Hartz-IV-Empfänger, die zu Unrecht als Ein-Euro-Jobber eingesetzt werden, können für die geleistete Arbeit den ortsüblichen Lohn verlangen. Das BSG gab damit einer Frau Recht, die in einem Altenheim der Arbeiterwohlfahrt putzen sollte. Künftig werden die Jobcenter bei der Prüfung der so genannten Arbeitsgelegenheiten noch genauer hinschauen müssen. Von Jens Löcher.
Um Langzeitarbeitslose wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen, können Jobcenter Betroffenen zusätzliche, im öffentlichen Interesse stehende Tätigkeiten zuweisen. Dafür wird eine so genannte Mehraufwandentschädigung im Bereich von ein bis zwei Euro gezahlt.
Handelt es sich bei der zugewiesenen Arbeit nicht um eine "zusätzliche" Tätigkeit, kann der Hartz-IV-Empfänger nach dem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) möglicherweise Wertersatz für die geleistete Arbeit verlangen (Urt. v. 27.08.2011, Az. B 4 AS 1/10 R).
"Zusätzlich" ist eine Tätigkeit laut Sozialgesetzbuch (SGB) dann, wenn sie ansonsten nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt verrichtet worden wäre (§ 261 Abs. 2 S. 1 SGB III). Arbeiten, die aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung eines öffentlichen Trägers ohnehin hätten erbracht werden müssen, sind zusätzlich, wenn sie voraussichtlich erst nach zwei Jahren durchgeführt worden wären (§ 261 Abs. 2 S. 2 SGB III).
Gerichte: Kein Arbeitsverhältnis, kein Tariflohn
In dem konkreten Fall hatte das Karlsruher Jobcenter einer Hartz-IV-Empfängerin eine Tätigkeit als Reinigungskraft bei der Gebäudereinigung eines Altenheims der Arbeiterwohlfahrt vorgeschlagen. Hätte die Frau den Vorschlag ohne wichtigen Grund abgelehnt, wäre ihr Regelbedarf - also der Betrag, der ihr hinsichtlich Ernährung, Kleidung, Strom und andere Güter ein menschenwürdiges Leben ermöglichen soll - um dreißig Prozent gekürzt worden.
Es war also nicht verwunderlich, dass sie sich zu einem Vorstellungsgespräch bei der Arbeiterwohlfahrt einfand und letztlich die angebotene Tätigkeit als Reinigungskraft in einem Umfang von zwanzig Wochenstunden für die Dauer von sechs Monaten aufnahm. Als Mehraufwandsentschädigung erhielt sie zwei Euro für jede geleistete Stunde.
Während der Verrichtung ihrer Tätigkeit stellte sie fest, dass das Altenheim auch durch andere Kräfte gereinigt wurde. Im Gegensatz zu ihr handelte es sich keineswegs um "Zwei-Euro-Jobber", sondern um Beschäftigte der Arbeiterwohlfahrt. Sie klagte daraufhin vor den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit auf Feststellung, dass sie ebenfalls bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt sei.
Klage und Berufung waren erfolglos, eine eingelegte Revision nahm sie zurück. Eine währenddessen erhobene weitere Klage, mit der sie von der Arbeiterwohlfahrt die Zahlung des tariflichen Arbeitslohns forderte, wurde an die Sozialgerichtsbarkeit verwiesen. Hier war sie zunächst ebenfalls erfolglos.
Jobcenter muss Vermögensvorteil ohne Rechtsgrund erhalten haben
Einen Teilerfolg errang sie erst vor dem BSG. Zwar schloss sich das höchste deutsche Sozialgericht insoweit den Vorinstanzen an, als zwischen der Klägerin und der Arbeiterwohlfahrt kein Arbeitsverhältnis begründet worden sei. Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt habe deshalb nicht entstehen können. Allerdings habe die Frau möglicherweise einen Anspruch auf Wertersatz für die erbrachte Arbeitsleistung gegenüber dem beigeladenen Jobcenter.
Dafür müsste neben der fehlenden Zusätzlichkeit des Ein-Euro-Jobs die durch die Arbeitsleistung erfolgte Vermögensverschiebung aber ohne Rechtsgrund geschehen sein. Als Rechtsgrund komme eine Eingliederungsvereinbarung oder ein bestandskräftiger Verwaltungsakt in Form eines Zuweisungsbescheids in Betracht.
Im Fall der Klägerin lag nach Auffassung des 4. Senats des BSG kein Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung vor: Das Schreiben, das sie zur Arbeitsaufnahme bei der Arbeiterwohlfahrt aufforderte, hatte die auszuübende Tätigkeit nicht konkret bestimmt und erfüllte deshalb nicht alle Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes; ebenso fehlte es an einer entsprechenden Eingliederungsvereinbarung.
Ein-Euro-Jobs könnten zum "Schrecken der Jobcenter" werden
Ob sich die Klägerin nun über Wertersatz wird freuen können, steht noch nicht fest. Das Landessozialgericht, an das der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, muss noch aufklären, ob die Reinigungsarbeiten der Klägerin zusätzlich waren oder nicht.
Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass das Urteil des BSG in der behördlichen Praxis weit reichende Auswirkungen haben wird. So wird wohl der in der Vergangenheit gezeigte Erfindungsreichtum einzelner Jobcenter bei der Schaffung oder Förderung von Arbeitsgelegenheiten einer genaueren Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen des die Ein-Euro-Jobs regelnden § 16d SGB II weichen.
Bisher wurden oft Arbeitsgelegenheiten bei karitativen Einrichtungen oder in einer Kommune gefördert, ohne dass man zuvor und während der Ausübung der Tätigkeit genau hingeschaut hatte, ob die Tätigkeiten denn tatsächlich "zusätzlich" im Sinne des Gesetzes waren. Ebenso häufig kam es vor, dass das Angebot zu einer Arbeitsgelegenheit in Bezug auf Art, Umfang und Bedingungen der zu verrichtenden Tätigkeit nicht hinreichend genug bestimmt war, weil man die nähere Bestimmung der Stelle überließ, die die Arbeitsgelegenheit verwaltete.
Verfährt man weiterhin so, so wird man - wie aller Voraussicht nach im Fall der für die Arbeiterwohlfahrt tätigen Reinigungskraft - sogar für solche Tätigkeiten Wertersatz leisten müssen, deren Nutznießer nicht die Jobcenter, sondern Dritte gewesen sind - wie zum Beispiel im vorliegenden Fall die Arbeiterwohlfahrt.
Bisher waren Ein-Euro-Jobs der "Schrecken der Hartz-IV-Empfänger". Zukünftig könnten sie der "Schrecken der Jobcenter" werden.
Prof. Dr. Jens Löcher lehrt Sozialrecht an der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Wiesbaden.
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BSG zu Wertsatz für Ein-Euro-Jobs: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4182 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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