Botox-Behandlung: Warum Heil­prak­tiker dürfen, was Zah­n­ärzten unter­sagt ist

Dr. Dirk Webel, LL.M. oec.

20.04.2011

Auch Zahnärzte stehen unter steigendem Kostendruck. Nach dem Bleaching, das mittlerweile zum zahnärztlichen Alltag gehört, bieten manche nun auch Botox-Behandlungen im Gesichtsbereich an. Dies hat das VG Münster gestern aber untersagt. Eine konsequente Entscheidung, meint Dirk Webel, der erklärt, warum die Lippe die Grenze des Zahnmediziners ist.

Ein forcierter Wettbewerb und empfindlicher Kostendruck führen immer öfter dazu, dass medizinische Leistungserbringern ihr Leistungsangebot auch auf den nicht-medizinischen, vornehmlich kosmetischen Bereich erstrecken. Für Ärzte gilt das ebenso wie für Zahnärzte – man denke nur an das so genannte Bleaching, das inzwischen zum Alltag in Zahnarztpraxen gehört.

Während sich diese kosmetischen Leistungen jedoch noch im originären Tätigkeitsbereich des Zahnarztes bewegen, gehen einige Zahnärzte in jüngerer Vergangenheit dazu über, ihre Leistungen auch im Gesichtsbereich anzubieten. Sie offerieren Faltenunterspritzungen mit Botox oder Hyarol.

Ob Zahnärzte solche Leistungen aber überhaupt erbringen dürfen, hat schon mehrfach die Gerichte beschäftigt. Grund sind vor allem die nicht unerheblichen Gefahren solcher Behandlungen: "Abhängig vom verwendeten Stoff können bei der Behandlung Nebenwirkungen wie lokale Schmerzen, Hämatome an der Injektionsstelle, Wundinfektionen, Unverträglichkeitsreaktionen, wie etwa bei einer Überempfindlichkeit gegen Hühnereiweiß, Fremdkörpergranulome oder diffuse granulomatöse Gewebereaktionen, Lymphknotenschwellungen u. a. auftreten, deren Ursache auch häufig die Injektion des Füllmaterials in die falsche Hautschicht sowie die Injektion zu großer Volumina in einer Sitzung ist" (so Oberverwaltungsgericht  Nordrh.-Westf., Beschl. v. 28.04.2006, Az. 13 A 2495/03; Verwaltungsgerichtshof Bad.-Württ., Beschl. v. 10.07.2006, Az. 9 S 519/06).

Besondere Kenntnisse für besonders gefährliche Behandlungen

Wegen der besonderen Gefährlichkeit der Behandlung sind daher "genaueste Kenntnisse über den Aufbau und die Schichten der Haut sowie über den Verlauf von Blutgefäßen, Nervenbahnen und Muskelsträngen in dem für die Behandlung vorgesehenen Gesichtsbereich wie z. B. bei der Injektion von Botulinum-Toxin, bei der schon geringe Ungenauigkeiten zu Gesichtslähmungen und -asymmetrien führen können, nötig" (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.07.2006, Az. 9 S 519/06).

Dass der Zahnarzt als solcher über diese Kenntnisse nach Ansicht der Rechtsprechung nicht verfügt, ist besonders im Oktober 2010 durch eine Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf deutlich geworden. Das Gericht erließ gegen einen Zahnarzt einen Strafbefehl, weil er zur Ausübung dieser Tätigkeit nicht berechtigt gewesen sei (Urt. v. 30.10.2007, Az. 10 Js 274/07). Wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz (HPG) musste der Dentist eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 150,00 Euro zahlen. Die Schönheitsbehandlung kam ihn also mit insgesamt 9.000,00 Euro Geldstrafe relativ teuer zu stehen.

Vor diesem Hintergrund ist nun eine Zahnärztin aus der Umgebung von Bielefeld in die Offensive gegangen. Sie beantragte vor dem Verwaltungsgericht (VG) Münster die Feststellung, dass ihre Approbation sie zur Erbringung von Botox-Behandlungen (und Mesotherapie) berechtige. Die beklagte Zahnärztekammer Westfalen-Lippe war hingegen der Auffassung, als Zahnmedizinerin sei die Klägerin nur berechtigt, Zähne, Mund und Kiefer zu behandeln. "Wenn wir davon Kenntnis bekommen, dass ein Zahnarzt ohne Heilpraktiker-Erlaubnis Falten im Gesicht unterspritzt, hätten wir das berufsrechtlich zu ahnden", so der zuständige Kammerjurist.

Die Grenze ist die Lippe

Am gestrigen Dienstag entschied nun das VG Münster (Az. 7 K 338/09): Zahnärzte dürfen ihren Patienten kein Botox unter die Haut spritzen. Man könne sich zwar trefflich darüber streiten, ob Lippen aufgespritzt werden können. Aber alles, was noch weiter vom Mund entfernt sei, falle eindeutig in die Zuständigkeit von Heilpraktikern oder allgemeinen Ärzten, so die Begründung.

Der Blick auf die rechtlichen Hintergründe dieser Entscheidung macht deutlich, dass in der Tat die Lippe die Grenze des Zahnmediziners markiert. Die Approbation als Zahnarzt ändert daran nichts.

Das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde schreibt vor: Wer die "Zahnheilkunde" dauernd ausüben will, bedarf einer Approbation als Zahnarzt (vgl. § 1 Abs. 1). Die Ausübung der Zahnheilkunde erfasst dabei die berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten.

Was der Zahnarzt darf: Zahnheilkunde

Der Begriff der Zahnheilkunde definiert den Bereich, innerhalb dessen ein Zahnarzt Behandlungen anbieten darf. Überschreitet er mit den von ihm angebotenen Behandlungsmaßnahmen diese Grenzen, liegt darin nicht nur eine unerlaubte Ausübung der (allgemeinen) Heilkunde (§ 1 Abs. 1 und. 3 HPG). Der Dentalmediziner handelt vielmehr auch wettbewerbswidrig.

Im Rahmen eines Wettbewerbsprozesses sah sich daher bereits das OLG Zweibrücken (OLG, Urt. v. 21.08.1998, Az.  2 U 29/97) dazu veranlasst, die Zuständigkeiten des Zahnarztes, die Zahnheilkunde, nach Körperregionen auszudifferenzieren. Im Ergebnis stellten die Richter OLG fest, dass die Versorgung von Gesichtswunden und die Diagnose von Hautveränderungen im Gesicht außerhalb des Bereichs der Zahnheilkunde liegt. Unter gewissen Einschränkungen sei bei bestimmten chirurgischen Behandlungen sogar ein begleitender Übergriff auf die Gesichtsoberfläche nicht zu beanstanden.

Die Lippe als Grenze festzulegen, jedenfalls die rein kosmetische Behandlung außerhalb dieser Grenzlinie nicht mehr der "Zahnheilkunde" zuzuordnen, deckt sich also ohne Weiteres mit der einschlägigen Rechtsprechung.

Warum dem Zahnarzt untersagt ist, was der Heilpraktiker darf

Es mag auf den ersten Blick verwundern, wenn ein modernes Botox-Facelifting nach dem "Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung" definiert wird - erst recht wenn der "Heilpraktiker" dürfen soll, was dem approbierten Zahnarzt untersagt ist. In der Fortführung der einschlägigen Rechtsprechung war es jedoch durchweg konsequent, dass das westfälische Verwaltungsgericht der Zahnärztin die undifferenzierte Botox-Behandlung im Gesichtsbereich  untersagt hat. Die vor dem VG Münster ins Spiel gebrachte Approbation der Zahnärztin ändert hieran nichts. Die Behandlung erfolgt im Gesichtsbereich, also außerhalb der Zahnheilkunde und damit außerhalb der Qualifikation, die eine Zahnärztin mit ihrer Approbation nachweisen kann.

Damit hat sich auch die approbierte Zahnärztin an den Maßstäben zu orientieren, die für den Heilpraktiker nach dem HPG gelten. Wenn der Gesetzgeber mit dem HPG seinerzeit die verbreitete "Kurpfuscherei" unterbinden wollte, entspricht dieses Ansinnen nach wie vor dem Zeitgeist. Das HPG erlebt gerade in den aktuellen Graubereichen eine nachhaltige Renaissance.

Die heutigen so genannten Wunderheiler werden ebenso nach den Maßstäben des HPG beurteilt wie etwa die Akupunktur oder das Piercing. Besondere Bedeutung erlangt das Heilpraktikergesetz beim Einsatz von risikobehafteten Therapien auch bei gesunden Menschen, also vor allem im kosmetischen Bereich. Im Mittelpunkt steht dabei immer der durch besondere Kenntnis und Qualifikation zu gewährleistende Gesundheitsschutz. Und: Wer die Kenntnisse nachweist und damit eine Erlaubnis (nach Maßgabe des § 1 HPG) erlangt, darf auch Botox spritzen – das gilt auch für den Zahnarzt.

Der Autor Dr. Dirk Webel, LL.M. oec., ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht bei Meyer-Köring Rechtsanwälte & Steuerberater in Bonn. Einer seiner Schwerpunkte liegt in der Beratung von Zahnärzten, er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen im medizinrechtlichen Bereich.

 

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Zitiervorschlag

Botox-Behandlung: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3087 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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