BGH zur Gesellschafterhaftung: Alte Mäntel können teuer sein

von Dustin Schwerdtfeger

08.05.2012

Mit einem aktuellen Urteil beseitigt der BGH das Schreckgespenst der Endloshaftung von Gesellschaftern bei der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH. Sie haften für Unterbilanzierung, danach ist Schluss. Gewisse Risiken durch Altverbindlichkeiten aber bleiben, warnt Dustin Schwerdtfeger.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Ende April veröffentlichten Urteil vom 6. März 2012 (Az. II ZR 56/10) entschieden, dass es für die Frage der Haftung von Gesellschaftern bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung einer Gesellschaft darauf ankommt, ob im Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung nach außen in Erscheinung tritt, eine Deckungslücke zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und ihrem satzungsmäßigen Stammkapital bestanden hat.

Für eine solche Deckungslücke (Unterbilanzierung) haften die neuen Gesellschafter, so die Karlsruher Richter. Eine zeitlich unbegrenzte Haftung der Gesellschafter für alle Neuverbindlichkeiten seit Aktivierung der Geschäftstätigkeit lehnen sie hingegen ab.

Die wirtschaftliche Neugründung und ihre Risiken

Die Figur der so genannten wirtschaftlichen Neugründung hat die Rechtsprechung anknüpfend an Missbrauchsfälle entwickelt. Sie liegt vor, wenn eine nicht mehr aktiv am Geschäftsverkehr teilnehmende oder eine zunächst nur als rechtliche Hülle gegründete Gesellschaft von neuen Gesellschaftern erworben und sodann mit einem neuen Unternehmen ausgestattet wird, indem die Satzung geändert und die Geschäftsführung ausgewechselt wird. In diesen Fällen verlangt die Rechtsprechung, dass dem Registergericht der wirtschaftliche Neuanfang der Gesellschaft offengelegt wird. Außerdem muss die Geschäftsführung entsprechend § 8 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) eine Versicherung über den ungeschmälerten Bestand des Stammkapitals abgeben.

Stark umstritten war bislang der Umfang dieser Haftung, wenn die wirtschaftliche Neugründung nicht offengelegt worden war. Die bisherigen Urteile des BGH zur Verwendung einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft ließen den Schluss zu, dass die Gesellschafter in diesen Fällen unbegrenzt für alle Verluste haften sollten, die seit der Aufnahme der neuen Geschäftstätigkeit entstanden waren, unabhängig davon, ob bei erneuter Geschäftsaufnahme das satzungsmäßige Stammkapital vorhanden gewesen ist.

Deckungslücke zwischen Gesellschaftsvermögen und Stammkapital?

Der Fall, über den der BGH zu entscheiden hatte, war ein beinahe schon idealtypischer.

Der Insolvenzverwalter einer wieder aktivierten GmbH verlangte von deren einziger Gesellschafterin, für sämtliche zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen einzustehen. Die ursprünglich 1993 gegründete Gesellschaft hatte im Jahr 2003 alle Geschäftsaktivitäten eingestellt und verfügte über kein nennenswertes Vermögen mehr. 2004 wurden die Geschäfte nach Änderungen der Firma, des Sitzes sowie des Unternehmensgegenstandes wieder aufgenommen. Die neue Geschäftsführung meldete diese Änderungen zwar beim zuständigen Handelsregister an, wies aber nicht ausdrücklich auf die wirtschaftliche Neugründung hin. Anschließend erwarb die beklagte  Gesellschafterin den einzigen Geschäftsanteil der GmbH.

Sowohl das Oberlandesgericht (OLG) München als auch der BGH sahen in der erneuten Geschäftsaufnahme 2004 eine wirtschaftliche Neugründung der Gesellschaft. Entgegen der Ansicht des OLG München entschieden die Karlsruher Richter aber nun, dass es für die Frage der Haftung der Gesellschafter bei unterbliebener Offenlegung ausschließlich darauf ankommt, ob in dem Moment, in dem die wirtschaftliche Neugründung nach außen in Erscheinung tritt, eine Deckungslücke zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigen Stammkapital vorgelegen hat.

Dann sollen die Gesellschafter für die Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des in der Satzung ausgewiesenen Stammkapitals haften (Unterbilanzhaftung). Eine weitergehende, zeitlich unbegrenzte Verlustdeckungshaftung hat der II. Zivilsenat dagegen abgelehnt. Damit folgt der BGH einer im Nachhinein umso bemerkenswerteren Entscheidung des Kammergerichts (KG) Berlin vom 7. Dezember 2009 (Az. 23 U 24/09). Die Berliner Richter hatten bereits seinerzeit mit beachtlichen Argumenten die oftmals dramatischen Folgen einer zeitlich unbeschränkten Haftung zu begrenzen versucht.

Reduzierte Haftung, aber ein Restrisiko bleibt

Die höchstrichterliche Entscheidung reduziert die Haftungsrisiken für Gesellschafter bei unterlassener Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung deutlich.

Sie ist konsequent, weil sie die Risiken der Vertragspartner bei einer wirtschaftlichen Neugründung ebenso verteilt wie bei einer anfänglichen Neugründung. Wird eine GmbH neu gegründet, können die Vertragspartner von Rechts wegen ebenfalls lediglich erwarten, dass die GmbH bei ihrer Entstehung über das satzungsmäßige Stammkapital verfügt. Für danach eintretende Verluste haften die Gesellschafter hingegen ebenfalls grundsätzlich nicht persönlich. Gleichwohl birgt  der Erwerb eines vormals inaktiven ("gebrauchten") GmbH-Mantels Risiken. Die Gefahr, dass bei einer wirtschaftlichen Neugründung unentdeckte Verbindlichkeiten bestehen, die das Gesellschaftsvermögen schmälern und folglich die Differenz zum satzungsmäßigen Stammkapital vergrößern, besteht auch im Rahmen der Unterbilanzhaftung. Eine sorgfältige Prüfung der letzten Bilanz und aller Geschäftsvorgänge vor der Übernahme ist daher das Mindeste, um diese Risiken zu verringern. Schließlich ist bei alten Mänteln niemand gern verschwenderisch.

Der Autor Dustin Schwerdtfeger ist Rechtsanwalt bei Mc Dermott, Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP am Standort Düsseldorf. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Gesellschaftsrecht, M&A sowie Private Equity.

Zitiervorschlag

Dustin Schwerdtfeger, BGH zur Gesellschafterhaftung: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6155 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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