oder 1,0 Prozent der Stimmen bei Landtagswahlen), 

Die Gesamtsumme für die Parteifinanzierung ist allerdings aufgrund einer Entscheidung des BVerfG von 1992 (Urteil vom 9. April 1992; Az.: 2 BvE 2/89) gedeckelt. Maximal 165 Mio. Euro durfte der Bund bis 2018 jährlich für die Parteien ausgeben. Die Summe wurde zwar an Preissteigerungen angepasst. Eine richtige große Erhöhung gab es aber erst im Juni 2018. Um rund 15 Prozent sollte die Obergrenze auf 190 Mio. Euro steigen. Es wurde damals vermutet, dass vor allem die SPD Interesse an der Erhöhung hatte, weil sie wegen schlechter Wahlergebnisse stark sparen musste. 

Normenkontrollantrag von FDP, Linken und Grünen 

Gegen die Reform beantragen 216 Abgeordnete von FDP, Linken und Grünen gemeinsam eine abstrakte Normenkontrolle. Sie beriefen sich auf das BVerfG-Urteil von 1992. Danach ist die staatliche Parteifinanzierung auf das Unerlässliche beschränkt - also auf das, was die Parteien nicht selbst aufbringen können. Die Bürger:innen sollten nicht den Eindruck bekommen, die Parteien könnten sich aus dem Staatshaushalt einfach selbst bedienen; dies wäre schädlich für die Demokratie. Eine Erhöhung der Obergrenze, die über den Inflationsausgleich hinausgeht, sei nur möglich, so Karlsruhe im Jahr 1992, wenn sich die Verhältnisse "einschneidend" ändern. Eine solche einschneidende Änderung der Verhältnisse konnten die Oppositionsabgeordneten 2018 freilich nicht erkennen. 

SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan begründete in Karlsruhe jetzt die Erhöhung mit der zunehmenden Digitalisierung der politischen Kommunikation. Die seriösen Parteien dürften die Kommunikation im Internet und den sozialen Netzwerken nicht den Populisten überlassen. "Wir müssen jetzt alles doppelt machen", sagte Nietan. Schließlich müssten auch weiter klassische Veranstaltungen organisiert und Gespräche am Infostand geführt werden. So ähnlich hatte die Große Koalition auch 2018 argumentiert. 

Für die Oppositions-Kläger:innen kritisierte Rechtsprofessorin Dr. Sophie Schönberger die "dünne Argumentation". Gerade weil die Parteien hier "in eigener Sache entscheiden", wäre eine viel ausführlichere Begründung erforderlich gewesen, sagte Schönberger in ihrem Eingangs-Statement. Sie berief sich auf die Staatsfreiheit der Parteien gem. Artikel 21 Grundgesetz (GG). Ausführlich will sich der Senat mit der Normenkontrolle aber erst am morgigen Mittwoch befassen.  

Organklage der AfD 

Die AfD-Abgeordneten wollte sich eigentlich der Normenkontrolle anschließen, doch FDP, Linke und Grüne lehnten dies ab. Auch das BVerfG (Beschluss vom 03. November 2020 - 2 BvF 2/18) half nicht weiter. Den klagenden Abgeordneten dürfe eine Zusammenarbeit nicht aufgezwungen werden. Deshalb erhob die AfD eine eigene Organklage, in der sie das übereilte Gesetzgebungsverfahren rüffelte. Der Bundestag habe die Mitwirkungsrechte der Fraktion aus dem Demokratieprinzip gem. Art. 20 GG verletzt.  

Das Gesetz war im Juni 2018 binnen zehn Tagen durch den Bundestag geschleust worden. "Die AfD hatte deshalb weder Zeit, sich gründlich einzuarbeiten, noch die Öffentlichkeit zu mobilisieren", sagte ihr Rechtsvertreter Dr. Ulrich Vosgerau. Die Sachverständigen einer Anhörung seien mit nur drei Tagen Vorlauf eingeladen worden. Nur zwei regierungsnahe Gutachter hätten den Gesetzentwurf offensichtlich schon länger gekannt, rügte Vosgerau die Ungleichbehandlung. Eine dunkle Absicht vermutete Vosgerau auch in der Wahl des Zeitpunkts: Das Gesetz wurde zu Beginn der Fußball-WM in Russland beschlossen, als die öffentliche Aufmerksamkeit weniger der Politik galt.  

Für den Bundestag argumentierte Rechtsprofessor Dr. Karsten Schneider, die Organklage sei unzulässig, weil die AfD-Fraktion im parlamentarischen Verfahren zu wenig auf ihre angeblich bestehenden Rechte gepocht habe. Sie habe damit ihre "Konfrontations-Obliegenheit" verletzt, so Schneider. Dem wollen die Richter:innen aber wohl nicht folgen. Die AfD-Fraktion habe deutlich genug gemacht, dass sie mit dem Verfahren nicht einverstanden ist. Sie hätte nicht "l'art pour l'art" alle denkbaren Anträge stellen müssen, wenn diese doch absehbar abgelehnt werden, sagte Richter Peter Müller, der im Verfahren als Berichterstatter fungiert.  

Fraktionsrechte gegen den Bundestag? 

In der Sache argumentierte Karsten Schneider vor allem mit der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags. Die Rechte der Fraktionen seien in der Geschäftsordnung ausreichend geschützt, aus dem Grundgesetz könnten keine weitergehenden Ansprüche abgeleitet werden. Hier zeigten sich die Richter:innen noch suchend. Einerseits fragten sie nach Kriterien, ab wann Rechte der Fraktion verletzt sein können, wenn alle Fristen der Geschäftsordnung eingehalten werden. Andererseits wollten sie die parlamentarische Minderheit auch nicht nur dem Goodwill der Mehrheit überlassen. Richter Müller brachte deshalb das Verhältnismäßigkeitsprinzip ins Spiel.  

AfD-Vertreter Vosgerau stellte vor allem auf den konkreten Fall ab. Wenn ein "evident verfassungswidriges" Gesetz vorgelegt werde, sei es ebenso evident, dass einer ablehnenden Fraktion auf Wunsch mehr Zeit eingeräumt werden müsse. Bei der Parteienfinanzierung habe schließlich auch - anders als etwa bei Änderungen des Infektionsschutzgesetzes - keinerlei echter Zeitdruck bestanden. "Das war überhaupt nicht eilbedürftig", betonte Vosgerau.  

Die AfD will mit ihrer Organklage die Nichtigkeit der Änderung des Parteiengesetzes erreichen. Das halten die Richter:innen jedoch für ausgeschlossen. Im Erfolgsfall könne das Gericht nur feststellen, dass der Bundestag Rechte der Fraktion verletzt habe.  

Berichterstatter Müller erklärte, das Verfahren werfe zahlreiche Fragen auf, die für den Senat "Neuland" seien, nicht nur bei den Mitwirkungsrechten der Fraktionen im parlamentarischen Verfahren, auch bei den Begründungspflichten für eine Erhöhung der Parteienfinanzierung.  

BVerfG-Außenstelle Messehalle 

Die Verhandlung war wegen der Corona-Pandemie bereits zwei Mal verschoben worden. Diesmal fand sie in einer Halle der Karlsruher Messe statt, um trotz der rund 50 Verfahrensbeteiligten die üblichen Abstände von 1,5 Metern einhalten zu können. Die Atmosphäre in der 80 Meter breiten und 40 Meter langen Halle war sehr ungewöhnlich. Wenn der Senat von rechts im Gänsemarsch die Halle betrat, dauerte es rund eine halbe Minute bis er die Richterbank erreicht hatte.  

Die Anmietung der Halle samt Personal und Equipment wird rund 165.000 Euro kosten. In der Nebenhalle fand eine metalltechnische Ausstellung für Entgrattechnologien und Präzisionsoberflächen statt. Es war das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht auswärts tagte, seit es 1969 vom Prinz-Max-Palais in den modernen Baumgarten-Bau im Schlossbezirk umzog. Nur von 2011 bis 2014 musste das Gericht sanierungsbedingt in eine Kaserne in der Karlsruher Waldstadt ausweichen.  

Das Urteil wird in einigen Monaten voraussichtlich wieder im Stammsitz verkündet - nicht weil die Pandemie dann vorüber ist, sondern weil dann weniger Verfahrensbeteiligte erwartet werden.  

Zitiervorschlag

BVerfG verhandelt Parteifinanzierung: . In: Legal Tribune Online, 12.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46320 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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