Im Zivilprozess sind sie deutlich seltener als im Strafrecht. Vielleicht ist die Unsicherheit im Umgang mit Befangenheitsanträgen darum groß. Benedikt Meyer über eine aktuelle BGH-Entscheidung, die jeder Anwalt und Richter kennen muss.
Bereits im Rahmen des ersten Justizmodernisierungsgesetzes 2004 hat der Gesetzgeber § 47 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) neu gefasst und damit die praktische Handhabung von Ablehnungsanträgen grundlegend verändert. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 kann das Gericht bei einem während der Verhandlung angebrachten Ablehnungsgesuch zunächst weiterverhandeln. Diese Neuregelung soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die Rechtslage im Zivilprozess derjenigen im Strafprozess angleichen und missbräuchlichen Ablehnungsgesuchen vorbeugen, die nur dazu dienen, das Verfahren zu verzögen (BT-Drucks. 15/1508, S. 16).
Nach Aufruf der Sache kann das Gericht deshalb einen Termin wie geplant zu Ende bringen und beispielsweise auch eine Beweisaufnahme durchführen, auch wenn zwischenzeitlich eine der Parteien einen Ablehnungsantrag anbringt. Lediglich am Ende der Verhandlung darf keine Endentscheidung verkündet werden, sondern es ist ein Verkündungstermin anzuberaumen, vor dem rechtskräftig über das Ablehnungsgesuch entschieden werden muss.
Dass diese Regelung nach wie vor nur wenig bekannt ist und in der praktischen Anwendung erhebliche Probleme bereitet, zeigt ein aktueller Beschluss. Erst der Bundesgerichtshof musste klarstellen, dass ein Ablehnungsgesuch zulässig bleibt, auch wenn die Partei danach zur Sache verhandelt (BGH, Beschl. v. 26.04.2016, Az. VIII ZB 47/15).
Eine wenig geschickte "Rechtsberatung" durch das Gericht…
Zugrunde lag geradezu ein Lehrbuchfall zu bereicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnissen: Der Kläger kaufte eine Maschine von der Beklagten und zahlte den Kaufpreis. Noch vor Lieferung verkaufte er die Maschine an einen Dritten weiter, der eine Anzahlung an ihn leistete. Die Beklagte lieferte die Maschine danach direkt an den Dritten, der ihr den Restkaufpreis in bar übergab.
Diesen Betrag verlangte die Klägerin nun als "Schadensersatz" von der Beklagten. Diese weigerte sich u.a. mit der Begründung, sie befürchte Rückforderungsansprüche des Dritten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung wies das erstinstanzliche Gericht darauf hin, dass die Klage mit der Begründung des Klägers (Schadensersatz wegen Nichterfüllung) unschlüssig sei. Er könne die Zahlung des Dritten an die Beklagte aber nach § 185 BGB genehmigen, dann stehe ihm ein Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB zu.
…und leichtes Chaos in der mündlichen Verhandlung
Diese "Rechtsberatung" durch das Gericht nahm die Beklagte zum Anlass, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Der weitere Ablauf der Verhandlung gestaltete sich etwas unübersichtlich: Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass nach dem Ablehnungsantrag nicht weiterverhandelt werden dürfe. Trotzdem erklärten sich beide Parteien nach diesem Hinweis einverstanden mit einem Übergang ins schriftliche Verfahren. Und erst danach verkündete das Gericht per Beschluss, dass die Entscheidung über den Ablehnungsantrag abgewartet werden sollte.
Das Landgericht Kleve als Beschwerdegericht hielt das Ablehnungsgesuch schon für unzulässig. Denn mit der Zustimmung zu einem Übergang ins schriftliche Verfahren habe die Beklagte ihr Ablehnungsrecht gem. § 43 ZPO verloren. Nach der Vorschrift werde unwiderleglich vermutet, dass die Partei mit der Person des Richters einverstanden sei, wenn sie sich in Kenntnis des Ablehnungsgrundes auf die Verhandlung einlasse.
2/2: Weiterverhandeln, ohne zu verhandeln?
Mit dem Sinn und Zweck von § 47 Abs. 2 ZPO scheint diese Ansicht kaum zu vereinbaren. Denn die Regelung soll es dem Gericht gerade ermöglichen, die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zurückzustellen und die Verhandlung weiterzuführen.
Eine Fortsetzung dürfte aber kaum sinnvoll möglich sein, wenn die ablehnende Partei an dieser nicht teilnehmen kann, ohne dass ihr Ablehnungsgesuch unzulässig wird.
Dennoch ist das LG Kleve mit seiner Auffassung nicht allein. Dass eine Partei ihr Ablehnungsrecht verliert, wenn sie nach Anbringung weiterverhandelt, hatte – allerdings noch vor Einführung von § 47 Abs. 2 ZPO – beispielsweise das OLG Düsseldorf entschieden (Beschluss v. 16. 11. 2000, Az. 11 W 82/00). Und auch nach Einführung der Vorschrift wird diese Meinung von gewichtigen Stimmen in der Literatur vertreten.
BGH: Termin wird fortgesetzt, Partei behält Ablehnungsrecht
Die Gegenauffassung hatte erst jüngst das OLG Frankfurt in einem Beschluss vertreten (v. 17.12.2015, Az. 8 W 52/15). Dieser Auffassung hat sich nun auch der BGH angeschlossen und entschieden, dass das Ablehnungsgesuch zulässig bleibt, wenn die Partei danach zur Sache verhandelt. Auch in Zivilsachen kann das Gericht also nach einem Ablehnungsgesuch anordnen, dass der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt wird. Verhandelt die ablehnende Partei danach weiter zur Sache, verliert sie dadurch nicht ihr Ablehnungsrecht.
Zweck der Regelung in § 43 ZPO sei es, die Parteien dazu anzuhalten, Zweifel an der Unbefangenheit des Richters alsbald kundzutun, damit nicht der Rechtsstreit unnötig verzögert und richterliche Arbeitskraft verschwendet wird. Die Vorschrift solle dagegen nicht jedwede Gefahr überflüssiger richterlicher Arbeit im Zusammenhang mit Ablehnungsgesuchen ausschließen, so die Karlsruher Richter. Werde gem. § 47 Abs. 2 ZPO weiterverhandelt, sei dem Gericht bewusst, dass ggf. ein Teil der Verhandlung wiederholt werden muss.
Dass eine Partei ihr Ablehnungsrecht nicht verliere, wenn sie danach weiter verhandele, stehe auch mit § 47 Abs. 2 ZPO im Einklang. Einem Verfahrensbeteiligten sei es nicht zuzumuten, an einer wirksam fortgesetzten Verhandlung nicht teilzunehmen, nur um einen Verlust des Ablehnungsrechts zu verhindern. Denn werde das Gesuch zurückgewiesen, blieben die (unterlassenen) Prozesshandlungen wirksam.
In der Sache hat der BGH das Ablehnungsgesuch übrigens für unbegründet gehalten. Der Hinweis sei zwar "etwas ungeschickt wie ein Rat an den Kläger" abgefasst, halte sich aber noch im Rahmen der materiellen Prozessleitung. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, wegen des Betrages nicht zwei Mal in Anspruch genommen zu werden. Mit dem Hinweis auf eine mögliche Genehmigung habe das Gericht daher "ersichtlich auf eine den Interessen beider Parteien gerecht werdende Lösung" abgezielt.
Der Autor Benedikt Meyer ist Richter auf Probe im Bezirk des OLG Oldenburg und schreibt unter http://www.zpoblog.de über aktuelle zivilprozessuale Themen.
Benedikt Meyer , BGH zum Recht der Richterablehnung: Weiterverhandeln macht Befangenheitsantrag nicht unzulässig . In: Legal Tribune Online, 29.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19819/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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