BGH entwickelt Sachmängelgewährleistung weiter: Käufer kann auch nach Nach­er­fül­lungs­ver­such noch neue Sache ver­langen

"Die Kupplung ist überhitzt, bitte halten Sie für mindestens 45 Minuten an" – das ist nicht das, was man sich vom neuen BMW wünscht. Es ist auch ein Mangel, selbst wenn an der Warnung gar nichts dran ist. Der BGH präzisiert das Kaufrecht.

Der Kläger hatte im Jahr 2012 von BMW einen neuen BMW-Geländewagen gekauft, der im September des Jahres geliefert wurde. Schon ab Anfang 2013 allerdings musste der X3 xdrive20 wiederholt in die BMW-Werkstatt, weil mehrfach die Kupplungsüberhitzungswarnanzeige blinkte: Eine Warnmeldung forderte den Fahrer auf, das Fahrzeug vorsichtig anzuhalten, um die Kupplung (bis zu 45 Minuten) abkühlen zu lassen. Alle Werkstattaufenthalte halfen nichts. Im Juli 2013 verlangte der Käufer schließlich die Lieferung eines mangelfreien Neufahrzeuges.

BMW aber stellte sich auf den Standpunkt, dass es gar keinen Mangel gebe: Die Kupplung sei technisch einwandfrei und könne auch im Fahrbetrieb abkühlen; man habe dem Käufer mehrfach mitgeteilt, er müsse das Fahrzeug nicht während der Fahrt anhalten, wenn die Warnmeldung der Kupplungsüberhitzungsanzeige erscheine. Während des anschließend geführten Rechtsstreits gab der Käufer das Auto im Oktober 2014 im Rahmen eines Kundendienstes in eine BMW-Werkstatt. BMW behauptet, dabei sei ein zwischenzeitlich zur Verfügung stehendes Software-Update mit einer korrigierten Warnmeldung aufgespielt worden.

Das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth (Urt. v. 30.12.2015, Az. Az. 9 O 8893/13) hat die Klage des Käufers auf Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs mit recht schlanker Begründung abgewiesen, das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg dagegen hat auf seine Berufung hin BMW verurteilt, ihm Zug um Zug gegen Rückübereignung des gekauften ein neues Fahrzeug zu liefern (Urt. v. 20.2.2017, Az. 14 U 199/16). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Vorliegen eines Mangels bestätigt – und gleich nochmal grundlegende Rechtsprechung zum Kaufrecht hinterher geschoben (Urt. v. 24. 10. 2018, Az. VIII ZR 66/17. 

Irreführende Warnmeldung ist ein Mangel

Zwar hat der u.a. für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat die Sache wegen eines weiteren Gutachtens in die Berufungsinstanz zurückverwiesen, sich aber in der Mehrzahl der aufgeworfenen Rechtsfragen dem käuferfreundlichen Standpunkt des OLG angeschlossen.

Beim Sachmangel waren die Karlsruher Richter ihrer Pressemitteilung zufolge eher großzügig, sie verorten ihn nämlich in der Warnmeldung selbst. "Denn die Software der Kupplungsüberhitzungsanzeige blendete eine Warnmeldung ein, die den Fahrer zum Anhalten aufforderte, um die Kupplung abkühlen zu lassen, obwohl ein Anhalten tatsächlich nicht erforderlich war", heißt es in der Pressemitteilung. Damit eigne das Fahrzeug sich weder für die gewöhnliche Verwendung noch weise es eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die ein Käufer nach Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB). Der Senat hebt hervor, dass das auch gelten soll, wenn der Verkäufer gleichzeitig auch der Hersteller des Wagens ist, eine besser informierte und verbindlichere Auskunft also kaum noch vorstellbar ist.

Hier kann man sich die gegenteilige Argumentation mindestens genauso gut vorstellen, zumal wenn gerade nicht die Kupplung schadhaft ist, sondern nur die Warnung vor einem Schaden die Besorgnis des Fahrers begründet. Umso sorgfältiger wird also nun der Hersteller eines komplizierten Produkts auf das komplikationsfreie Zusammenspiel aller Komponenten bis in die Details möglicher Warnmeldungen achten müssen. Denn selbst eine "herstelleramtliche" nachträgliche Information lässt, was in den Händen eines vorsichtigen Endverbrauchers als Mangel erscheint, nicht nachträglich wieder entfallen.

Nacherfüllungsanspruch nicht bindend: Käufer kann auch nach Reparaturversuch noch Lieferung mangelfreier anderer Sache verlangen

Der BMW-Fahrer hat grundsätzlich auch einen Anspruch auf Lieferung eines anderen Autos. Diesem Anspruch auf Nacherfüllung (§ 437 Nr. 1 BGB) durch Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) steht laut dem Senat nicht entgegen, dass er den Mangel zuerst beseitigen lassen wollte (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB), also zunächst eine andere Art der Nacherfüllung verlangt hatte.

Der BGH schreibt damit seine Rechtsprechung zum Sachmängelgewährleistungsanspruch des Käufers auf Lieferung einer mangelfreien Sache fort.

Im Mai 2018 hatte der Senat nämlich entscheiden, dass, wer den Kaufpreis einer defekten Sache mindert, später nicht wegen desselben Mangels den Kaufvertrag rückabwickeln kann, indem er Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangt. Anders als die Ausübung des Rücktritts- oder Minderungsrechts sei jedoch die Ausübung des Nacherfüllungsanspruchs gesetzlich nicht als bindende Gestaltungserklärung ausgeformt. Und somit ist, so der Senat, der Käufer auch nicht daran gehindert, von der zunächst gewählten Art der Nacherfüllung wieder Abstand zu nehmen.

Verkäufer darf Mangel nicht nachträglich auf eigene Faust beseitigen

Und so kamen die Karlsruher Richter zu einer Folgefrage, die den Rechtsstreit richtig interessant macht: Wie wirkte sich das von BMW behauptete Aufspielen einer neuen Softwareversion, die die Kupplungsüberhitzungsanzeige ändert, auf den zunächst bestehenden Gewährleistungsanspruch aus?

Auch hier stellt sich der BGH auf die Seite des Käufers. Der dürfe an seiner Wahl der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung auch dann festhalten, wenn der Mangel nachträglich ohne sein Einverständnis beseitigt wird, so der Senat. Ohne vorherige Zustimmung des Käufers spielt für Deutschlands höchste Zivilrichter dann auch erst mal gar keine Rolle, ob BMW den irreführenden Warnhinweis tatsächlich während des Rechtsstreits durch Aufspielen einer korrigierten Version der Software beseitigt hat.

Wie auch schon zuvor das OLG hat der BGH damit einer einseitigen Mangelbehebung des Verkäufers im Nachhinein einen Riegel vorgeschoben; die Ausübung des Wahlrechts bei der Mangelbeseitigung bleibt beim Käufer, wie das Gesetz es vorsieht. Ohne dessen Zustimmung zur Reparatur kann der Verkäufer nicht selbst die Regie über die Art der Gewährleistung an sich reißen.

Das ist konsequent mit Blick auf die gesetzgeberische Zuweisung des Wahlrechts an den Verkäufer, bleibt aber in Konstellationen wie der hier entschiedenen irritierend: Unterstellt, BMW hat durch das Software-Update tatsächlich die Warnmeldung beseitigt, dann würde im Ergebnis der Verkäufer für die – wenn auch eigenmächtige – Herstellung eines vertragsgemäßen Zustands sanktioniert. Immerhin muss er einen heute sechs Jahre alten Wagen zurücknehmen und dafür einen neuen Pkw liefern.

Braucht man das?

Eine Chance bleibt BMW im entschiedenen Fall noch, um die Lieferung eines neuen  Geländewagens vielleicht doch noch abzuwenden. Der bayerische Autobauer macht nämlich geltend, die Ersatzlieferung eines neuen Autos sei im Verhältnis zu den Kosten eines bloßen Software-Updates unverhältnismäßig teuer (§ 439 Abs. 4 S. 1 BGB).

Egal ist dem Senat zwar auch in diesem Kontext, ob BMW den Mangel nachträglich im Jahr 2014 beseitigt hat, denn für den Unverhältnismäßigkeitseinwand kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs des Nacherfüllungsverlangens an, hier also den Juli 2013, als der Käufer die Lieferung eines neuen Fahrzeugs verlangte.

Aber vielleicht kann BMW noch nachweisen, dass auch das Software-Update den Mangel vollständig beseitigt. Denn zwar darf der Verkäufer den Käufer nicht über den Einwand der Unverhältnismäßigkeit doch wieder auf die Nacherfüllung verweisen, wenn er den Mangel damit nicht vollständig, nachhaltig und fachgerecht beheben würde. Ob das aber nicht, wie von BMW vorgetragen, doch noch klappen könnte, muss nun noch ein Gutachter klären.

Aus studentischer Sicht dürfte es sich lohnen, die Entscheidung auf dem Schirm zu behalten. Ob eine Warnung an sich ein Mangel ist, auch wenn das, wovor sie warnt, gar nicht existiert, ist skurril genug, um interessant für Prüfungen zu sein. Mal ganz davon abgesehen, dass man die neueste Rechtsprechung des BGH zum Kaufrecht ohnehin kennen sollte.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main.

Zitiervorschlag

BGH entwickelt Sachmängelgewährleistung weiter: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31687 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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