Bundesinnenminister Horst Seehofer will klären lassen, wie mit Beamten umzugehen ist, die sich in einer extremistischen Gruppierung betätigen. Dabei ist die Verfassungstreue für Beamte seit langem geklärt, erläutert Klaus Herrmann.
Für Berufsbeamte und Beschäftigte im öffentlichen Dienst, für Soldaten und Richter gelten die Anforderungen an die Verfassungstreue als leicht einsehbare und selbstverständliche Pflichten. Gleichmäßig und vorhersehbar wendet auch die Rechtsprechung die über Jahre entwickelten und bewährten Maßstäbe für die Treuepflicht an. So dürfen zum Beispiel ein Polizeikommissar nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) keine Nazitätowierungen tragen (Urt. v. 17.11.2017, Az. 2 C 25/17) oder Polizeivollzugsbeamte nicht die Reichsbürgerideologie nachahmen (Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 15.03.2018, Az.10 L 9/17). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigte die Amtsenthebung eines ehrenamtlichen Richters beim Arbeitsgericht, der über Jahre als Mitglied einer Neonazi-Rockband auftrat (Beschl. v. 06.05.2008, Az. 2 BvR 337/08).
Die Rechtsprechung ist sich einig: Nach ihrem Wortlaut und Sinngehalt verlangt die Treue zur Verfassung, dass jeder Bedienstete sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Vorgesetzte müssen bei extremistischen Aktivitäten sofort intervenieren, sonst begehen sie selbst ein Dienstvergehen.
Klare Vorgaben vom BVerfG seit 1975
Diese Anforderungen der Disziplinargerichte gehen auf die Maßstäbe zurück, die das BVerfG 1975 im "Radikalen"- Beschluss festgelegt hat (Beschl. v. 22.05.1975, Az. 2 BvL 13/73). Spätestens danach war allgemein geklärt, dass die Verfassungstreue zu den von Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) garantierten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt und Voraussetzung für die Berufung zum Beamten, Richter oder Soldaten (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 Bundesbeamtengesetz, BBG, § 7 Abs. 1 Nr. 2 Beamtenstatusgesetz, BeamtStG, § 9 Nr. 2 Deutsches Richtergesetz, DRiG, § 37 Abs. 1 Nr. 2 Soldatengesetz, SG) ist. Sie gilt als ständige Dienstpflicht für Beamte (§ 60 Abs. 1 S. 3 BBG, § 33 Abs. 1 S. 2 BeamtStG) und Richter sowie Soldaten (§ 1 Abs. 1 S. 2, § 8 SG).
Angestellte im öffentlichen Dienst schulden ebenso ein Mindestmaß an Verfassungstreue. Auch für sie gilt das Verbot, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (Bundesarbeitsgericht, BAG, Urt. v. 06.09.2012, Az. 2 AZR 372/11). Im Urteil zum Streikverbot zählt das BVerfG die Verfassungstreue des Beamten zum unveränderbaren Kern der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Urt. v. 12.06.2018, Az. 2 BvR 1738/12 ua.), der nur noch durch eine Verfassungsänderung umgestaltet werden könnte.
Bloße Mitgliedschaft in politischer Partei ist nicht pflichtwidrig
Weder für die Treuepflicht noch für die Neutralitätspflicht stellt die Mitgliedschaft eines Beamten in einer politischen Partei ein Problem dar. Das gilt für jede politische Partei, solange sie nicht verboten ist, selbst wenn sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Nach einer Entscheidung des BVerwG ist die Treuepflicht eines Beamten noch nicht widerlegt, wenn er eine bestimmte Überzeugung hat oder rechts- oder linksextremistische Literatur liest (Urt. v. 27.11.1980, Az. 2 C 38/79): "Auch die Mitgliedschaft in einer Partei mit Zielen, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind, schließt nicht zwingend ein verfassungstreues Verhalten aus."
Anderes gilt jedoch, wenn jemand aus seiner verfassungsfeindlichen politischen Überzeugung Folgerungen für die Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten zieht: Die Kandidatur zu Kommunal- oder Parlamentswahlen für eine solche Partei oder deren Gruppierungen, die Herausgabe und Verteilung von Flugblättern mit verfassungsfeindlichen Inhalten – heute würde man Posts und Tweeds auswerten – rechtfertigen die Versagung eines Beamtenverhältnisses. Nach der neuesten Rechtsprechung kann eben auch das bloße "Zeigenkönnen" der politischen Einstellungen durch großflächige Tätowierungen für eine schwere Verletzung der Verfassungstreuepflicht genügen. Diese Grundsätze gelten schon seit Jahrzehnten. Insofern ist fragwürdig, was die vom Bundesinnenministerium angekündigte "abstrakte Klärung" der Treuepflicht nun bewirken soll.
Jeder darf erlaubten Parteien beitreten – auch Beamte und Co.
Dieses Verständnis der Treuepflicht stellt jedenfalls keine Benachteiligung bestimmter politischer Parteien und einzelner Beamter aus politischen Gründen dar: In eine – nicht verbotene – Partei können auch Beamte, Soldaten und Richter eintreten. Zwischen der Ausübung des "aktiven Status" als Staatsbürger und den Anforderungen an Beamte ist aber zu unterscheiden (BVerfG, Beschl. v. 22.05.1975, Az. 2 BvL 13/73).
Die politische Willensbildung des Volkes obliegt in erster Linie den Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) und ist gegenüber jedem staatlichen Einfluss durch eine strikte Neutralitätspflicht geschützt. So entschied das BVerfG, dass die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka nicht eine Pressemitteilung mit der Überschrift "Rote Karte für die AfD" hätte herausgeben dürfen[TP1] (Urt. v. 27. 02.2018, Az. 2 BvE 1/16). Umgekehrt muss jeder Bedienstete, der "sozusagen als Staat Befehle geben kann" (BVerfG, Urt. v. 27.04.1959, Az. 2 BvF 2/58), diese strikte Neutralität im äußeren Auftreten einhalten und sich mit den Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung „ohne innere Distanz“ identifizieren können (BVerwG, Urt. v. 17.11.2017, Az. 2 C 25/17). Die Befugnis eines demokratischen Staates, von seinen Beamten die Treue zu den grundlegenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, ist auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Beschränkung der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit anerkannt. Wer diese Beschränkungen für sich nicht akzeptiert, ist als Repräsentant der Staatsgewalt nicht tragbar.
Kein aktueller Rechtfertigungsbedarf für Verfassungstreue
Welche Pflichten Beamten konkret beim Engagement in einer politischen Partei erfüllen müssen, die sich womöglich auch als "Alternative" zur bestehenden Verfassungsordnung begreift, lässt sich anhand der seit Jahren geltenden Maßstäbe leicht ermitteln und muss deshalb nicht lange untersucht werden. Es gibt auch keine Unklarheit über die abstrakt gefassten Rechtsnormen zur Verfassungstreue: Das BVerfG hält die berufs- und beamtenrechtlichen Generalklauseln gerade auch vor dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) für zulässig. Eine vollständige Aufzählung der mit einem Beruf verbundenen Pflichten in jeder Lebenssituation sei nicht nötig. Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um Normen, die nur den Kreis der Berufsangehörigen betreffen, sich aus der ihnen gestellten Aufgabe ergeben und daher für sie im Allgemeinen leicht erkennbar (BVerfG, Urt. v. 06.05.2008, Az. 2 BvR 337/08).
Insofern ist Zurückhaltung empfohlen, sollte hinter dem Gutachtenauftrag das Bemühen stehen, ein Regelungsbedürfnis zu unterstellen oder sichtbar zu machen. In der Praxis haben sich die aufgezeigten Kriterien bewährt und in der Rechtsprechung sind sie gut anwendbar.
Der Autor Prof. Dr. Klaus Herrmann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der auf das öffentliche Recht spezialisierten Kanzlei Dombert Rechtsanwälte in Potsdam. Er ist Mitautor eines Lehrbuchs zum Beamtendisziplinarrecht, Honorarprofessor für Wirtschaftsverwaltungsrecht an der BTU Cottbus-Senftenberg und Lehrbeauftragter für öffentliches Dienstrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Verfassungstreue-Check für Beamte: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33943 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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