Der Spiegel-Verlag und das Recherchenetzwerk Correctiv haben vor dem BVerfG erfolgreich gegen einstweilige Verfügungen geklagt. Ihnen war vor deren Erlass keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Wer sich in der Berichterstattung eines journalistischen Mediums ungerecht behandelt fühlt, muss es zumindest aushalten, wenn dem Presseorgan vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. In zwei Fällen in Hamburg und Köln war dies nicht der Fall gewesen, die Gerichte hatten jeweils ohne vorherige Anhörung der Medien im einstweiligen Rechtsschutz entschieden. Für eine solche Eile gebe es aber keinen Grund, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in zwei am Donnerstag veröffentlichten Beschlüssen (Beschl. v. 30.09.2018, Az. 1 BvR 1783/17; 1 BvR 2421/17).
Die Spiegel-Verlagsgruppe und das Recherche-Netzwerk Correctiv hatten Verfassungsbeschwerde gegen die Gerichtsentscheidungen eingelegt, die ihrer Meinung nach ihr Recht auf Gehör und die prozessuale Waffengleichheit verletzt hätten.
Im Fall der Hamburger Verlagsgruppe ging es um eine Berichterstattung aus Mai 2017, die in der Print-Ausgabe des Spiegel erfolgte. Inhalt war das Steuersparmodell eines Fernsehmoderators, welches dieser als Vermieter einer Yacht betrieben haben soll. Der Moderator schickte daraufhin zunächst Schreiben an den Verlag, in denen er ihn zur Gegendarstellung aufforderte. Als dies abgelehnt wurde, machte er vor der Pressekammer des Hamburger Landgerichts (LG) Gegendarstellungsansprüche geltend und hatte nach drei Zurückweisungen schließlich vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) Erfolg. Das OLG verpflichtete den Spiegel, die gewünschte Gegendarstellung zu drucken. Damit erfuhr der Verlag auch erstmalig überhaupt vom gegen ihn angestrengten Verfahren. Denn trotz des langen Schriftwechsels und sogar zwischenzeitlicher telefonischer Beratungen zwischen Richtern und dem Anwalt des Moderators hatte es nach der Abmahnung keinen Hinweis an die Spiegel-Gruppe gegeben.
Gar keine Abmahnung hatte Correctiv erhalten. Im zweiten in Karlsruhe entschiedenen Fall ging es um einen Bericht des Recherchenetzwerks über den Verlauf einer Aufsichtsratsitzung eines Unternehmens, in der es um Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Verkauf von U-Booten in das europäische Ausland gegangen sein soll. Das Unternehmen machte wortwörtlich kurzen Prozess und suchte gleich den Weg zur Pressekammer des Landgerichts (LG) Köln, wo man behauptete, eine vorherige Auseinandersetzung mi Correctiv sei nicht zumutbar. Ohne nähere Begründung oder gar Anhörung der Journalisten erließ das LG tatsächlich eine Verfügung, die ihnen aufgab, die Berichterstattung zu unterlassen. Correctiv erfuhr so erstmalig vom Gerichtsverfahren und legte sogleich Widerspruch ein, der aber erfolglos blieb.
Spiegel-Anwalt: "Gerichte an die Spielregeln der ZPO erinnert"
Das BVerfG gab beiden Medien Recht. Dass im Fall des Spiegel dem Verlag in einem über vier Monate andauernden Verfahren weder eine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden noch wenigstens dessen vorprozessuale Erwiderungen berücksichtigt worden seien, verletze den verfassungsrechtlichen Anspruch auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), so die Karlsruher Richter. Auch die einseitig erteilten rechtlichen Hinweise des OLG seien wohl für sich genommen schon verfassungswidrig, jedenfalls aber, dass diese dem Verlag nicht mitgeteilt worden seien.
"Es ist eigentlich der gesetzliche Regelfall, dass in einem einstweiligen Verfügungsverfahren mündlich verhandelt oder dem Antragsgegner auf andere Weise rechtliches Gehör gewährt wird" erklärte dazu Rechtsanwalt Dr. Marc-Oliver Srocke von der Hamburger Boutique Schultz-Süchting, die den Spiegel-Verlag in dem Verfahren vor dem BVerfG vertreten hat, im Gespräch mit LTO. "In einigen Pressekammern wurde dagegen in den letzten Jahrzehnten das Gegenteil als Regelfall etabliert." Sinn und Zweck eines solchen Verfahrens sei zwar Schnelligkeit, so Srocke, aber keineswegs Heimlichkeit. "Dieser höchst bedenklichen Praxis hat das BVerfG nun einen Riegel vorgeschoben und die Gerichte an die Spielregeln der Zivilprozessordnung erinnert."
BVerfG: Partei darf nicht komplett ausgeschlossen werden
Auch im Fall von Correctiv sah das BVerfG Grund zu erheblichen Beanstandungen. Das Recherchenetzwerk habe keine Möglichkeit erhalten, vor der Entscheidung des LG Köln seine Sicht der Dinge darzulegen. Warum hier ein Verfahren ohne Anhörung nötig gewesen sein sollte, sei nicht ersichtlich, konstatierten die Karlsruher Richter.
Das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit schreibe vor, so die Kammer, "dass ein Gericht im Presse- und Äußerungsrecht der Gegenseite vor einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag einer Partei (...) Recht auf Gehör gewähren muss". Auch wenn in Pressesachen häufig eine schnelle Entscheidung vonnöten sei, weil Internet und soziale Medien den Informationsfluss enorm beschleunigten und damit zu langes Warten den effektiven Rechtsschutz gefährden könne, bedeute dies noch lange nicht, "dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs als solche der Gegenseite verborgen bleibt".
So könne zwar ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, wenn die besondere Dringlichkeit der Sache dies gebiete, erinnerten die Richter. Eine Partei aber komplett vom Verfahren auszuschließen und ihr jegliche Erwiderung vor Ergehen der Entscheidung zu verwehren, sei nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren.
Könnte zu "deutlichen Veränderungen in der Praxis" führen
Im Einzelfall kann laut dem BVerfG für rechtliches Gehör auch eine vorprozessuale Stellungnahme, wie im Fall des Spiegel, ausreichen. Dazu müsste diese dem erkennenden Gericht aber auch vorliegen und von diesem berücksichtigt werden, stellte die 3. Kammer des Ersten Senats klar.
Der Kölner Medienrechtler Martin W. Huff begrüßte die Beschlüsse des BVerfG gegenüber LTO: "Das Gericht stellt damit die zivilprozessuale Waffengleichheit wieder her, die bisher von vielen Gerichten im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht beachtet worden ist."
Der "Praxis vieler Richter, nur mit dem Antragsgegner zu sprechen, ihm Hinweise zu erteilen und dann oftmals nach längerer Zeit ohne mündliche Verhandlung eine einstweilige Verfügung zu erlassen", sei nun von den Verfassungsrichtern ein Ende gesetzt worden, so der Anwalt von LLR Rechtsanwälte. Nach seiner Einschätzung werden die Beschlüsse aus Karlsruhe zu einer "deutlichen Veränderung in der prozessualen Praxis" führen. "Je nach Dringlichkeit - die Gegenseite kann ja per Telefax und besonderes elektronisches Anwaltspostfach tagesaktuell unterrichtet werden - wird es vor Erlass einer einstweiligen Verfügung zumindest immer öfter notwendig sein, den Antragsgegner zu einer Stellungnahme aufzufordern oder aber mit kurzer Ladungsfrist mündlich zu verhandeln."
mam/LTO-Redaktion
BVerfG zur Waffengleichheit im Presserecht: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31731 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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