Lufthansa und BER prüfen Schadensersatzklagen wegen Beeinträchtigung des Flugbetriebes. Der Bundesjustizminister warnt die Aktivisten vor hohen Summen. Doch müssen diese wirklich haften?
Die "Letzte Generation" polarisiert. Das gilt auch für die jüngsten Aktionen auf deutschen Flughäfen. Ende November blockierten die Aktivisten der "Letzten Generation" Rollfelder des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER). 14 Flüge der Lufthansa Group mussten gestrichen werden. Auch auf dem Flughafen München klebten sich Aktivist:innen auf ein Rollfeld, dort kam es allerdings zu keinen Ausfällen.
Im Fokus der juristischen Debatte stehen bislang die strafrechtliche Verantwortlichkeit und der polizeirechtliche Präventivgewahrsam. Die Aktivist:innen zeigen sich vom strafrechtlichen Instrumentenkasten allerdings unbeeindruckt. Das soll sich nun etwa nach den Vorstellungen des Bundesjustizministers durch Aktivierung des Zivilrechts ändern:
"Wer Flughäfen blockiert, der muss wissen, dass er zum Teil erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Da kommen sehr große Geldbeträge zusammen", behauptet Buschmann, die die Schädiger unter Umständen "ein Leben lang abzutragen haben". Zuvor hatten die Lufthansa AG und die Betreiberin des BER, die FBB GmbH, angekündigt, eine Schadensersatzklage gegen sechs Aktivist:innen der "Letzten Generation" wegen "Beeinträchtigung des Flugbetriebes" zu prüfen.
Zivilrechtlicher Schadensersatz kennt keine Verhältnismäßigkeit
Mit dem Zivilrecht kommen Schadensersatzansprüche aufs Tapet, die individuell deutlich härter treffen können als Geld- oder Freiheitsstrafen. Das Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kommt – anders als das Öffentliche Recht mit seinen "verhältnismäßigen Lösungen" – mit seinem Alles-oder-Nichts-Ansatz sehr schneidig daher: Ist ein Deliktstatbestand verwirklicht (§§ 823 ff. BGB), löst dies die volle Schadensersatzfolge aus (§§ 249 ff. BGB). Zu ersetzen wäre dann auch ein entgangener Gewinn (§ 252 BGB), der bei einem lahmgelegten Flughafen in Form des Betriebsausfallschadens schnell in die Millionen gehen kann.
Die Härte des Deliktsrechts gilt umso mehr, als Forderungen aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen nicht unter die Restschuldbefreiung fallen (§ 302 Nr. 1 InsO); sie könnten einen Schuldner in der Tat lebenslang belasten, wie Buschmann anmerkt.
Doch über den Umfang der Haftung zu sprechen heißt, den zweiten Schritt vor dem ersten machen zu wollen. Zunächst müsste natürlich die Haftung im Grundsatz überhaupt bejaht werden, also ein deliktischer Tatbestand verwirklicht sein. In Betracht kommen hier eine Eigentumsverletzung, eine Schutzgesetzverletzung, eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung und ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
Keine Verletzung des Eigentums oder des berechtigten Besitzes
Das Eigentum und der berechtigte Besitz gehören zu den geschützten Rechtsgütern, deren Verletzung Schadensersatzverpflichtungen auslösen kann (§ 823 I BGB).
Zwar gewährt das Eigentum dem Inhaber eine Nutzungsfunktion (§ 903 BGB). Allerdings löst die bloße Beeinträchtigung des Sachgebrauchs (§ 100 BGB) typischerweise „nur“ einen Vermögensschaden aus. Eine Eigentumsverletzung ist insofern nur unter qualifizierten Voraussetzungen anerkannt. Der BGH prüft insbesondere, ob der Gebrauch vollständig unmöglich gemacht wird und ob eine unmittelbare Einwirkung auf die Sache vorliegt.
Seit dem Fleet-Fall (Urt. v. 21.12.1970, Az. II ZR 133/68) ist höchstrichterlich anerkannt, dass nicht nur eine Substanzbeeinträchtigung, sondern auch eine Nutzungsaufhebung eine Eigentumsverletzung begründen kann. Erst kürzlich hat der BGH bestätigt, dass es insofern nicht zwingend auf die zeitliche Dauer der Nutzungsaufhebung ankommt. Vielmehr sei die Intensität maßgeblich, sodass auch eine kurzzeitige vollständige Nutzungsaufhebung ausreichend sein kann (Urt. v. 27.09.2022, Az. VI ZR 336/21). Dabei ging es um durch einen Unfall blockierte Straßenbahngleise, was einen Schadensersatzanspruch des Straßenbahnbetreibers begründet. Im entschiedenen Fall war der Straßenbahnbetreiber Eigentümer der Gleise.
Es liegt in der Logik der Rechtsprechung, den Schutz auch auf den berechtigten Besitz an einer Sache (z.B. infolge eines Miet- oder Pachtverhältnisses) zu erstrecken. Dies wird relevant, wenn der Geschädigte nicht Eigentümer der blockierten Sache ist, wie dies etwa aufgrund einer Konzernaufspaltung zwischen Betriebs- und Immobiliengesellschaften bei einer (angemieteten) Rollbahn der Fall sein kann. Um Wertungswidersprüche zwischen Besitz- und Eigentumsschutz zu vermeiden, müssten dabei laut BGH aber dieselben hohen Verletzungsanforderungen gelten.
Vollständige Nutzungsaufhebung?
Eine Eigentumsverletzung bzw. Verletzung des berechtigten Besitzes setzt auch nach der jüngsten BGH-Entscheidung weiterhin eine vollständige Nutzungsaufhebung der gesamten Sache voraus. Demgegenüber reicht es nicht aus, wenn nur die Möglichkeit ihrer Nutzung vorübergehend eingeengt bzw. nur die Mehrzahl ihrer Verwendungsmodalitäten oder -zwecke ausgeschlossen sind, die das Einsatzpotenzial der Sache aber nicht vollständig erschöpfen.
Dabei ist zwischen Flugzeugen und Rollbahn zu differenzieren:
Zwar waren die Flugzeuge für eineinhalb Stunden lahmgelegt, allerdings nicht durch unmittelbare Einwirkung der Aktivist:innen (kein Ankleben ans Flugzeug).
Was die Rollbahn anbelangt, haben die Aktivist:innen zwar unmittelbar auf Besitz und Eigentum der Rollbahn durch Ankleben eingewirkt und das Starten und Landen von Flugzeugen und damit die wichtigste Art der Nutzung der Rollbahn vorübergehend unmöglich gemacht. Jedoch konnte die nur punktuell mit Aktivist:innen beklebte Rollbahn in ihren freien Teilen noch ohne Weiteres zum Parken, Betanken und Rangieren von Flugzeugen oder zum Transport von Passagieren, Gepäck und Treibstoff genutzt werden. Eine vollständige Nutzungsaufhebung liegt damit bei der Rollbahn ebenfalls nicht vor.
Eine Haftung der Aktivist:innen wegen Verletzung des Eigentums oder berechtigten Besitzes scheidet aus diesem Grund also aus.
Verletzung eines Vermögensschutzgesetzes nicht ersichtlich
Im Deliktsrecht kann eine Schadensersatzpflicht auch dann entstehen, wenn ein sogenanntes Schutzgesetz verletzt wird (§ 823 Abs. 2 BGB). Klassisches Beispiel dafür sind etwas das Kündigungsschutzgesetz, aber auch Strafgesetze.
Im konkreten Fall ist an einen Eingriff in den Luftverkehr nach § 315 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) zu denken. Das würde voraussetzen, dass die Blockade zu einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder fremde Sachen geführt hat ("Beinahe-Unfall"). Die Letzte Generation hatte vor der Blockade jedoch die Polizei informiert, so dass dies vermieden wurde.
Eine verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB), ein Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und eine Ordnungswidrigkeit nach § 108 Abs. 1 Nr. 8 iVm § 46 Abs. 4 Luftverkehrszulassungsordnung (LuftVZO) dürften angesichts des unbefugten Eindringens auf das Gelände zwar zu bejahen sein. Die Tatbestände schützen aber ausschließlich das Besitz- und Hausrecht und nicht etwaige Vermögensinteressen.
Die Nötigung (§ 240 StGB) lässt bei der Flughafenblockade jedenfalls nicht so einfach bejahen wie bei Straßenblockaden, wie auch Thomas Fischer in einer LTO-Kolumne angemerkt hat. Dort werden die Autofahrer erst ab der "zweiten Reihe" durch Gewalt genötigt (durch die Vorderautos). Die Flugzeuge bekamen während der Aktion zwar keine Starterlaubnis, waren aber nicht gleichermaßen physisch blockiert. Abgesehen davon würde es nicht genügen, wenn jemand im Tower oder Cockpit genötigt worden wäre, es käme für den Betriebsausfallschaden auf die juristischen Personen an.
Abwägung macht vorsätzliche sittenwidrige Schädigung unwahrscheinlich
Auch eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB kommt in Betracht. Die Aktion war wegen des Hausfriedensbruchs rechtswidrig; ein Betriebsausfallschaden dürfte billigend in Kauf genommen worden sein (dolus eventualis). Doch es müsste auch die darüberhinausgehende Schwelle zur Sittenwidrigkeit überschritten worden sein. Der unmittelbare Zweck (Störung des Flugbetriebs) und das Mittel (Blockade) sind angesichts des erheblichen wirtschaftlichen Schadens und des unbefugten Betretens des Sicherheitsbereichs des Flughafens disproportioniert. Das mittelbare Ziel (Klimaschutz, Art. 20a GG) ist dagegen ehrenwert.
Wie ist das Mittel zu qualifizieren, verstößt es tatsächlich gegen das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" oder ist es – je nach befragter Bevölkerungsgruppe – gar eine "coole Aktion"? Auf die empirische Mehrheitsmeinung kommt es freilich nicht an, entscheidend ist eine normative Wertung.
Anders als bei beschmierten Ölgemälden besteht immerhin ein sachlicher CO2-Zusammenhang zwischen Flughafenblockade und Klimaschutz. Eine konkrete Gefährdung Dritter wurde durch Vorabinformation der Polizei vermieden. Die Blockade war zeitlich beschränkt. Kommunikationsgrundrechte sind ebenfalls in die Abwägung einzustellen. Eine Parallele zu rechtswidrigen Flughafenstreiks bietet sich an: Diese sind bei vergleichbaren Schadensfolgen nicht eo ipso sittenwidrig. Anders als bei Streiks, sind den Aktivist:innen altruistische Motive zugute zu halten. Letztlich ist es eine Abwägungsfrage, in der die besseren Argumente klar gegen eine Sittenwidrigkeit sprechen.
(Anm. d. Redaktion: Einen Kommentar von Prof. Dr. Michael Heese, der die Sittenwidrigkeit bejaht, lesen Sie hier).
Bei Lufthansa nur fremde Infrastruktur betroffen
Möglicherweise liegt jedoch ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vor. Dieser ist als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Geschützt ist die Unternehmensgesamtheit, ihr Funktionieren und ihre wirtschaftliche Tätigkeit. Eine Fallgruppe betrifft Betriebsblockaden.
Allerdings ist die Betriebsbeeinträchtigung wegen Nicht-Nutzbarkeit fremder Infrastruktur (Straßen, Schienen, Wasserwege) nicht vom Schutzbereich umfasst. So liegt kein Eingriff in einen Transportbetrieb vor, wenn dessen Elektrolok elf Stunden lang an einer konkret geplanten Fahrt gehindert ist, weil die Gleise beschädigt wurden. Mit Blick auf die Flugzeuge der Lufthansa folgt daraus: Sie benötigen fremde Infrastruktur, um sich fortzubewegen; wegen der relativ kurzen Immobilisierung wird indes die Eingriffsschwelle nicht erreicht.
Auch darf der Schutz nicht in einen allgemeinen deliktischen Vermögensschutz für Gewerbetreibende ausufern. Er gilt daher nur für unmittelbar betriebsbezogene Eingriffe, die den Gewerbebetrieb als solchen treffen, nicht hingegen für Beeinträchtigungen, die lediglich ablösbare Rechte und Rechtsgüter tangieren. Werden nur einzelne Arbeitskräfte, Maschinen oder Fahrzeuge betroffen, liegt kein betriebsbezogener Eingriff vor.
Auch Beeinträchtigung des Rechts am Gewerbebetrieb des BER-Betreibers scheidet aus
Allerdings könnte die Rollbahnblockade in den Gewerbebetrieb des BER-Betreibers, der FBB GmbH, eingreifen. Anders als bei Boykottaufrufen, welche ein Unternehmen als solches adressieren, betrifft die Blockade der Rollbahn nur einen – wenn auch wesentlichen – Teil, aber eben nicht den Gesamtbetrieb "Flughafen" als solchen. Der Terminalbetrieb etwa blieb unberührt. Gleichwohl könnte der betroffene Teil so wesentlich sein, dass er gerade nicht ablösbar ist, sondern auf den Gesamtbetrieb durchschlägt.
Dagegen spricht jedoch entscheidend, dass die Rollbahn eine Sache ist, die ihrerseits bereits über das Eigentum eigenständig schutzfähig ist. Sie unterscheidet sich damit von Eingriffen in den Kundenstamm, den Goodwill oder das Knowhow, die von den absoluten Rechten in § 823 Abs. 1 BGB nicht eigenständig und daher über den Gewerbebetrieb erfasst werden. Wenn nun aber im Rahmen des spezielleren Schutztatbestandes „Eigentum“ mangels hinreichender Nutzungsaufhebung gerade keine Verletzung bejaht werden kann (s.o.), kann derselbe Lebenssachverhalt u.E. erst recht nicht zugleich den – gegenüber dem Eigentumsschutz subsidiären – Gewerbebetriebstatbestand verwirklichen. Die Wertung, wonach bei Sachen, in deren Substanz nicht eingegriffen wurde, nur die vollständige Aufhebung der bestimmungsgemäßen Nutzung deliktsrelevant ist, muss auch beim Gewerbebetrieb einfließen, sofern dieser nicht in seiner Gesamtheit, sondern wie hier lediglich in einem Eigentumsbestandteil betroffen ist.
Auf die im konkreten Fall des BER weitere Problematik, dass der Betreiber (FBB GmbH) zwar Muttergesellschaft des Flughafenkonzerns ist, diesem aber nicht zugleich die Flughafen-Grundstücke gehören, kommt es daher nicht mehr an. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in derartigen Fällen der Aufspaltung des Gewerbebetriebs die Konzernmutter keine Schäden der Tochtergesellschaften geltend machen kann, da sie umgekehrt auch nicht für deren Verhalten haftet.
Ergebnis: Schadensersatzhaftung der Aktivisten unwahrscheinlich
Die Blockade des Flughafens Berlin-Brandenburg war rechtswidrig und mag strafrechtlich geahndet werden. Das allein löst jedoch noch keine Deliktshaftung für Betriebsausfallschäden aus. Ob die Sittenwidrigkeitsschwelle in § 826 BGB überschritten wurde, ist eine Abwägungsfrage, die aufgrund der Kürze des Eingriffs und den Zielen der Organisation gerade im Vergleich zu eigennütziger Blockade durch Bestreikung nicht überzeugend bejaht werden kann. Ein nach § 823 Abs. 1 BGB deliktsrelevanter Eingriff in den Gewerbebetrieb der Lufthansa AG oder der FBB GmbH kann ebenfalls nicht begründet werden.
Die angekündigten Schadensersatzklagen von Lufthansa und dem Flughafenbetreiber haben daher wohl geringe Erfolgsaussichten. Entsprechend hält auch die Warnung des Bundesjustizministers, die Aktivst:innen müssten ggf. ein Leben lang hohe Schadenssummen abzahlen, unserer rechtlichen Analyse nicht stand.
Ein solches Ergebnis ist auch keineswegs systemfremd. Eine Haftung für reine Vermögensschäden, wie sie hier in Rede stehen, ist im deutschen System der drei kleinen deliktischen Generalklauseln eine Ausnahme.
Der Autor Prof. Dr. Marc-Philippe Weller ist Direktor am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg.
Die Autorin Camilla Seemann studiert Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg und ist Mitarbeiterin am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht.
Die Verf. danken Moritz Böbel, Vincent Hoppmann, Dr. Sophia Schwemmer und Dr. Anton Zimmermann für wertvolle Hinweise.
* Textfassung vom 21. Januar 2023. Überarbeitet wurde im Hinblick auf jüngere Rechtsprechung die Passage zur Eigentumgsverletzung. Zuvor hieß es, bei einer kurzfristigen Eigentumsenziehung scheide eine solche aus.
Lufthansa und BER prüfen Schadensersatzklage: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50515 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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