2/2: Patentinhaber vs. Medikamentenhersteller
§ 24 PatG soll diese widerstreitenden Interessen in Ausgleich bringen. Unter den Voraussetzungen von Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 erteilt das insoweit zuständige BPatG im Einzelfall eine nicht ausschließliche Befugnis, eine Erfindung gewerblich zu benutzen. Der Patentinhaber kann hierfür von dem Zwangslizenznehmer selbstredend eine angemessene Vergütung verlangen (Abs. 5).
Bevor ein Urteil nach § 24 PatG ergehen kann, muss der Kläger sich erfolglos um die Zustimmung des Patentinhabers bemüht haben, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen (Nr.1). Dass der Lizenzsucher das Patent bereits verletzt hat, steht der Erteilung einer Zwangslizenz nicht entgegen. Dass er die Verletzung mithilfe einer Zwangslizenz decken will, genügt allerdings auch nicht.
Vielmehr bedarf es eines öffentlichen Interesses an der Erteilung der Zwangslizenz (Nr. 2), das nicht allein deshalb zu verneinen ist, weil der Lizenzsucher mit dem Antrag auch eigene Vermögensinteressen verfolgt. Es kann auch nicht allein durch die Ausschließlichkeitsstellung des Patentinhabers oder seine tatsächliche Monopolstellung begründet werden.
Das öffentliche Interesse kann vielmehr erst dann berührt sein, wenn besondere Umstände hinzukommen, die die Interessen des Patentinhabers zurücktreten lassen, weil die Belange der Allgemeinheit die Benutzung des Patentes durch den Lizenzsucher gebieten.
Kein gleichwertiges Alternativmedikament auf dem Markt
Der unbestimmte Rechtsbegriff des öffentlichen Interesses muss in jedem Einzelfall unter Abwägung aller dafür oder dagegen sprechenden Gesichtspunkte ausgelegt werden. Weil die Erteilung einer Zwangslizenz erheblich in das verfassungsrechtlich verbürgte ausschließliche Recht des Patentrechtsinhabers eingreift, wäre es beispielsweise nicht verhältnismäßig, eine Zwangslizenz an einem Arzneimittel zu erteilen, wenn das öffentliche Interesse mit gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden könnte.
Um die hier erforderliche Abwägung vornehmen zu können, hatte das BPatG einen Sachverständigen beauftragt zu klären, ob in der Bundesrepublik andere Medikamente mit gleichwertigen Wirkstoffen zur Verfügung stehen, um alle mit dem HI-Virus infizierten Patientengruppen behandeln zu können. Dies hat der Sachverständige im Ergebnis verneint.
Das BPatG hat das öffentliche Interesse dementsprechend bejaht. Es ist zu der Auffassung gelangt, dass das Medikament von bestimmten Gruppen HIV-infizierter und/oder an AIDS erkrankten Patienten aus medizinischen Gründen benötigt werde und diese nicht ohne erhebliche gesundheitliche Risiken auf andere Präparate ausweichen könnten, was insbesondere für Schwangere, Säuglinge und Kinder sowie langjährig gegen HIV behandelte Patienten gelte.
Zudem konnten die klagenden Hersteller glaubhaft machen, dass sie sich erfolglos bemüht haben, von der Patentinhaberin eine weltweite Lizenz zu erhalten. Das Angebot in Höhe von 10 Millionen Euro war den Japanern offenbar zu niedrig.
Mit Blick darauf, dass die Klägerinnen im parallelen Verletzungsverfahren in der anstehenden mündlichen Verhandlung vor dem LG Düsseldorf am 13. September verurteilt werden könnten, es zu unterlassen, ihr Medikament zu vertreiben, hat das BPatG die Sache auch als dringlich erachtet.
Es bleibt nun abzuwarten, ob Shionogi in die nächste Runde geht und Beschwerde** gegen die Entscheidung des BPatG einlegt und wie das Hauptverfahren ausgeht.
Patienten können erst einmal aufatmen
Auch wenn § 24 PatG nicht allzu oft zum Zuge kommt, ist er ein wichtiges Instrument, wenn es um den Ausgleich der oben skizzierten widerstreitenden Interessen der Pharmaunternehmen einerseits und der auf überlebenswichtige Medikamente Angewiesenen andererseits geht. Denn man kann davon ausgehen, dass allein die Möglichkeit einer Zwangslizenz bei den allermeisten Patentinhabern zu einer erhöhten Bereitschaft führt, Lizenzverträge abzuschließen.
Für Patienten mit einer AIDS-Erkrankung bedeutet die Entscheidung zunächst einmal, dass ihre Therapie mit dem streitgegenständlichen Medikament – bis auf weiteres – gesichert ist. Das Risiko, gegen den dort verwendeten Wirkstoff Raltegravir eine Resistenz zu entwickeln und auf ein derzeit in Deutschland nicht vorhandenes Präparat ausweichen zu müssen, bleibt jedoch bestehen.
Die Autorin Elisa Beckamp, LL.M. (Medienrecht) ist Rechtsanwältin am Düsseldorfer Standort von EIP Europe LLP, einer IP-Boutique mit dem Schwerpunkt Patentrecht und Büros in Großbritannien, den USA und Deutschland.
*Aktenzeichen korrigiert am 05.09.2016, 11.15 Uhr
** Hier war zunächst von einer "Rechtsbeschwerde" die Rede, geändert am 05.09.2016, 11.16 Uhr
BPatG erteilt Benutzungserlaubnis für AIDS-Medikament: . In: Legal Tribune Online, 02.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20462 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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