Nicht nur die schwarz-gelbe Südtribüne ist von der Vertragsverlängerung mit Marco Reus begeistert. Selbst der Aktienkurs des BVB übersprang wieder die 4-Euro-Marke. Anders als beim Götze-Transfer wusste der Kapitalmarkt auch zuerst Bescheid. Ob ihre Mitteilungspflichten börsennotierte Profifußballclubs auf dem Transfermarkt benachteiligen, erklären Alexander Hettel und Philipp Kirschhöfer.
Nicht nur Hans-Joachim Watzke ist vor dem Heimspiel der Borussen gegen den 1. FSV Mainz 05 am heutigen 21. Spieltag "gespannt darauf, wie laut es im Signal Iduna Park werden wird, wenn Marco Reus den Rasen betritt". Dass die wohl berühmteste Ausstiegsklausel der Bundesliga nun vom Tisch ist, erfuhr am Dienstag, den 10. Februar 2015, um 13:12 Uhr zuallererst der Kapitalmarkt.
Über die Börsenticker lief eine Ad-Hoc-Mitteilung der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ("BVB KGaA"), die dem langwierigen Transferwirbel um Mittelfeldstar Marco Reus ein Ende setzte. Sie informierte darüber, dass Club und Spieler "ihr Lizenzspielerarbeitsverhältnis, das ursprünglich bis zum 30. Juni 2017 abgeschlossen war, vorzeitig bis zum 30. Juni 2019 verlängert" haben.
Nur rund eine Minute später, es ist 13:13 Uhr, teilt auch Marco Reus selbst via Twitter seine Freude über die vorzeitige Vertragsverlängerung bei seinem Heimatclub mit. "Man fällt und man gewinnt zusammen. Es ist eine Entscheidung für das Leben", sagte der Top-Kicker im Interview. Doch warum informiert ein Fußballclub über eine solche Entscheidung zuallererst die Akteure des Kapitalmarkts?
Borussia Dortmund als Kommanditgesellschaft auf Aktien
Der Ballspielverein Borussia 09 e.V. Dortmund ("BVB eV") hat sein professionelles Fußballgeschäft mitsamt Lizenzspielerabteilung in eine Kapitalgesellschaft – eben die BVB KGaA – ausgelagert. Lizenzspielerabteilungen in Kapitalgesellschaften auszugliedern, ist in der Bundesliga weitverbreitet.
Die FC Bayern München AG, die Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH und die SV Werder Bremen GmbH & Co. KGaA sind nur einige Beispiele. Andere Clubs, beispielsweise der FC Schalke 04, halten dagegen aus Traditionsgründen an ihrer hergebrachten Organisationsform als eingetragene Vereine fest.
Als einzige Vertreterin der Bundesliga ist die Lizenzspielerabteilung des BVB eV indes nicht bloß seit 1999 als externes Wirtschaftsunternehmen organisiert, sondern auch börsennotiert. Die Kommanditaktien des BVB werden seither unter der Wertpapierkennnummer (WKN) 549309 an den regulierten Märkten gehandelt; seit Juni 2014 sind sie im SDAX der Deutschen Börse gelistet. 60,76 Prozent der Papiere befinden sich in Streubesitz. Als Emittentin von Wertpapieren hat die BVB KGaA auch kapitalmarktrechtliche Folgepflichten.
Die Pflicht zur Veröffentlichung einer Börsenmitteilung
Eine davon ist die zur Publikation von Ad-Hoc-Mitteilungen nach§ 15 Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG). Danach müssen nichtöffentliche Umstände, die geeignet sind, den Börsenpreis erheblich zu beeinflussen (sog. "Insiderinformationen" nach § 13 Abs. 1 WpHG) unverzüglich bekannt gemacht werden. Unverzüglich bedeutet, dass die Information spätestens innerhalb weniger Stunden nach Eintreten des Umstands zu veröffentlichen ist. Das in §§ 12 ff. WpHG normierte Insiderrecht soll ein Informationsgleichgewicht zwischen den Akteuren des Kapitalmarkts sicherstellen und dient maßgeblich dem Schutz der Integrität des Kapitalmarkts.
Dass der Wechsel oder Verbleib von Führungspersönlichkeiten eine solche Information sein kann, stellte der EuGH im Jahr 2012 (Urt. v. 28.06.2012, Az. C-19/11) klar. Damals ging es um den vorzeitigen Abschied des Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp von der Daimler AG. Auf den Mannschaftssport übertragen bedeutet dies: Jedenfalls nichtöffentliche Umstände wie der Vereinswechsel oder die Vertragsverlängerung eines Leistungsträgers des Lizenzspielerteams können eine veröffentlichungspflichtige konkrete Information im Sinne des § 13 Abs. 1 WpHG sein.
Zudem entschied der EuGH, dass nicht nur aus verbindlichen Endentscheidungen Insiderinformationen folgen können. Bei mehrstufigen, sog. gestreckten Entscheidungsprozessen wie Vertragsverhandlungen, durch die ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, kann nach Ansicht der europäischen Richter jeder Zwischenschritt dieses Vorgangs für sich genommen eine konkrete Information in diesem Sinne sein.
Bei einem sich hinziehenden Vertragspoker können danach einige Zwischenschritte veröffentlichungspflichtig werden: die Aufnahme von Vertragsverhandlungen zum Beispiel oder dass der Spieler Wechselabsichten geäußert hat oder dass etwa Transferangebote interessierter Clubs eingegangen sind.
2/2: Geeignet, den Kurs zu beeinflussen: ein Zeichen in der Krise
Die Insiderinformation muss, um veröffentlichungspflichtig zu sein, das Potential haben, den Börsenkurs zu beeinflussen. Nach der Legaldefinition des § 13 Abs. 1 WpHG ist das dann der Fall, wenn ein verständiger – mithin rational wirtschaftlich denkender – Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Entscheidend ist, ob dem publizierten Umstand ex ante das Potential beigemessen wird, den Kurs erheblich zu beeinflussen. Eine tatsächliche Kursbewegung ist zwar nicht erforderlich, kann aber als Indiz herangezogen werden.
Der BVB hat bereits in der Vergangenheit bei Personalentscheidungen über Leistungsträger ein solches Kursbeeinflussungspotential ausgemacht. Auch beim Transfer von Mario Götze zum FC Bayern im Jahr 2013 gab die BVB KGaA eine Mitteilung über den Eingang des 37-Millionen-Euro-Angebotes auf der Dortmunder Geschäftsstelle heraus. Anschließend geriet der Club allerdings wegen der mutmaßlich zu spät erfolgten Veröffentlichung in das Visier der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).
Bei der Verpflichtung von Henrikh Mkhitaryan wurde sogar eine "Wasserstandsmeldung" über die Fortschritte in den Transferverhandlungen mit Shakhtar Donetsk als Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht. Auch Götze und Mkhitaryan waren bzw. sind wie Marco Reus Schlüsselspieler des Dortmunder Offensivfußballs.
Für das Kursbeeinflussungspotential der Personalie Reus spricht darüber hinaus, dass seine Vertragsverlängerung bis 2019 in Zeiten der gegenwärtigen sportlichen Misere des Clubs ein deutliches Zeichen setzt. Ohnehin wäre die für seine Verpflichtung festgeschriebene Ablösesumme von rund 25 bis30 Millionen Euro eher niedrig, eigentlich schon ein "Schnäppchen", gewesen. Das Fachportal transfermarkt.de taxiert seinen Marktwert gegenwärtig bei 50 Millionen Euro.
Erheblich kursrelevant dürfte zudem sein, dass nach der Vertragsverlängerung mit Reus nun kein Lizenzspieler der BVB KGaA mehr eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag hat. Künftig kann kein Kicker des BVB mehr gegen Zahlung der festgeschriebenen Transferentschädigung einseitig aus seinem Vertragsverhältnis losgelöst werden.
Ausnahme: Emittenten können von der Veröffentlichungspflicht befreit sein
Es liegt auf der Hand, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht, insbesondere in ihrer Ausformung zur Veröffentlichung von Zwischenschritten, in die Geheimhaltungsinteressen börsennotierter Gesellschaften eingreift. Um diese zu schützen, befreit § 15 Abs. 3 WpHG die Aktiengesellschaft so lange von der Veröffentlichungspflicht, wie es der Schutz ihrer berechtigten Interessen erfordert und eine Irreführung der Öffentlichkeit ausgeschlossen ist.
Nach den Regelbeispielen des § 6 der Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung (WpAIV) gilt das u.a., wenn Verhandlungen geführt werden, welche die Veröffentlichung einer Insiderinformation erheblich beeinträchtigen würde.
Gerade auf dem volatilen Transfermarkt und während laufender Vertragsverhandlungen ist es sowohl für den an einer Verpflichtung interessiertenClub als auch für den verkaufenden Club äußerst wichtig, sich nicht in die Karten schauen zu lassen, um die eigene Verhandlungsposition nicht zu schwächen. Selbst das bloße Interesse an der Verpflichtung eines Spielers wäre für sich besehen veröffentlichungspflichtig und könnte dessen Preis nach oben treiben. Und auch über vage Transferofferten von Drittclubs müsste die börsennotierte Sportkapitalgesellschaft ansonsten öffentliche Mitteilung machen.
Trotz Mitteilungspflicht: BVB hat auch künftig keine Transfer-Nachteile
Auch in Zukunft wird der BVB wichtige, jedenfalls aber potentiell kursrelevante, Personalentscheidungen zuerst mittels Ad-Hoc-Mitteilung offenbaren müssen.
In der aktuellen sportlichen Krise wäre die in der Presse diskutierte etwaige Entlassung des Cheftrainers Jürgen Klopp eine solche kursrelevante Information – wie schon die Trennung von Trainer Matthias Sammer im Jahr 2004 zeigte. "Wasserstandsmeldungen" über den gegenwärtigen Fortschritt von Verhandlungen oder die Kommentierung bloßer Gerüchte sind hingegen nicht mitteilungspflichtig. Es ist also nicht zu erwarten, dass die Position des BVB in Transferverhandlungen durch seine Börsennotierung geschwächt würde.
Die Fans der Schwarz-Gelben hoffen sicherlich, dass die nächste Ad-hoc-Mitteilung nicht doch Reus' vorzeitigen Abgang kommuniziert. Der bleibt schließlich trotz Vertragsverlängerung bis 2019 denkbar. Gerade beim BVB erinnern sich alle an Mario Götze, der im Jahr 2012 ebenfalls seinen Vertrag verlängerte. Nur rund ein Jahr später wurde sein Wechsel zum FC Bayern bekannt.
Der Autor Alexander Hettel ist Doktorand an der Universität Mannheim und forscht zu Rechtsfragen bei internationalen und nationalen Spielertransfers im Profifußball. Ehrenamtlich ist er als Sportrichter im Südbadischen Fußball-Verband tätig.
Der Autor Philipp Kirschhöfer ist Referendar am Landgericht Mannheim.
Alexander Hettel und Philipp Kirschhöfer, Marco Reus' Vertragsverlängerung: Bulle und Bär beim BVB . In: Legal Tribune Online, 13.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14688/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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