Wikileaks machte den Anfang mit dem Kriegstagebuch des Irak-Kriegs und den Diplomaten-Depeschen. Mittlerweile fordern Medien ganz offen dazu auf, in digitalen Briefkästen interne Dokumente zu hinterlegen. Die WAZ kam so an VS-Dokumente zum Afghanistan-Einsatz. Ein Verstoß gegen das Urheberrecht, wie das BMVg meint, ist die Veröffentlichung der Papiere allerdings nicht, meint Thomas Hoeren.
Mitte März erreichte die WAZ Mediengruppe ein merkwürdiges Schreiben aus dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg). Ein Ministerialrat erteilte den Journalisten eine Abmahnung "gemäß § 97a UrhG" wegen Veröffentlichung von Texten auf deren Internetseite. Als für das Medienrecht zuständiger Referatsleiter habe er festgestellt, dass die WAZ Mediengruppe Dokumente veröffentlicht habe, für die das Verteidigungsministerium "als Urheber" den Schutz des Urheberrechts genieße. Die Journalisten hätten gegen das Erstveröffentlichungsrecht des Urhebers gemäß § 12 Abs. 1 Urhebergesetz (UrhG) verstoßen.
Konkret ging es bei den veröffentlichten Dokumenten um Afghanistan-Papiere, sogenannte "Unterrichtungen des Parlaments", also Unterlagen, mit deren Hilfe das Ministerium die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss des Bundestages wöchentlich über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan informiert. Abgestempelt sind diese Unterlagen mit "VS – nur für den Dienstgebrauch", die niedrigste von vier Geheimhaltungsstufen. Die WAZ hatte die Dokumente bereits ein halbes Jahr veröffentlicht, bevor die Abmahnung aus dem Ministerium eintraf.
Der Fall erinnert an WikiLeaks und die Veröffentlichung von US-Kriegsdokumenten – wenn da nicht der Ministerialrat und sein Verweis auf das Urheberrecht wären.
Verteidigungsministerium definitiv nicht Urheber der Dokumente
Offensichtlich kannte sich der Mann überhaupt nicht im Urheberrecht aus, wie schon der falsche Verweis auf § 97a UrhG nahelegt, der ja nur regelt, dass abgemahnt werden muss, bevor gerichtliche Schritte unternommen werden. Der eigentliche Unterlassungsanspruch, auf den sich eine Abmahnung stützen lässt, ergibt sich aber aus § 97 UrhG i.V.m. dem möglicherweise verletzten Recht.
Auch ist nicht geklärt, ob die Papiere des Ministeriums überhaupt urheberrechtlichen Schutz genießen. Selbst wenn die Dokumente Schriftwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG sind, müssten diese ein Minimum an Originalität erfüllen, um den Schutz des Urheberrechts zu genießen. Jedes einzelne Papier müsste dafür auf eine individuelle Handschrift hin geprüft werden; auch dazu findet sich in dem kurzen Schreiben des Ministerialrats nichts.
Selbst wenn man aber unterstellt, dass all diese Afghanistan-Papiere urheberrechtlich geschützt sind, ist das Verteidigungsministerium definitiv nicht ihr Urheber. Nach § 7 UrhG ist der Schöpfer eines Werks dessen Urheber. Der Schöpfer kann allerdings nur eine natürliche Person sein, niemals eine juristische Person oder gar ein Verteidigungsministerium. Dies gilt ganz besonders für das Erstveröffentlichungsrecht, das tatsächlich nur dem Urheber selbst zusteht, als Ausfluss seines sogenannten Urheberpersönlichkeitsrechts.
Und wo wir gerade dabei sind: Die WAZ Mediengruppe dürfte wohl kaum passiv legitimiert sein. Ausweislich des Impressums der angegriffenen Webseite wird diese gestaltet und herausgegeben von der WAZ NewMedia GmbH & Co. KG.
Dokumente waren bereits vielen Personen zugänglich
Auch in der Sache selbst dürfte der Vorwurf, das Erstveröffentlichungsrecht verletzt zu haben, nicht stichhaltig sein. § 12 UrhG gibt dem Urheber die Möglichkeit, noch nicht veröffentlichte Werke vor einer unerwünschten Erstverbringung in den öffentlichen Raum zu schützen. Aber schon begrenzte Öffentlichkeiten sind eine Veröffentlichung. Veröffentlicht ist ein Werk immer dann, wenn es mit Zustimmung des Urhebers mehreren Personen zugängig gemacht wurde, die nicht persönlich miteinander verbunden sind.
Das Ministerium hat die Dokumente aber nur mit der geringsten Geheimhaltungsstufe versehen, die Texte an die Parlamentarier verteilt und damit auch deren Mitarbeitern zugänglich gemacht. Auch innerhalb des Ministeriums dürfte eine Vielzahl von Personen dies Dokumenten kennen. All diese Personen sind sicherlich nicht persönlich miteinander verbunden.
Es gibt auch keine anderen Vorschriften, auf die das Verteidigungsministerium seine Abmahnung hätte stützen können. Der Fall ähnelt der Veröffentlichung geheimer Militärdokumente aus dem Irak-Krieg durch WikiLeaks, wobei diese komplexer war, da einige Unterlagen tatsächlich aus absolut geheimen Quellen stammten.
Ministerien sollten Journalisten also nicht gleich abmahnen. Der verfassungsrechtliche Schutz der Presse gebietet eine besonders vorsichtige Reaktion der Ministerien im Hinblick auf ein Veröffentlichungsverbot scheinbar interner Papiere. Ansonsten droht die Gefahr, dass man sich – wie hier – nicht nur unbeliebt, sondern lächerlich macht.
Der Autor Prof. Dr. Thomas Hoeren ist Professor an der WWU Münster und Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (Landeskompetenzzentrum).
Veröffentlichung geleakter Geheim-Dokumente: . In: Legal Tribune Online, 19.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8558 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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