2/2: Was das Papier nicht erwähnt
Besonders aufschlussreich ist, welche Themen das Papier nicht erwähnt. Vor allem das Cassis-de-Dijon-Prinzip der gegenseitigen Anerkennung findet sich in dem Papier nicht wieder. Danach können Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, auch ohne erneute Prüfung in allen anderen Mitgliedstaaten verkauft werden. Das ist letztlich nicht überraschend, denn dieser Grundsatz beruht auf einer weitgehenden Rechtsharmonisierung, die man in London gerade nicht mehr halten will.
Aus dem gleichen Grund stehen auch die Aussichten für den Erhalt des sogenannten Passporting für Finanzinstitute nicht gut. Hiernach können Finanzdienstleister, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, ihre Produkte frei in allen anderen Mitgliedstaaten vertreiben. Auch dies beruht auf der Überlegung, dass alle Institute in der EU den gleichen Vorschriften, insbesondere den Regeln über die Bankenunion, unterliegen. Da die britische Seite Letzteres nicht mehr akzeptieren will, ist es nur konsequent, dass man die Erwartungen der Banken und Versicherer nun dämpft: angestrebt ist kein voller Marktzugang mehr, sondern nur eine gegenseitige Kooperation – was auch immer das heißen mag.
Weitere sensible Punkte, wie zum Beispiel die gesamte Wettbewerbspolitik (Kartellrecht, Fusionskontrolle und Beihilferecht) werden einfach ausgeklammert. Dies wird den Unternehmen kaum gefallen, denn ohne den gewährten Brüsseler "one stop shop" müssen sich Unternehmen mit parallelen Zuständigkeiten in Großbritannien und der EU herumschlagen, was zu zusätzlichen Kosten führt.
Auch der Status von Arbeitnehmern im Verhältnis der EU zu Großbritannien bleibt völlig offen. Lediglich Studenten aus der EU werden gewisse, beschränkte Zugeständnisse bis 2018 gemacht - was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, weil Großbritannien dann noch zur EU gehört. Diese stiefmütterliche Behandlung lässt den Schluss zu, dass dieses Thema keine Priorität genießt – ein schlechtes Signal für alle Unternehmen, die auf ausländische Arbeitnehmer angewiesen sind.
Keine Gerichtsbarkeit des EuGH
Ganz prominent findet sich natürlich die Forderung nach der Beendigung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im White Paper wieder. Die Luxemburger Richter sollen keine Jurisdiktion mehr über Großbritannien ausüben. Zwar räumen die Verfasser ein, dass man irgendeine Art des Streitbeilegungsmechanismus braucht, um Meinungsverschiedenheiten bei der Auslegung des geplanten Freihandelsabkommens zu entscheiden. Solch eine Stelle soll aber nur sehr beschränkte Befugnisse haben; vor allem aber sollen deren Entscheidungen nicht unmittelbar anwendbar sein.
Traumtänzer zurück auf dem Boden der Realität
Damit hat die britische Seite in den letzten Monaten die Erwartungen an ein Abkommen mit der EU deutlich heruntergeschraubt hat. Man erinnere sich: Der britische Außenminister hatte noch vor wenigen Monaten den weiteren vollen Marktzugang zum EU-Binnenmarkt nach dem Brexit als Selbstverständlichkeit bezeichnet. Offenbar hat man verstanden, dass dies unrealistisch ist, insbesondere im Rahmen eines harten Brexits. Es ist nicht möglich, die Freiheiten und Vorteile des EU-Binnenmarktes zu erhalten und gleichzeitig alles abzuschütteln, was nicht in das Konzept passt.
Insoweit betreibt die britische Regierung mittlerweile ein besseres und ehrlicheres "expectation management". Sie lässt erstmals schwarz auf weiß erahnen, wie hart der Brexit wirklich wird. Viele Stimmen sagen deshalb, dass der ursprünglich geplante "bestmögliche Deal für Großbritannien" bei einer solchen radikalen Abkoppelung Wunschdenken oder gar Traumtänzerei ist. Die Unternehmen müssen sich jedenfalls darauf einstellen.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit über 20 Jahren im EU-Recht.
White Paper zum Brexit: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21984 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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