Deutsche Soldaten sollen somalische Piraten demnächst auch an Land angreifen können. Der Bundestag stimmte am Donnerstag einer entsprechenden Ausweitung des Atalanta-Mandats zu. Völkerrechtlich gesehen ist das Mandat zulässig. Und auch wenn es an erheblichen strategischen Defiziten leidet, kann die Ausweitung von Atalanta das Geschäftsmodell der Seeräuber doch weiter stören, meint Tim René Salomon.
Am Donnerstag hat der Bundestag einer Ausweitung des Atalanta-Mandats zugestimmt. Nachdem die EU darüber bereits am 23. März positiv entschieden hatte, haben nun auch deutsche Soldaten die Möglichkeit, im Rahmen der Gemeinsamen Aktion Atalanta mit Helikoptern gegen Piratenstützpunkte an Land vorzugehen.
Rechtlich wie auch strategisch haben Vertreter der Oppositionsparteien die Zulässigkeit beziehungsweise Sinnhaftigkeit solcher Einsätze bestritten. So hatte beispielweise Reinhard Bütikofer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament Bedenken mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte geäußert. Christine Buchholz von der Linken sieht in der Mandatserweiterung gar eine "Kriegserklärung". Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte die Entscheidung vor allem aufgrund militärisch-strategischer Erwägungen.
Die Souveränität Somalias, die es normalerweise völkerrechtlich verbietet, militärische Aktionen auf dem Gebiet eines fremden Staates zu unternehmen, spricht rechtlich nicht gegen das neue Mandat. Zwar verfügt das ostafrikanische Land, obwohl es als scheiternder Staat (failing state) eingeordnet wird, grundsätzlich auch weiterhin über seine Souveränität. Die somalische Übergangsregierung (TFG) hat der Mandatsausweitung aber ausdrücklich zugestimmt. Somit sind auch die Anforderungen des UN-Resolutionsregimes ausgehend von der Resolution 1851 (2008) erfüllt, das die Zusammenarbeit mit der TFG bei Einsätzen an Land fordert. Gleichzeitig wird damit der Einordnung der Mandatserweiterung als Kriegserklärung der rechtliche Boden entzogen.
Piraten sind keine Konfliktpartei: Nur lose Verbindungen zu Islamisten
Komplexer ist die Problematik des anwendbaren völkerrechtlichen Rechtsrahmens, der Luftangriffe gegen somalische Piratennester erlaubt.
Das humanitäre Völkerrecht, also das Recht, das in bewaffneten Konflikten gilt, ist auf die Pirateriebekämpfung grundsätzlich nicht anwendbar. Andernfalls würden diese Regeln das in Friedenszeiten geltende Völkerrecht und damit auch die Menschenrechte teilweise überlagern.
Die Piraten sind keine Konfliktpartei in dem in Somalia herrschenden bewaffneten nicht-internationalen Konflikt. In dem zerrütteten Land kämpft die durch die Afrikanische Union gestützte TFG gegen aufständische Bewegungen. Vor allem mit der islamistischen al-Shabaab, die mittlerweile ihre Verschmelzung mit al-Qaida bekannt gegeben hat, liefert sich die TFG heftige Auseinandersetzungen.
Die Seeräuber haben hingegen keine politische Agenda, sondern sind vornehmlich an den Lösegeldzahlungen interessiert, die sie von den Reedereien erpressen. Verbindungen zur al-Shabaab sind auf Schutzgeldzahlungen an die Islamisten beschränkt. Darüber hinaus haben die Piraten ein deutliches Interesse daran, diese lose Verknüpfung nicht zu verfestigen. Schon deshalb, weil die potenziell folgende internationale Reaktion auf eine solche Verbrüderung mit dem Terrorismus ihr kriminelles Geschäftsmodell erheblich gefährden könnte. Völkerrechtlich können die Seeräuber dem von den Aufständischen geführten bewaffneten Konflikt deshalb nicht zugerechnet werden.
Auch Seeräuber haben Menschenrechte
Etwas anderes folgt auch nicht durch die anwendbaren UN-Resolutionen. Zwar ermächtigt der Sicherheitsrat in Resolution 1851 zu allen erforderlichen und geeigneten Maßnahmen, "die im Einklang mit dem anwendbaren humanitären Völkerrecht und den internationalen Menschenrechtsnormen stehen müssen". Allerdings wollte das Gremium so wohl nur für den Fall vorsorgen, dass die Piraten doch noch Konfliktpartei werden, beziehungsweise klar stellen, dass rechtliche Beschränkungen gelten. Der Einsatz von Gewalt unterliegt derzeit jedenfalls weitergehenden rechtlichen Einschränkungen, als dies bei Kombattanten im internationalen bewaffneten Konflikt der Fall wäre.
Problematisch sind deshalb vor allem gezielte Tötungen. Allerdings sieht die Ausweitung des Atalanta Mandats gerade keine Angriffe auf Personen vor. Vielmehr soll allein die Infrastruktur der Seeräuber, also zum Beispiel deren Boote und Treibstofftanks, zerstört werden. Maßnahmen, die Eigentumsrechte der Seeräuber verletzen, sind bei der Pirateriebekämpfung auch aus menschenrechtlichen Gesichtspunkten zulässig.
Trotz strategischer Defizite: weiteres Werkzeug im Kampf gegen Piraten
Sollte es trotz aller von Atalanta vorgesehenen Vorsichtsmaßnahmen, die eine genaue Aufklärung des Zieles und den Einsatz präziser Waffen beinhalten, dennoch zu Todesopfern kommen, so berührt dies die Legalität des neuen Mandates nicht. Allerdings können und werden in einem solchen Fall Ermittlungen nationaler Strafverfolgungsbehörden aufgenommen. Die strategischen Auswirkungen solcher Zwischenfälle wären jedoch erheblich, da sich das Bild der somalischen Bevölkerung von den Atalanta Kräften wohl deutlich zum Schlechten verkehren würde.
Größte strategische Defizite hat die Mandatserweiterung hingegen durch die Veröffentlichung der geografischen Grenzen des neuen Einsatzgebietes bekommen. Wurden diese Details auf EU-Ebene noch geheim gehalten, so wurden sie in Deutschland vorschnell veröffentlicht und verbreitet. Die Vermutung liegt nahe, dass Seeräubergruppen ihre Lager hinter die entsprechenden Grenzen verlegen und somit der Effektivität des Einsatzes einen erheblichen Dämpfer versetzen. Außerdem ist zu befürchten, dass die Piraten in die Gebiete der al-Shabaab ausweichen, die zweifelsohne durch die folgenden Schutzgeldzahlungen profitieren würde. Selbst wenn die Seeräuber ihre Standorte nicht verlagern, steht der Einsatz von Geiseln als menschliche Schutzschilde zu befürchten.
Die Bedenken können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mandatserweiterung den EU-Verbänden und nun auch den deutschen Soldaten ein zusätzliches Werkzeug an die Hand gibt, durch das sie das Geschäftsmodell der Piraten weiter stören können. Zwar wird es auch unter dem neuen Mandat angesichts der geringen Verfügbarkeit von Helikoptern nur selten zu Angriffen an Land kommen. Allerdings können sich auch wenige und gezielte Schläge als durchaus effektiv erweisen.
Tim René Salomon ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre, Völker- und Europarecht der Bucerius Law School, Hamburg, Associate der International Max Planck Research School for Maritime Affairs, Hamburg und Senior Analyst am Global Governance Institute in Brüssel. Er ist Mitarbeiter des Projekts "Piraterie und maritimer Terrorismus als Herausforderung für die Seehandelssicherheit: Indikatoren, Perzeptionen und Handlungsoptionen (PiraT)".
Atalanta-Mandat ausgeweitet: . In: Legal Tribune Online, 11.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6187 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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