2/2: Normabweichung an sich noch kein Mangel
Ergänzend zieht der BGH die übliche Beschaffenheit im Sinne von § 434 I 2 Nr. 2 BGB als Maßstab heran, gelangt aber auch mit diesem Ansatz zu keinem anderen Ergebnis. Dass ein Tier in jeder Hinsicht der physiologischen Norm entspreche, könne ein Käufer nicht erwarten. Eine Normabweichung ist also nicht an sich ein Mangel. Das ist überzeugend, denn die "Norm" ist letztendlich das Konstrukt der biologischen oder tiermedizinischen Wissenschaft. Auch diese kann aber letztlich nur aus vielen empirischen Beobachtungen einen Durchschnitt ermitteln, ohne dass eine Abweichung hiervon per se als "krank" zu bewerten wäre.
Dass auch für ein hochpreisiges Dressurpferd nichts anderes gilt, stellt das Gericht ausdrücklich fest. Das ist wenig überraschend. Während bei einem unbelebten Industrieprodukt die Qualitätsanforderungen und –erwartungen mit dem Preis steigen mögen, ist das bei einem lebendigen Tier nicht sinnvoll. Der Verkäufer kann das Tier zwar professionell und maximal schonend behandeln und in jeglicher Hinsicht ärztlich untersuchen lassen, aber es bleibt doch ein "Naturprodukt". Gegen zunächst folgenlose Normabweichungen muss sich der Käufer also anders absichern.
Auch über die Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs kommt der BGH zu keinem anderen Ergebnis. Dafür hätte der Pferdeverkäufer als Unternehmer iSd § 14 BGB einzuordnen sein müssen. Dann wäre nach der Vermutungsregel in § 476 BGB vom Bestehen des Mangels bei Gefahrübergang – also in der Regel der Übergabe des Kaufgegenstands an den Käufer – auszugehen. Dazu muss nicht nur der Käufer Verbraucher iSd § 13 BGB sein, sondern auch der Verkäufer Unternehmer nach § 14 BGB.
Reitlehrer ist kein Unternehmer
Letzteres hat der BGH in diesem Fall verneint. Das Gericht lässt den „allenfalls äußerlichen“ Zusammenhang zwischen seiner beruflichen Tätigkeit als Reitlehrer und Pferdeausbilder einerseits und der Ausbildung und dem Verkauf des Pferds andererseits nicht ausreichen, um eine selbständige berufliche Tätigkeit anzunehmen, wie sie § 14 BGB voraussetzt.
Das wirkt zugunsten des Verkäufers. Das Oberlandesgericht (OLG) München hatte in der Vorinstanz noch die Unternehmereigenschaft bejaht, wenn auch mit recht knapper Begründung: Der selbständige und umsatzsteuerpflichtige Verkäufer habe mit dem Verkauf eines von ihm zugerittenen Pferds zwar nicht seine gewöhnliche Tätigkeit ausgeübt, aber doch ein Geschäft, das nicht weit von dieser entfernt lag. Das überzeugt nicht zuletzt deshalb, weil die berufliche Reputation eines Pferdetrainers mit einem bei Grand-Prix-Turnieren erfolgreichen Tier durchaus steigen dürfte. Den BGH reichte diese Begründung aber nicht.
Auf den ersten Blick erscheint der Standpunkt des BGH überraschend streng; für eine nähere Einschätzung wird man aber die Argumentation der Entscheidungsgründe abwarten müssen. Und auf die neue Verhandlung beim OLG. Das muss ohnehin noch klären, ob die Probleme des Pferdes auf eine falsche reiterliche Behandlung durch den Käufer zurückzuführen sind.
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main.
Roland Schimmel, Mangelgewährleistung beim Tierkauf: . In: Legal Tribune Online, 19.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25127 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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