Bundeswehr in Afghanistan: Im unendlichen Kampfeinsatz gegen Taliban und Politik

Matthias Schütte

09.06.2010

Die Soldaten der Bundeswehr sprechen schon lange von einem Krieg in Afghanistan, selbst Kanzlerin Angela Merkel äußert dafür mittlerweile "Verständnis". Macht der Einsatz von Waffen den Konflikt zu einem Krieg? Und was würde eine deutsche Bewertung des Konflikts als Krieg eigentlich ändern? Matthias Schütte erläutert die Rechtslage und spricht sich gegen einen Abzug der Truppen aus.

Die deutsche Politik vibriert – und das nicht erst seit dem Rücktritt des Bundespräsidenten wegen der Kritik an seinen Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz. Nach immer neuen Anschlägen auf deutsche Soldaten im Norden Afghanistans wird immer wieder die Frage nach dem Ende der Bundeswehrmission am Hindukusch gestellt. Nach einer Forsa-Umfrage des Magazins Stern sprachen sich 62 % der Deutschen für einen Abzug der Bundeswehr aus.

Die Opposition hatte bereits vor der letzten Mandatsverlängerung im Bundestag einen Zeitkorridor für den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan gefordert. In circa vier Jahren soll die Bundeswehr das so lange von Kriegen und Unruhen geplagte Land verlassen. Was kommt danach?

Seit knapp neun Jahren operiert die Bundeswehr mit Zustimmung des deutschen Bundestages in seinem ersten Afghanistanbeschluss vom 22. Dezember 2001 am Hindukusch. Sie hat bei diesem Einsatz mittlerweile über vierzig Tote und etliche Schwerverletzte zu beklagen. Bei den Toten beginnen die ersten Schwierigkeiten der Politik. Handelt es sich bei ihnen um Gefallene? Das wäre ein typisches Wort für soldatische Verluste im Krieg. Befindet sich die Bundeswehr in Afghanistan mittlerweile im Krieg?

Kein Krieg im völkerrechtlichen Sinne

Für die Völkerrechtler ist diese Frage leicht zu beantworten. Mit Blick auf die Charta der Vereinten Nationen können sie darauf verweisen, dass für einen Krieg ein bewaffneter internationaler Konflikt zwischen Staaten erforderlich ist. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich jedoch genauso wenig wie die Vereinten Nationen mit Afghanistan unter der Regierung Karsai in einem solchen Konflikt.

Die Bundeswehr nimmt auf der Grundlage der Resolution 1386 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen an einer friedenserzwingenden Mission teil. Sie gehört dabei zur International Security and Assistance Force -ISAF-. Ziel der ISAF-Mission ist es, ein sicheres Umfeld in Afghanistan zu gewährleisten und funktionsfähige, demokratische staatliche Strukturen herzustellen. Die ISAF-Truppen sind keine Krieg führende Armee.

Der ursprüngliche Ansatz der deutschen Politik, die Bundeswehr im Zuge der ISAF-Mission vorrangig als Helfer in der Not, also eher als bewaffnetes Technisches Hilfswerk einzusetzen, lässt sich aktuell nicht mehr durchhalten. Statt Schulen zu bauen oder Brunnen zu bohren, muss die Bundeswehr derzeit vorrangig ihre eigene Sicherheit verteidigen.

Kriegsähnliche Zustände und politische Polemik: Neues Mandat würde nichts ändern

Die deutschen Truppen erleben nach den letzten Anschlägen der Taliban derzeit die schwersten Gefechte seit Beginn ihrer Mission. Diese haben mittlerweile ein kriegsähnliches Niveau erreicht. Auch der Bundesminister der Verteidigung spricht nun von Krieg.

Aus der "show of force" - also der bloßen Demonstration der Waffen - ist für die Bundeswehr die "use of force" - der Einsatz der Waffen - geworden. Diese "use of force" ist zwar völkerrechtlich auf der Grundlage der Resolution 1386 des Sicherheitsrates der Vereineten Nationen
durchaus erlaubt . Zumindest umgangssprachlich kommen aber damit der "Krieg" und die "Gefallenen" auf die Bundeswehr zu.

Die deutsche Politik sucht deshalb nach Auswegen, immer wieder wird vor allem von der Opposition der Konflikt zum "Krieg" erklärt und mit diesem Argument ein neues Mandat für den Afghanistaneinsatz gefordert.

Die Bundesregierung lehnt dies zu Recht ab. Es bedarf keines neuen Bundestagsmandates. Die völkerrechtliche Bewertung der Lage wäre dadurch auch gar nicht zu ändern. Der Bundestag kann den irregulären, nichtstaatlichen Talibankämpfern keinen Krieg im völkerrechtlichen Sinne erklären und somit die Situation der Bundeswehr vor Ort in Afghanistan nicht verbessern. Ein Bundestagsbeschluss hätte nur innerstaatliche Bedeutung im Verhältnis zwischen dem Bundestag und der Bundesregierung.

Ausstieg durch Abzug?

Schon vor den jüngsten Anschlägen wurde von Teilen der SPD ein Abzug der Bundeswehr in der näheren Zukunft gefordert. Die Erinnerung an die Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan ist noch frisch. Keine europäische Macht konnte in den letzten Jahrhunderten in Afghanistan Strukturen nach westlichem Vorbild dauerhaft etablieren. Die Afghanen leben und denken völlig anders als die Europäer.

Diesem Umstand muss man politisch stärker Rechnung tragen als bisher. Ein schneller Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan wird zweifelsohne das Leben deutscher Soldaten retten.

Er stellt aber auch eine Kapitulation der deutschen Politik vor den Taliban dar. Die Menschen in Afghanistan brauchen noch viele Jahre lang die Hilfe fremder Staaten. Sie können sich weder jetzt noch in vier Jahren ein sicheres Lebensumfeld schaffen. Ein Abzug der Bundeswehr ohne Kompensation durch Truppen anderer ISAF-Staaten würde für das Land Unsicherheit und Chaos auf unbestimmte Zeit bedeuten. Die Risiken der Bundeswehr in Afghanistan sind hoch und ein Scheitern ist möglich. Die Frage ist jedoch: Wer bestimmt wann darüber, ob es ein Scheitern tatsächlich geben soll?

Der Autor Matthias Schütte ist Oberregierungsrat. Er war Rechtsberater eines Divisionskommandeurs und Wehrdisziplinaranwalt.

Zitiervorschlag

Matthias Schütte, Bundeswehr in Afghanistan: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/671 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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