Wer den Kaufpreis einer defekten Sache mindert, kann später nicht wegen desselben Mangels den Kaufvertrag rückabwickeln, indem er Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangt. Stephan Lorenz über eine konsequente Entscheidung des BGH.
Im Kern des Falles steht ein "Montagsauto": Die Gesellschaft, die bis zum Bundesgerichtshof klagte, ist Leasingnehmerin eines Fahrzeugs, der Beklagte dessen Verkäufer. Das Fahrzeug wies über einen Zeitraum von 5 Monaten verschiedene Mängel auf, die der Verkäufer jeweils behob. Die Leasingnehmerin erklärte daraufhin unter Bezugnahme auf die offenkundige Fehleranfälligkeit des Fahrzeugs die Minderung des Kaufpreises um 20 Prozent.
Aber es wurde nicht besser: Anschließend weiter auftretende Mängel wurden wiederum vom Verkäufer behoben. Dann platzte der Leasingnehmerin offenbar der Kragen: Sie stellte ihr bislang auf anteilige Rückzahlung des Kaufpreises nach Minderung gestütztes Klagebegehren (materieller Anspruch aus § 441 Abs. 4 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) dahingehend um, dass sie nun den sog. großen Schadensersatz (Schadensersatz statt der ganzen Leistung, § 437 Nr. 3, § 281 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 BGB) verlangt.
Sie wollte nun also neben der Rückgewähr des Kaufpreises auch noch den Ersatz des ihr durch die Nichterfüllung weiter entstandenen Schadens erreichen. Das hat ihr der u.a. für das Kaufrecht zu-ständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs – anders als die Vorinstanzen – aber am Mittwoch versagt (BGH, Urt. v. 09.05.2018. Az. VIII ZR 26/17). Die Bundesrichter stellten klar, dass ein Käufer im Anschluss an eine von ihm gegenüber dem Verkäufer bereits wirksam erklärte Minderung des Kaufpreises nicht unter Berufung auf denselben Mangel anstelle oder neben der Minderung den sog. genannten "großen Schadensersatz" und damit die Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangen kann.
Das Problem: "statt zurückzutreten, kann der Verkäufer mindern"
Liegt ein Sachmangel vor, eröffnet das Gewährleistungsrecht eine Reihe von Rechtsbehelfen, die sich zum großen Teil aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht ergeben. Flankiert werden diese von zwei allein im Gewährleistungsrecht zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen. Das ergibt sich klar aus § 437 BGB: Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer zunächst Nacherfüllung verlangen (§§ 437 Nr.1, 439 BGB).
§ 437 Nr. 2 BGB eröffnet die Möglichkeit zum Rücktritt oder zur Minderung. Die beiden dort für die Rücktrittsbegründung angebotenen Vorschriften (§ 323 und § 326 Abs. 5 BGB) unterscheiden sich lediglich durch das Fristsetzungserfordernis: Ist der Mangel behebbar, muss der Käufer zunächst eine Frist zur Nacherfüllung setzen (§ 323 BGB). Ist er das nicht, geht es auch ohne Fristsetzung (§ 326 Abs. 5 BGB).
Der Mangel, auf welchen die Gesellschaft die Minderung stützte, lag in der generellen "Fehleran-fälligkeit" des Fahrzeugs ("Montagsauto") – damit dürfte es sich um einen unbehebbaren Mangel gehandelt haben: Aus einem "Montagsauto" kann man eben nicht ein "Dienstagsauto" machen (auch den Begriff des "Montagsautos" hat der Senat übrigens schon definiert: BGH, Urt. v. 23. Ja-nuar 2013 – Az. VIII ZR 140/12 Rn. 26).
Der Käufer hätte hier also unmittelbar und ohne Fristsetzung den Rücktritt erklären und damit den Vertrag beenden können. Das Minderungsrecht knüpft in § 441 BGB tatbestandlich an das Rück-trittsrecht an: "Statt zurückzutreten, kann der Käufer den Kaufpreis durch Erklärung gegenüber dem Verkäufer mindern".
Minderung und Rücktritt: Die Entscheidung für und gegen die Vertragserhaltung
Will man den vorliegenden Fall verstehen, sollte man sich erst dem Verhältnis zwischen Minderung und Rücktritt zuwenden: Hätte der Käufer nach erklärter Minderung (wegen desselben Mangels!) zurücktreten können?
Dagegen spricht vieles: Zunächst einmal, dass § 441 BGB ausdrücklich das Minderungsrecht alterna-tiv zum Rücktrittsrecht eröffnet ("statt"). Noch wichtiger ist, dass die Minderung ein Gestaltungs-recht ist ("durch Erklärung") und Gestaltungen zumindest nicht einseitig zurückgenommen werden können.
Diese Wortlautargumente werden zwar in der Literatur teilweise nicht als stichhaltig erachtet, je-doch kommt ein weiterer Wertungsaspekt dazu (auf den sich auch der BGH in seiner Entscheidung vom Mittwoch stützt): Durch die Entscheidung für die Minderung erklärt der Käufer zumindest aus Verkäufersicht gerade auch, an dem Vertrag trotz des Mangels endgültig festhalten zu wollen. Die Minderung ist also nicht (wie in der Literatur von namhaften Autoren vertreten) lediglich eine Vor-stufe zum Rücktritt, bei der zunächst einmal der Kaufpreis reduziert wird. Sie ist die Endstufe.
Minderung und Schadensersatz statt der ganzen Leistung
Die Käuferin - oder ihr Anwalt - war aber schlauer: Da ihm wohl bewusst war, dass der Weg zum Rücktritt versperrt war, hat er den Weg des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung gewählt. Bei dieser, in § 281 Abs. 1 S. 2, 3 und Abs. 5 BGB (und über die Verweisungen in § 283 S. 2 und § 311a Abs. 2 S. 3 BGB) ausdrücklich vorgesehenen Variante des Schadensersatzes liquidiert der Käufer nicht den mangelbedingten Minderwert der Kaufsache (wie beim sog. kleiner Schadensersatz), sondern verlangt den gesamten Gegenwert der mangelfreien Sache in Geld. Die mangelhafte Sache muss er im Gegenzug zurückgeben (§ 281 Abs. 5 BGB).
Wirtschaftlich gesehen ist das also eine Kombination von Rücktritt und kleinem Schadensersatz (was § 325 ja auch ausdrücklich gestattet) – also ein "Rücktritt +". Würde man dem Käufer gestat-ten, nach erklärter Minderung im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung auf den großen Schadensersatz überzugehen, hätte er also wirtschaftlich gesehen denselben Effekt erzielt wie bei einer Kombination von Minderung und Rücktritt. Und die ist ja gerade nicht möglich.
Auch hier gilt also: Wer die Minderung erklärt, erklärt bindend seinen Willen, an dem Vertrag fest-halten zu wollen. Er kann damit - wegen desselben Mangels – nicht zum Schadensersatz statt der Leistung übergehen. Er hat, wie der BGH es plastisch ausdrückt, sein Recht zur Lösung vom Vertrag "verbraucht".
Was möglich bleibt
Das Urteil schließt natürlich nicht aus, dass der Käufer nach der Minderung Schadensersatz ver-langt. So kann er selbstverständlich weiter den Ersatz von Begleitschäden, d.h. endgültig entstan-denen Mangelfolgeschäden nach § 280 Abs. 1 BGB geltend machen. Auch der Weg zum Schadens-ersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes steht ihm weiter offen (so schon BGH v. 19.1.2017 - VII ZR 235/15).
Sofern sich über den Minderungsbetrag hinaus ein Schaden in Form des Minderwerts der verkauf-ten Sache ergibt, ist dieser ersetzbar. Soweit sich der Minderungsbetrag und der Unterschied zwi-schen Soll- und Istwert decken, hat der Käufer keinen Schaden. Vorstellbar ist das: Da der Minde-rungsbetrag nach § 441 Abs. 3 BGB nur relativ zu berechnen ist, kann dieser hinter dem mangelbe-dingten Minderwert zurückbleiben, speziell dann, wenn der Käufer für die Sache zu viel bezahlt hatte. Gegen diese Kombination spricht nichts, wenn man sich den Wertungsaspekt bewusst macht: Die durch die Minderung getroffene Entscheidung des Käufers, am Vertrag festzuhalten, wird dadurch nicht in Frage gestellt.
Wohlgemerkt: Das Problem stellt sich nur bei konkurrierenden Rechtsbehelfen bzgl. ein und des-selben Mangels. Hätte die Leasingnehmerin zunächst wegen eines Mangels dieses Montagsautos gemindert, hätte diese Minderung sie nicht daran gehindert, bei Auftreten eines weiteren Mangels wegen dieses vom Vertrag zurücktreten oder Schadensersatz statt Leistung zu fordern.
Der Autor Prof. Dr. Stephan Lorenz ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Ludwig-Maximilian-Universität München und Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Die zitierten Entscheidungen sind auf seiner Homepage www.stephan-lorenz.de abrufbar.
BGH verneint großen Schadensersatz nach Minderung: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28553 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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