Das BPatG hat über einen Eilantrag mehrerer Medikamentenhersteller entschieden. Es ging um nichts weniger als die Gesundheitsversorgung im Land. Elisa Beckamp zu einem Verfahren mit eklatanter Bedeutung für AIDS-Patienten in Deutschland.
In dem Hauptsacheverfahren 3 Li 1/16 begehren verschiedene Unternehmen der US-amerikanischen Konzerngruppe Merck & Co. eine Zwangslizenz an dem europäischen Patent 1 422 218 (DE 602 42 459.3) des japanischen Pharmazieunternehmens Shionogi & Co. Ltd. auf ein AIDS-Medikament.
Die Patentinhaberin hatte die Unternehmen zuvor vor dem Landgericht (LG) Düsseldorf (Az. 4c O 48/15) auf Unterlassung verklagt, weil sie der Ansicht ist, dass diese durch die Herstellung und den Vertrieb eines bestimmten HIV/AIDS-Medikamentes in Deutschland das besagte Patent verletzen.
Vor dem Bundespatentgericht (BPatG) wollen die klagenden Unternehmen die Erteilung einer Zwangslizenz nach § 24 Patentgesetz (PatG) erreichen. Gleichzeitig begehrten sie im Wege des Eilverfahrens gemäß § 85 PatG die vorläufige gerichtliche Anordnung einer Benutzungserlaubnis für ihr Medikament.
Sie argumentieren, in Deutschland drohten andernfalls schwerwiegende Nachteile für AIDS-Patienten, die auf dieses angewiesen sind. Andere gleichwertige AIDS-Medikamente seien in der Bundesrepublik nicht verfügbar, weshalb zu befürchten sei, dass die Gesundheitsversorgung erheblich beeinträchtigt werde, wenn sie das Präparat nicht mehr vermarkten dürften. Insbesondere für Säuglinge und Kinder stehe kein geeignetes Ausweichmedikament zur Verfügung.
Dieser Auffassung ist das BPatG am Mittwoch gefolgt und hat die beantragte Zwangslizenz vorläufig erteilt (Urt. v. 31.08.2016, Az. 3 LiQ 1/16). Eine Zwangslizenzerteilung ist in der Geschichte des Gerichtes bis dato erst einmal vorgekommen (Urt. v. 07.06.1991, Az. 3 Li 1/90*). Die damalige Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) in der Berufungsinstanz gleich wieder kassiert (Urt. v. 05.12.1995, Az. X ZR 26/92).
Patientengesundheit vs. Unternehmenswirtschaftlichkeit
HIV/AIDS ist nach wie vor ein globales Thema. Auch wenn die Zahl der Neuinfektionen seit Jahren stetig zurückgeht, leiden weltweit rund 40 Millionen Menschen an AIDS. Auch in Deutschland stecken sich zwar immer weniger Menschen mit dem Virus an, für rund 83.400 Betroffene gehört der Kampf gegen die Krankheit jedoch zum Alltag.
HIV-Infizierte, die medikamentös behandelt werden, können mittlerweile weitestgehend ohne Einschränkungen leben. Da die Patienten häufig Resistenzen entwickeln, sind sie allerdings darauf angewiesen, dass neue Wirkstoffe entwickelt werden und daher die Forschung auf diesem Gebiet vorangetrieben wird. Infizierte haben zudem ein Interesse an Medikamenten zu erschwinglichen Preisen – nicht nur in ärmeren Ländern sind die Kosten für eine erfolgreiche Behandlung von den Patienten bisweilen kaum zu stemmen. Grund hierfür ist oftmals, dass die Hersteller als Monopolisten die Preise bestimmen können.
Im Gegensatz zu den berechtigten Interessen der HIV-Infizierten und bereits an AIDS Erkrankten steht das ebenfalls nachvollziehbare, wenn auch vergleichsweise weniger integre Interesse der Pharmaunternehmen. Sie leisten die dringend erforderliche und allseits geforderte, oft jahrelang dauernde Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Dabei müssen sie zusehen, dass sich diese rentiert und die Kosten für die dafür aufgewendeten Ressourcen amortisiert werden. Bisweilen führt die Forschung aber auch zu keinem ver- beziehungsweise anwendbaren Ergebnis und die Investition war umsonst.
Indem im Gegenzug für die Offenbarung einer Erfindung ein Patent erteilt wird, soll dem Interesse der Entwickler entsprochen werden. Doch ein Patent zuzulassen kostet ebenfalls Zeit und Geld. Und natürlich will ein Unternehmen an seinen Produkten auch etwas verdienen.
Häufig bleibt den Herstellern allerdings nur etwa die Hälfte der mit der Anmeldung beginnenden gesetzlichen Laufzeit von 20 Jahren, um die Patente wirtschaftlich zu nutzen. Denn um effektiven Schutz zu gewährleisten werden Patente auf pharmazeutische Produkte in der Regel bereits angemeldet, lange bevor sie alle vorgeschriebenen Tests durchlaufen haben und auf den Markt kommen können. Das Patent später anzumelden würde das Risiko erhöhen, dass der Wirkstoff anderswo entwickelt und offengelegt wird und damit zum Stand der Technik gehört, also nicht mehr neu ist (vgl. § 1 Abs. 1 PatG).
2/2: Patentinhaber vs. Medikamentenhersteller
§ 24 PatG soll diese widerstreitenden Interessen in Ausgleich bringen. Unter den Voraussetzungen von Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 erteilt das insoweit zuständige BPatG im Einzelfall eine nicht ausschließliche Befugnis, eine Erfindung gewerblich zu benutzen. Der Patentinhaber kann hierfür von dem Zwangslizenznehmer selbstredend eine angemessene Vergütung verlangen (Abs. 5).
Bevor ein Urteil nach § 24 PatG ergehen kann, muss der Kläger sich erfolglos um die Zustimmung des Patentinhabers bemüht haben, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen (Nr.1). Dass der Lizenzsucher das Patent bereits verletzt hat, steht der Erteilung einer Zwangslizenz nicht entgegen. Dass er die Verletzung mithilfe einer Zwangslizenz decken will, genügt allerdings auch nicht.
Vielmehr bedarf es eines öffentlichen Interesses an der Erteilung der Zwangslizenz (Nr. 2), das nicht allein deshalb zu verneinen ist, weil der Lizenzsucher mit dem Antrag auch eigene Vermögensinteressen verfolgt. Es kann auch nicht allein durch die Ausschließlichkeitsstellung des Patentinhabers oder seine tatsächliche Monopolstellung begründet werden.
Das öffentliche Interesse kann vielmehr erst dann berührt sein, wenn besondere Umstände hinzukommen, die die Interessen des Patentinhabers zurücktreten lassen, weil die Belange der Allgemeinheit die Benutzung des Patentes durch den Lizenzsucher gebieten.
Kein gleichwertiges Alternativmedikament auf dem Markt
Der unbestimmte Rechtsbegriff des öffentlichen Interesses muss in jedem Einzelfall unter Abwägung aller dafür oder dagegen sprechenden Gesichtspunkte ausgelegt werden. Weil die Erteilung einer Zwangslizenz erheblich in das verfassungsrechtlich verbürgte ausschließliche Recht des Patentrechtsinhabers eingreift, wäre es beispielsweise nicht verhältnismäßig, eine Zwangslizenz an einem Arzneimittel zu erteilen, wenn das öffentliche Interesse mit gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden könnte.
Um die hier erforderliche Abwägung vornehmen zu können, hatte das BPatG einen Sachverständigen beauftragt zu klären, ob in der Bundesrepublik andere Medikamente mit gleichwertigen Wirkstoffen zur Verfügung stehen, um alle mit dem HI-Virus infizierten Patientengruppen behandeln zu können. Dies hat der Sachverständige im Ergebnis verneint.
Das BPatG hat das öffentliche Interesse dementsprechend bejaht. Es ist zu der Auffassung gelangt, dass das Medikament von bestimmten Gruppen HIV-infizierter und/oder an AIDS erkrankten Patienten aus medizinischen Gründen benötigt werde und diese nicht ohne erhebliche gesundheitliche Risiken auf andere Präparate ausweichen könnten, was insbesondere für Schwangere, Säuglinge und Kinder sowie langjährig gegen HIV behandelte Patienten gelte.
Zudem konnten die klagenden Hersteller glaubhaft machen, dass sie sich erfolglos bemüht haben, von der Patentinhaberin eine weltweite Lizenz zu erhalten. Das Angebot in Höhe von 10 Millionen Euro war den Japanern offenbar zu niedrig.
Mit Blick darauf, dass die Klägerinnen im parallelen Verletzungsverfahren in der anstehenden mündlichen Verhandlung vor dem LG Düsseldorf am 13. September verurteilt werden könnten, es zu unterlassen, ihr Medikament zu vertreiben, hat das BPatG die Sache auch als dringlich erachtet.
Es bleibt nun abzuwarten, ob Shionogi in die nächste Runde geht und Beschwerde** gegen die Entscheidung des BPatG einlegt und wie das Hauptverfahren ausgeht.
Patienten können erst einmal aufatmen
Auch wenn § 24 PatG nicht allzu oft zum Zuge kommt, ist er ein wichtiges Instrument, wenn es um den Ausgleich der oben skizzierten widerstreitenden Interessen der Pharmaunternehmen einerseits und der auf überlebenswichtige Medikamente Angewiesenen andererseits geht. Denn man kann davon ausgehen, dass allein die Möglichkeit einer Zwangslizenz bei den allermeisten Patentinhabern zu einer erhöhten Bereitschaft führt, Lizenzverträge abzuschließen.
Für Patienten mit einer AIDS-Erkrankung bedeutet die Entscheidung zunächst einmal, dass ihre Therapie mit dem streitgegenständlichen Medikament – bis auf weiteres – gesichert ist. Das Risiko, gegen den dort verwendeten Wirkstoff Raltegravir eine Resistenz zu entwickeln und auf ein derzeit in Deutschland nicht vorhandenes Präparat ausweichen zu müssen, bleibt jedoch bestehen.
Die Autorin Elisa Beckamp, LL.M. (Medienrecht) ist Rechtsanwältin am Düsseldorfer Standort von EIP Europe LLP, einer IP-Boutique mit dem Schwerpunkt Patentrecht und Büros in Großbritannien, den USA und Deutschland.
*Aktenzeichen korrigiert am 05.09.2016, 11.15 Uhr
** Hier war zunächst von einer "Rechtsbeschwerde" die Rede, geändert am 05.09.2016, 11.16 Uhr
Elisa Beckamp, LL.M., BPatG erteilt Benutzungserlaubnis für AIDS-Medikament: Mit Zwang zum Ziel . In: Legal Tribune Online, 02.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20462/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag