Unter dem Titel "Wer hört mit? Die anwaltliche Verschwiegenheit und der NSA-Skandal" lud die BRAK am Freitag zur Debatte. Auf rechtlich hohem, technisch bescheidenem Niveau sprachen prominente Vertreter aus Anwaltschaft und Politik über die Sorge, das Mandatsgeheimnis werde angesichts allgegenwärtiger Überwachung erodieren. Zu schade nur, dass das die Mandanten nicht kümmert.
Einen passenderen Tagungsort als diesen hätte man kaum finden können: Das Berliner Staatsratsgebäude, einst der Sitz der politischen Führungsriege der DDR, später vorübergehende Heimat des Bundesnachrichtendienstes, ist in der Geschichte seines Bestehens zum stummen Zeugen zahlloser Formen der Überwachung geworden.
Der von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) gemietete Saal ist etwa 20 Meter lang und breit und gefühlt ebenso hoch. In der Weite des Prunkbaus wirkt die Zahl der interessierten Besucher noch kleiner, als sie ohnehin ist. Nicht, dass nicht mehr geladen gewesen wären, aber die drei Kilometer vom Bundestag bis zum Schloßplatz 1 scheuen die Herren der Hauptstadtpolitik mehrheitlich. Vielleicht auch, weil sie fürchten, dass man ihrem Treiben hier kein günstiges Zeugnis ausstellen wird.
Mit Günter Krings (CDU), dem parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium, traut sich immerhin einer, wenn auch erst so spät, dass die Klagerufe seiner Vorredner schon verhallt sind, als er den Raum betritt. Macht nichts, denn seine Replik ist im Versuch der Beschwichtigung so voll von Gemeinplätzen, dass sie ohnehin auf alles passen würde – oder eben auf nichts. Ja doch, die Bundesregierung sei um Aufklärung und Datenschutz bemüht, deshalb habe sie der NSA schon kurz nach Bekanntwerden des Überwachungsprogramms PRISM eine lange Frageliste übergeben und mit der De-Mail sogar noch früher eine Plattform zur abhörsicheren Kommunikation geschaffen. Dass die Fragen unbeantwortet blieben und die De-Mail von Anfang an eine konzeptionelle Katastrophe war? Nunja, deshalb sagt er wohl "bemüht".
Die Kammern können sich nicht nur einmischen, sie müssen es
Aber es ist nicht allein Krings Schuld, wenn die Debatte, im Großen geführt, ergebnislos verläuft. An der NSA-Affäre und ihren andauernden Folgen haben sich an den drei Vortagen bereits auf der Internetkonferenz re:publica hunderte von Rednern abgearbeitet, ohne verbindliche Antworten liefern zu können. Deshalb sollte die Diskussion am Freitag im Kleinen stattfinden, im Mikrokosmos der Anwalt-, nicht im Makrokosmos der Gesellschaft.
Dass hierzu auch die Rechtsanwaltskammern berufen sind, legt Marcus Mollnau vom Vorstand der Berliner Rechtsanwaltskammer ausführlich dar. Diese glänzten als berufsständische Vertretungen zwar bisher durch politische Zurückhaltung, frühere Forderungen nach Einmischung fanden keine Mehrheit. Nun jedoch könnten die Kammern nicht nur Stellung beziehen, sie müssten es sogar, findet Mollnau.
Denn die NSA-Affäre betreffe Anwälte als Träger von Berufsgeheimnissen in einer besonderen Dimension. Wenn die Kammern ihren (Zwangs)mitgliedern einen Eid auf den vertraulichen Umgang mit Mandanteninformationen abverlangten, dann müssten sie auch auf eine Umgebung hinwirken, in der dieser Eid überhaupt zu halten sei.
Verzicht auf E-Mails praktisch schwierig, rechtlich bald unmöglich
Wie dieses Hinwirken abseits allgemeinpolitischer Apelle aussehen kann? Einen Vorschlag liefert der Rechtsanwalt und frühere Vizepräsident des Bundestages Burkhard Hirsch (FDP). Da eine sichere Korrespondenz via E-Mail gegenwärtig unmöglich sei, verzichte er komplett auf elektronische Kommunikation und tausche sich mit Mandanten und Gerichten über Briefpost aus; notfalls versende er auch USB-Sticks auf diesem Wege.
Diese Möglichkeit, meint Hirsch, müsse Anwälten erhalten bleiben. Die vom Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs für die Zukunft verpflichtend vorgesehene Nutzung des elektronischen Anwaltspostfachs will er daher in eine optionale umgewandelt sehen.
In der Praxis dürfte das nur für wenige seiner Kollegen einen Unterschied bedeuten. Die große Mehrheit wird auf die Vorzüge digitaler Kommunikation nicht verzichten wollen. Eine Alternative schlägt daher der Karlsruher Rechtsanwalt Christian Kirchberg vor, der anwaltliches Kommunikationsverhalten um die drei Säulen von Problembewusstsein, Nutzerkompetenz und Risikoabwägung arrangieren will.
Bei Allerweltsmandaten wie Verkehrsunfällen oder Nachbarschaftsstreitigkeiten könne man wohl darauf vertrauen, dass etwaig abgefangene Nachrichten mangels Brisanz nicht gelesen und verfolgt würden. Wenn jedoch finanz- oder strafbehördliche Ermittlungen im Raum stünden, seien Mandanten über die Gefahren und besonders darüber aufzuklären, dass der Anwalt diese nicht bannen könne.
Verschlüsselung allseits ungeliebt
In diesem Punkt ist die Resignation indes größer, als sie es sein müsste. Verschlüsselung, so das allgemeine Credo, sei keine Option, weil technisch zu komplex und von den Geheimdiensten ohnehin längst überwunden. Beides stimmt in dieser pauschalen Form nicht. Die Hiobsbotschaften über eingebaute Hintertüren und hochperformante Entschlüsselungsalgorithmen betreffen jeweils nur einzelne Programme oder Verfahren, nicht das Konzept der Verschlüsselung schlechthin.
Pretty Good Privacy (PGP) etwa gilt als Standard zur E-Mail-Verschlüsselung bis heute als sicher und lässt sich mit entsprechender Anleitung durchaus auch von technischen Laien einrichten. Gerade in der Kommunikation von Anwalt und Mandant, die oft lange Zeiträume und zahlreiche Schreiben umfasst, fällt der einmalige Aufwand der Konfiguration im Verhältnis zum Zugewinn an Sicherheit kaum ins Gewicht.
Allerdings, so einer der Vizepräsidenten der BRAK, Martin Abend, seien es oft gerade die Mandanten, denen die Verschlüsselung zu mühselig sei. Das ist zwar paradox, denn schließlich dient das Mandatsgeheimnis ihrem Schutz und nicht dem der Anwälte, zugleich aber wenig überraschend, wenn man auf das gesamtgesellschaftliche Desinteresse an Datenschutz und digitalen Bürgerrechten blickt.
Und so muss man fürchten, dass es auch der von BRAK-Präsident Axel Filges angesprochenen "Allianz der Berufsgeheimnisträger" – neben Anwälten etwa Ärzte, Seelsorger oder Journalisten – an der nötigen politischen Durchsetzungskraft fehlen wird, falls das Gedankenspiel überhaupt je Realität werden sollte. Wo kein Interesse besteht, da lässt sich eben auch keines vertreten.
Constantin Baron van Lijnden, BRAK zu NSA-Skandal: . In: Legal Tribune Online, 12.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11946 (abgerufen am: 02.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag