BMJ zum Werbeverbot bei Abtreibungen: Mit dem § 219a StGB soll auch die Unsi­cher­heit ver­schwinden

von Dr. Markus Sehl

17.01.2022

Der erste Entwurf für ein Gesetz aus dem Haus des neuen Justizministers fällt kurz und deutlich aus. Die Strafvorschrift zur Werbung für den Schwangerschaftsabbruch soll ersatzlos wegfallen, andere Fragen zum Thema bleiben weiter offen.

Der Änderungsbefehl im ersten Referentenentwurf aus dem mit Marco Buschmann (FDP) neu besetzten Bundesjustizministerium (BMJ) ist denkbar knapp und klar: "Der Entwurf sieht vor, § 219a StGB ersatzlos aufzuheben." Bislang stellt der Paragraph im Strafgesetzbuch (StGB) die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe. Als Werbung gelten dabei schon ausführliche Informationen über verschiedene Methoden des Schwangerschaftsabbruchs sowie die damit jeweils verbundenen Risiken.

Durch die Streichung der Strafvorschrift soll "Ärztinnen und Ärzten Rechtssicherheit beim Umgang mit sachlichen Informationen gegeben und für betroffene Frauen ein ungehinderter Zugang zu diesen Informationen gewährleistet werden", heißt es in dem zehnseitigen Referentenentwurf, der LTO vorliegt.

Abschaffung mit Ansage

Die Änderung kommt nicht überraschend. SPD, Grüne und FDP hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass "Ärztinnen und Ärzte in Zukunft öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können sollen, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen." Es hatte sich in den vergangenen Wochen und Tagen abgezeichnet, dass der neue Bundesjustizminister hier schnell handeln würde.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hatte die Pläne der Bundesregierung vor einigen Tagen noch kritisiert. "In der Gesamtkonzeption des Abtreibungsrechts trägt das Werbeverbot zu einer objektiven und seriösen Beratung und Information der Frau in einer Konfliktsituation bei", schrieb der katholische Bischof in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung.

Am Montag betonte Buschmann bei der Vorstellung des Entwurfs in Berlin, es dürfe nicht sein, dass jedermann im Internet alle möglichen Dinge über Schwangerschaftsabbrüche verbreiten dürfe, nur die dafür besonders qualifizierten Fachleute nicht, sagte Buschmann in Berlin. "Die Situation für die betroffene Frau ist schwierig genug – wir dürfen sie nicht noch erschweren." Anpreisende oder grob anstößige Werbung bleibe nach dem ärztlichen Standesrecht weiterhin ausgeschlossen.

Auch im Entwurf heißt es dazu: "Es gibt daher keine Anhaltspunkte, dass nach der Aufhebung der Strafnorm des § 219a StGB werbende Handlungen für den straffreien Schwangerschaftsabbruch in einem Ausmaß erfolgen, das dem Schutz des ungeborenen Lebens zuwiderläuft."

Entschärfung der Strafvorschrift und Verfassungsbeschwerden

Nachdem unter anderem die Gießener Ärztin* Kristina Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, entschärfte die Große Koalition 2019 den Paragraphen etwas. Doch es folgten weitere Verurteilungen von Frauenärzt:innen. Inzwischen sind mehrere Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe anhängig.

Erst seit der Gesetzesänderung im Jahr 2019 dürfen Praxen, etwa auf ihrer Webseite, überhaupt darüber informieren, dass sie solche Eingriffe vornehmen. Weitere Auskünfte, beispielsweise über die Art der Abbrüche, blieben aber weiterhin untersagt.

Ein Anlauf der SPD zur Abschaffung des Paragraphen war in der vergangenen Legislaturperiode am Widerstand des damaligen Koalitionspartners, der Union, gescheitert. "Wir hätten den frauenfeindlichen Paragrafen gerne schon vor Jahren gestrichen", sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese Ende Dezember. "Die Ampel-Koalition bringt endlich den gesellschaftlichen Fortschritt, den CDU/CSU jahrelang verhindert haben."

Auf Nachfragen bei der Vorstellung des Entwurfs am Montag zur Verfassungsmäßigkeit der Änderung verwies Buschmann darauf, dass der Schritt in seinem Haus sorgfältig geprüft worden und der § 219a StGB nicht Teil des verpflichtenden Schutzkonzeptes sei.

Die bisher letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Schwangerschaftsabbruch liegen mehrere Jahrzehnte zurück. Das BVerfG hatte seine Urteile von 1975 und 1993 auf die staatliche Schutzpflicht für Leben und Würde des Embryos gestützt. Diese Schutzpflicht müsse der Staat auch gegenüber der Schwangeren durchsetzen, so die Verfassungsrichterinnen und -richter. Es bestehe deshalb eine grundsätzliche Pflicht des Staates, den Schwangerschaftsabbruch zu verbieten und die Frau zur Austragung der Schwangerschaft zu verpflichten.

Der Entwurf aus BMJ wird nun mit den anderen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt. Danach geht er an die Länder und die Verbände.

Auch Änderungen beim Schutzkonzept Schwangerschaftsabbruch?

Die Reformpläne der neuen Ampel-Koalition könnten noch weiter reichen. Im Koalitionsvertrag findet sich auch der Satz: "Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen wird." Steht also womöglich noch eine Reform aus, die nicht bei der Entkriminalisierung der Werbung Halt macht?

"Frauen haben keine Gebärpflicht", sagt die Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Dr. Ulrike Lembke, im Interview mit LTO am Montag. "Um reproduktive Gesundheit zu verwirklichen, müssen Schwangerschaftsabbrüche durchaus geregelt werden, aber nicht wie bisher. Zugang zu Informationen, ein plurales Beratungsangebot und Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischen Standards sind im internationalen menschenrechtlichen Diskurs anerkannt."

Nachfragen nach weiteren Reformen rund um den Schwangerschaftsabbruch wich Buschmann am Montag aus. Mögliche weitere Gesetzesänderungen zu Fragen der reproduktiven Medizin werde eine Kommission vorbereiten, sagte der Justizminister. Dazu gehöre beispielsweise auch eine bessere Unterstützung für ungewollt kinderlose Paare.

*Anm. d. Red. 18.01.2022, 9.10 Uhr: Zunächst hieß es an dieser Stelle "Frauenärztin"

Zitiervorschlag

BMJ zum Werbeverbot bei Abtreibungen: . In: Legal Tribune Online, 17.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47230 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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