2/2: Künftig obligatorische Schlichtung in Bagatellverfahren
Der 1. Senat des BSG konnte in der legislativen Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens keine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG erkennen (Urt. v. 23.06.2015, Az: B 1 KR 26/14 R).
In allen Streitigkeiten über Krankenhausvergütungen bis zur Höhe von 2.000 Euro, in denen eine sogenannte Auffälligkeitsprüfung (vgl. § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch V, SGB) tatsächlich stattgefunden hat, sind die Beteiligten daher verpflichtet, vor Erhebung einer Klage den Schlichtungsausschuss anzurufen. Im Rahmen des dort geführten Verfahrens soll die Streitigkeit durch öffentlich-rechtlichen Vertrag beigelegt werden.
Erst im Falle des Scheiterns des Schlichtungsverfahrens kann anschließend Klage beim Sozialgericht erhoben werden. Aufgrund der Rechtsprechung des zuvor zuständigen 3. Senats des BSG sah sich der 1. Senat indes aus Vertrauensschutzgründen daran gehindert, die Wirksamkeit dieser Sachurteilsvoraussetzung mit Wirkung ex tunc anzunehmen. Den Beteiligten soll Gelegenheit gegeben werden, sich auf die neue Situation einzustellen. Im dem Urteil ist daher eine – wenn auch recht kurze – Übergangsfrist bis zum 1.September 2015 eingeräumt worden, mit deren Ablauf neue Bagatell-Klagen ohne vorherige Anrufung des Schlichtungsausschusses als unzulässig anzusehen sind. Existiert bis zum Stichtag auf Landesebene kein (funktionsfähiger) Schlichtungsausschuss nach § 17c KHG, sind ersatzweise und ohne das Erfordernis einer Bereitschaftserklärung die Schiedsstellen nach § 18a KHG zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens berufen, urteilte der 1. Senat.
Konsequenzen aus dem Urteil
Im Nachgang dieses BSG-Urteils sind verschiedene Szenarien denkbar: So erscheint es als möglich, dass die Schlichtungsausschüsse in den Ländern ihre Arbeit jetzt (wieder) aufnehmen und die zwischenzeitlich aufgelaufenen Rückstände schrittweise abbauen. Dies dürfte jedoch insbesondere in Ballungszentren angesichts der hohen Zahl dort ansässiger Krankenhäuser mit erheblichem organisatorischem und personellem Aufwand verbunden sein.
Da die Zulässigkeit von Klagen mit einem Streitwert von bis zu 2.000 Euro gegenwärtig unbestritten sein dürfte, ist es ebenso wahrscheinlich, dass sich die Beteiligten dazu entschließen, die aus ihrer Sicht ungeliebten Schlichtungsverfahren zu vermeiden und alle derzeit ruhenden Abrechnungsstreitigkeiten in den verbleibenden zehn Wochen bis zum 1. September noch direkt zu Gericht zu tragen.
Dies falls würden mit Blick auf die große Zahl dieser Verfahren – allein im Bundesland Hamburg sind es dem Vernehmen nach Verfahren in mehrfach vierstelliger Anzahl – der Sozialgerichtsbarkeit die Konsequenzen aus der Nichtbeachtung des seit 2013 gesetzlich normierten Schlichtungsverfahrens aufgebürdet. Rückschauend betrachtet ist es bedauerlich, dass es einer Anrufung des BSG bedurfte, um das faktische „Inkrafttreten“ eines sinnvollen Instruments zur Streitbeilegung in Bagatellverfahren zu erreichen, welches zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit konzipiert ist.
Der Autor Dr. Anders Leopold ist Richter am Sozialgericht Hamburg und Lehrbeauftragter der Universität Kassel.
BSG zu Krankenhaus-Vergütungs-Streitigkeiten: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15978 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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