2/2: Interessenabwägung zwischen Vater und Kind
Bislang habe zumindest die Klinik keine eigenen, berücksichtigungsfähigen Belange wie etwa die ärztliche Schweigepflicht geltend gemacht, so die BGH-Richter. Damit läuft es auf eine Interessenabwägung zwischen Vater und Kind hinaus.
Die Rechtsposition des Kindes habe ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Interessenabwägung. Zwar seien auch mögliche Auswirkungen der Auskunft auf die private Lebensgestaltung des Samenspenders sowie sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Regelmäßig komme dem Recht des Kindes jedoch ein Vorrang vor dem Recht des Spenders und dem der Eltern auf Verschweigen des Erzeugers zu.
Im vorliegenden Fall konnte der Arzt den Samenspendern wegen der zwingenden, den ärztlichen Richtlinien entsprechenden Dokumentationspflicht keine Anonymität zusichern. Der Arzt war zudem gesetzlich verpflichtet, die Spender darüber aufzuklären, dass von ihnen gezeugte Kinder später Kontakt zu ihnen suchen könnten. Daher habe sich der Spender in diesem Fall des Schutzes seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung selbst begeben, so die Bundesrichter.
Auch der notariell beurkundete Verzicht der Eltern stehe einer Klage der Eltern im Namen des Kindes nicht entgegen. Als Vertrag zulasten des Kindes sei er nichtig.
Zudem muss das Landgericht feststellen, ob die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information der Kinder begehren. Denn das Kind müsse ein Bedürfnis für die begehrte Information haben und der Anspruch zu diesem Zweck und nicht etwa aus wirtschaftlichem Interesse geltend gemacht werden.
Eine Samenspende kann später teuer werden
Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung hat aber auch eine vermögensrechtliche Komponente. Das Kind kann nämlich, nachdem es erfahren hat, wer sein biologischer Vater ist, unter den beiden Vätern auswählen. Es kann die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anfechten und danach die Vaterschaft des Samenspenders feststellen lassen. Folge ist, dass der als rechtlicher Vater festgestellte Samenspender dem Kind gegenüber unterhaltspflichtig wird.
Beim Tod des Samenspenders, der als rechtlicher Vater gerichtlich festgestellt wurde, stehen dem Spenderkind Erb-oder zumindest Pflichtteilsansprüche zu. Die Wunschkinder des Samenspenders müssen dann mit dem Samenspenderkind die Erbschaft teilen. Gerade die gewünschte Teilhabe am väterlichen Erbe begründet nach Ansicht des BGH ein legitimes Interesse im Rahmen der Abstammungsfeststellung (BGH, Beschl. v. 29.10.2014, Az. XII ZB 20/14).
Wird der junge Samenspender, der sich während seines Medizinstudiums etwas dazu verdient hat, also später Chefarzt oder erhält er ein größeres elterliches Vermögen, kann die steuerfreie Spende im Nachhinein richtig teuer werden, von den familiären Komplikationen ganz abgesehen.
Die Wunscheltern verpflichten sich zwar regelmäßig in teilweise notariell beurkundeten Kinderwunschverträgen gegenüber dem Samenspender zur Freistellung von Unterhalts- und Erbansprüchen ihres Kindes. Ist allerdings der Samenspender der vermögendere Vater, scheitert in der Praxis die Durchsetzung des vereinbarten Freistellungsanspruchs an der Zahlungsfähigkeit der Wunscheltern. Haben die Wunscheltern kein Vermögen, kann bereits das beim Spendervater vorhandene kleine Einfamilienhaus zu Zahlungspflichten im Erbfall führen. Effektive Sicherungen sind nicht möglich.
Der Gesetzgeber soll das Recht der Realität anpassen
Einen effektiven Schutz für den Samenspender gibt es in Deutschland also nicht. Risikolos kann nur noch derjenige sein Sperma zur Verfügung stellen, der einkommens- und vermögenslos ist und dies auch zu bleiben gedenkt. Bei gründlicher Aufklärung über diese Rechtslage dürfte die Motivation, in einer Kinderwunschklinik Samen zu spenden, also rapide zurückgehen.
Außerdem hat die Lebenswirklichkeit moderner Familien das geltende Recht längst überholt. Vielmehr bedarf die soziale Familie, in der das per Samenspende gezeugte Kind aufgewachsen ist, der gesellschaftlichen Anerkennung und rechtlichen Absicherung. Und vielleicht ist es trotz der Anerkennung des Rechtes des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung für die Familie nicht entscheidend, wer Samenspender war.
Die inzwischen überholten Regeln des Abstammungsrechts kollidieren außerdem in vielen Bereichen mit diesem Recht des Kindes und der modernen Fortpflanzungsmedizin. Andere Länder wie Österreich, wo es seit mehr als zehn Jahren ein Fortpflanzungsmedizingesetz gibt, sind weit fortschrittlicher. In fast allen europäischen Ländern außer Deutschland hat das durch Samenspende eines Dritten gezeugte Kind kein Recht, die Vaterschaft seines rechtlichen Vaters anzufechten.
Zumindest eine gesetzliche Regelung, die Samenspender von finanziellen Ansprüchen der mit Hilfe der modernen Fortpflanzungsmedizin gezeugten Kinder freistellt, ist in Deutschland längst überfällig.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel und Verfasser zahlreicher familienrechtlicher Abhandlungen, insbesondere auch zu den Problemen der modernen Fortpflanzungsmedizin und dem Abstammungsrecht.
Mit Materialien von dpa.
Herbert Grziwotz, BGH zum Recht auf Kenntnis der Abstammung: . In: Legal Tribune Online, 29.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14519 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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