Die fragwürdigen Vorgänge scheinen kein Ende zu nehmen. Dabei können die deutschen Streitkräfte nicht nur menschenunwürdige Behandlung scharf sanktionieren, sondern begleiten ihre Soldaten auch präventiv. Ein Kommentar von Norbert Diel zum neuen Selbstverständnis einer modernen Armee - und zu den alten Herausforderungen des Soldatenlebens, auf die junge Menschen vorbereitet werden müssen.
Die Bundeswehr kommt nicht zur Ruhe. Der tragische Tod einer jungen Offiziersanwärterin auf der Gorch Fock, die möglicherweise widerrechtlich geöffnete Feldpost von Soldaten im Afghanistaneinsatz und die Diskussion um menschenunwürdige Rituale und schroffe Umgangsformen bestimmen derzeit die kritische öffentliche Meinung. Es scheint, als gehe es drunter und drüber, als gebe es keine ordnende Hand und kein Gesetz, die in der Lage wären, die Soldaten effektiv zu schützen.
Was derzeit in der Öffentlichkeit an Fakten kursiert, ist aber dünn und teils widersprüchlich. Man wird daher zunächst abzuwarten haben, bis die - auf allen Ebenen laufenden - Ermittlungen zu den Vorgängen abgeschlossen sind.
Die Chancen stehen gut, dass die Ereignisse vollständig aufgeklärt und im Zusammenwirken und in enger Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Behörden, etwa den Strafverfolgungsbehörden, nach Vorgabe der einschlägigen Gesetze und der rechtsstaatlichen Prinzipien aufgearbeitet werden.
Die rechtlichen Mittel der Bundeswehr
Den Juristen der Bundeswehr, vor allem den Rechtsberatern auf Divisionsebene, die gleichzeitig auch Wehrdisziplinaranwälte sind, aber auch den militärischen Vorgesetzten steht ein breites Spektrum zur Verfügung, um die Lage rechtlich, militärisch und zwischenmenschlich in den Griff zu bekommen und sachgerechte Lösungen zu finden.
Dazu können sie unter anderem zurück greifen auf das Wehrstrafrecht, das Wehrdisziplinarrecht, das Soldatengesetz, das Wehrpflichtgesetz, die Zentralen Dienstvorschriften der Bundeswehr, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, natürlich das Grundgesetz und nicht zuletzt die verbindlichen Prinzipien der Inneren Führung. Alle Maßnahmen sind überdies gerichtlich überprüfbar - es gibt eine in Jahrzehnten ausdifferenzierte Judikatur.
Die Routine, über die die Bundeswehr bei der Ahndung von Dienstvergehen und Straftaten verfügt, ist auch vonnöten. Immer wieder wird es - und das wird sich leider nicht immer vermeiden lassen - zu menschlichem Fehlverhalten und zu Unzulänglichkeiten kommen. Die Armee begegnet dem aber mit Entschlossenheit.
Von Maßregel bis Entlassung, vom Kadetten bis zum Offizier
Wer etwa im Einsatz (wiederholt) schwerwiegende Dienstvergehen begeht, wird zunächst disziplinar gemaßregelt und - je nach Art der Schwere - sofort abgelöst und nach Hause geschickt. Bei Soldaten, die weniger als vier Jahre bei der Bundeswehr sind, kann im Einzelfall sogar die Einleitung statusrechtlicher Verfahren, meist die fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 Soldatengesetz geprüft werden.
Die fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SoldG ist ein scharfes Schwert und kommt beispielsweise in Betracht beim Besitz kinderpornografischer Bilder, sexueller Belästigung und Nötigung von Kameraden und Untergebenen. Aber auch die menschenunwürdige Behandlung von Untergebenen zum Beispiel durch Bedrohung, Erpressung, körperliche Misshandlung oder andauernde grobschlächtige Beleidigungen, öffentliche Demütigungen und Bloßstellungen sowie der Zwang zur Teilnahme an "ritueller Aufnahmeprüfungen" können eine Entlassung rechtfertigen.
Nicht nur bei den "einfachen" Dienstgraden, sondern vor allem bei Vorgesetzten wird hart durchgegriffen, wenn diese schwere Dienstvergehen begehen. Sie haben eine Vorbildfunktion und ihr Fehlverhalten begründet in besonderer Weise die Gefahr, dass das Ansehen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bundeswehr beschädigt werden.
Vorbeugen statt Nachsehen: Die Grundsätze der Inneren Führung
Allerdings hilft die bloße Rechtsverfolgung von Dienstvergehen und Straftaten nur begrenzt weiter, weil sie nur repressiv erfolgen kann. Vielmehr muss die Prävention das Gebot der Stunde sein. Sie lässt sich erreichen durch die konsequente Erziehung und Ausbildung der Soldaten zu charakterfesten Persönlichkeiten und guten Soldaten. Ein wesentliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind die in der zentralen Dienstvorschrift 10/1 niedergelegten Grundsätze der Inneren Führung.
Diese Grundsätze besagen beispielsweise, dass den Soldaten die Sinnhaftigkeit ihres militärischen Dienstes erklärt und transparent gemacht werden soll. Dieser Aspekt spielt besonders bei Auslandseinsätzen eine wichtige Rolle. Die Soldaten sollen, so die Grundsätze, sich als Staatsbürger in Uniform begreifen. Sie sollen bereit sein, ihren Dienst gewissenhaft zu erfüllen und nicht zuletzt sollen sie "mit Auftrag" geführt werden.
Die Grundsätze besagen aber auch, dass es Grenzen für Befehl und Gehorsam gibt. Diese Grenze ist der so genannte Rechtswidrige Befehl. Ein Befehl ist rechtswidrig, wenn der Soldat dadurch etwa eine Straftat begehen würde. Rechtswidrige Befehle sind unverbindlich und wer die Prinzipien der Inneren Führung verinnerlicht hat, wird dies treffsicher erkennen, auch ohne mit seinen Vorgesetzten ständig zu diskutieren.
Die Prinzipien der Inneren Führung helfen den Soldaten, die Komplexität ihres Dienstes besser zu verstehen und sich leichter darin zurecht zu finden. Das gilt für "Neue" ebenso wie für "alte Hasen". Die konsequente Beachtung der Regeln der inneren Führung kann so dazu beitragen, das Unrechtsbewusstsein der Soldaten für Fehlverhalten zu schärfen.
Die Bundeswehr ist also gut aufgestellt, was die rechtlichen und fürsorglichen Rahmenbedingungen angeht. Vom Selbstverständnis bis zur Ahndung von Straftaten hält sie ein geeignetes rechtliches Instrumentarium bereit, um menschlichen Unzulänglichkeiten vorzubeugen und zu begegnen.
Im Wandel der Zeit: Internationalisierung und das Ende des Chauvinismus'
Gleichwohl: Die wirklichen Probleme liegen weniger im rechtlichen Bereich. Die Armee befindet sich auch nach über 20 Jahren im wiedervereinigten Deutschland in einem schwierigen Prozess der Anpassung. Und wahrscheinlich hat sie die Grenzen ihrer Belastbarkeit manchmal überschritten.
Die mit dem viel zitierten Begriff der "Transformation" umschriebenen Prozesse lassen sich mit wenigen Stichworten skizzieren: Auslandseinsätze, Förderung von Frauen auf allen Ebenen, Aussetzung der Wehrpflicht, Aufbau einer Berufsarmee, sich ständig wandelnde sicherheitspolitische Lagen ("Cyberwar", aufstrebende Militärmächte wie China, Unruhen im Nahen Osten). Parallel zu diesen Herausforderungen mussten die Personalstärke reduziert und Haushaltsmittel gekürzt werden.
Und trotz aller Ressourcenknappheit muss die Bundeswehr ihr technisches und militärisches Gerät laufend erneuern und modernisieren. Sie ist längst kein nationaler Verband mehr, sondern eingebettet in multinationale Teams. Gemeinsame Truppenkontingente mit Niederländern, Franzosen, Polen, Amerikanern sind bunter Alltag. Sie haben der Bundeswehr gut getan und die Armee offener und aufgeschlossener gemacht.
Sicherlich halten sich manche seltsamen Rituale und rohen Umgangsformen bei der Bundeswehr länger als in anderen Teilen der Gesellschaft. Aber das Zeichen ist klar: "Deutschtümelnde", chauvinistische Männerzirkel mit Biergelagen und brüllenden Vorgesetzten sind von gestern. Sie gehören zu einer anderen, längst vergangenen Epoche.
Die neue Bundeswehr ist europäischer, sie ist smart, professionell und schlagkräftig. Alleine die Zulassung von Frauen zum Dienst an der Waffe hat viel zur Normalisierung der Streitkräfte beigetragen. Gemischte Teams funktionieren einfach besser. Sie haben sich vielfach als resistent und geradezu heilsam gegenüber "rohem Männlichkeitsgehabe" erwiesen, ohne dass dies die Kampfkraft der Truppe schwächte.
Ein Soldat bleibt ein Soldat – und das muss er lernen
Andererseits darf man nicht ganz außer Acht lassen, dass der Beruf des Soldaten kein Zuckerschlecken ist: Die Ausbildung und die Vorbereitung auf den Einsatz erfordern eine integre Persönlichkeit, eine hohe Stressresistenz und die Fähigkeit, auch bei wenig Schlaf und drohendem neuronalem Overkill einen klaren Kopf zu behalten und sachliche Entscheidungen zu treffen.
Es kann nicht schaden, diese Situationen im Vorfeld zu simulieren, ohne dass die Ausbildung in die Nähe von Folter rückt. Es ist Aufgabe einer guten Menschenführung, das Notwendige pädagogisch geschickt zu vermitteln und dabei Schäden an der Seele zu vermeiden.
Die Bundeswehr weiß um ihre Verpflichtung, mit den ihr anvertrauten jungen Menschen besonders gut umzugehen, sie auf ihre militärischen Aufgaben vorzubereiten und gestärkt wieder in das Zivilleben zurück zu geben. Jedes verlorene Menschenleben - gleich aus welchem Grund - ist eines zu viel, jede gebrochene Persönlichkeit ein vermeidbares Versagen der Menschenführung. Wozu gibt es sonst die Prinzipien der Inneren Führung?
Der Autor Rechtsanwalt Norbert Diel ist Major der Reserve. Er hat über viele Jahre regelmäßige Wehrübungen in der Personalabteilung (G1) der 7. Panzerdivision in Düsseldorf geleistet und war dort im Dezernat Wehrrecht überwiegend mit Fragen des Statusrechts und der Wehrbeschwerdeordnung befasst.
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Norbert Diel, Bundeswehr-Skandale: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2456 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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