Rund 100 Euro gibt es pro Samenspende – vermeintlich leicht verdientes Geld. Doch die überholte deutsche Rechtslage und die Rechtsprechung des BGH, die dieser am Mittwoch erneut ausgeweitet hat, machen es unmöglich, die Anonymität des Spenders zu garantieren. Dieser kann sich Jahrzehnte später Ansprüchen auf Unterhalt und Erbanteile ausgesetzt sehen. Zeit für eine Reform, meint Herbert Grziwotz.
Samenbanken werben vor allem junge Studenten mit der Aussicht auf schnell verdientes Geld. Samenspenden sind finanziell lohnenswerter als Blutspenden – rund 100 Euro gibt es im Schnitt für eine Spende, das Geld ist steuerfrei. So könne man sich jährlich rund 2.600 Euro hinzuverdienen, heißt es in der Werbung im Internet. Fachleute schätzen, dass mehr als 100.000 Kinder pro Jahr auf diese Weise gezeugt werden.
Die Spender bleiben zwar zunächst anonym, werden jedoch in der Reproduktionsklinik namentlich dokumentiert. Bei privaten Becherspenden bestehen keine Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten. Sie sind für die Wunschmütter aufgrund der fehlenden Gesundheitsprüfungen jedoch gefährlich.
Eine Frau, deren leiblicher Vater Samen gespendet hatte, klagte 2013 gegen den Reproduktionsarzt auf Auskunft über seinen Namen, und bekam vor dem OLG Hamm Recht. Der Fall sorgte damals für Schlagzeilen in der Boulevardpresse.
Auch die 12 und 17 Jahre alten Schwestern, um deren Abstammung es am Mittwoch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ging, wurden mittels Samenspende eines anonymen Mannes in einer Kinderwunschklinik gezeugt. Die Mutter und deren Ehemann - der rechtliche Vater der so gezeugten Kinder - hatten mit der Klinik seinerzeit einen notariellen Kinderwunschvertrag über eine "heterologe Insemination" abgeschlossen. In diesem Vertrag hatten sie gegenüber der Klinik auf Auskunft über die Identität der Samenspender für sich ausdrücklich verzichtet.
Etwa zehn Jahre nach der Geburt der zweiten Tochter entschieden sie sich, die Klinik im Namen ihrer minderjährigen Kinder doch auf Auskunft über die Identität ihrer biologischen Väter zu verklagen. Der BGH gab Ihnen nun Recht: Die Kinder hätten einen Auskunftsanspruch, unabhängig von ihrem Alter.
Vorinstanz: Auskunftsanspruch erst ab 16. Lebensjahr
Das hatte das Landgericht (LG) Hannover noch anders entschieden. Zwar erkannte es den Kindern ein Recht auf Auskunft über die Samenspender zu.
Entsprechend der Regelung im Adoptionsrecht, § 63 Abs. 1 Personenstandsgesetz (PStG), bestehe der Rechtsanspruch der Kinder jedoch erst mit Vollendung ihres 16. Lebensjahres. Unter 16-Jährige seien noch zu jung, um die Folgen eines solchen Schrittes für alle Beteiligten abzusehen. (Urt. v. 06.11.2013, Az. 6 S 50/13). Ein per Samenspende gezeugtes Kind sei außerdem einem adoptierten ähnlich, meint auch der BGH (Urt. v. 03.05.1995, Az. XII ZR 29/94). Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei einer Erkrankung, könne vorzeitig Auskunft verlangt werden.
Der BGH als Revisionsgericht hat die landgerichtliche Entscheidung am Mittwoch aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (Urt. v. 28.01.2015, Az. XII ZR 201/13). Weder der Auskunftsanspruch des Kindes noch seine Geltendmachung setzten ein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus, so die Bundesrichter.
Kindesrecht auf Kenntnis der Abstammung
Der Anspruch ergibt sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben aus § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung. Spenderkinder seien in derartigen Konstellationen in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags zwischen der Klinik und den Eltern einbezogen.
Das verfassungsrechtlich garantierte Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist Bestandteil des grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts und Ausfluss der Menschenwürde, Art. 2 i.V.m. Art. 1 Grundgesetz (GG) (in diesem Sinne: BVerfG, Urt. v. 31.02.1989, Az. 1 BvL 17/87; zuletzt Beschl. v. 18.08.2010, Az. 1 BvR 811/09).
Es erhält seine Bedeutung daraus, dass die Kenntnis und Zuordnung zu einer Person als Vater von wesentlicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind. Konkret kann die Abstammungskenntnis wichtige Anhaltspunkte für das Verständnis der familiären Zusammenhänge und die eigene Persönlichkeitsentwicklung bieten (BGH, Beschl. v. 29.10.2014, Az. XII ZB 20/14).
Die Richter der Vorinstanz müssen nun also neu entscheiden und dabei auch berücksichtigen, dass die Auskunft dem Arzt unter Berücksichtigung der rechtlichen Belange der Beteiligten zumutbar sein muss. Hierzu sei eine einzelfallbezogene Abwägung vorzunehmen, bei der das Recht der Spenderkinder auf Kenntnis ihrer Abstammung gegenüber der informationellen Selbstbestimmung des Samenspenders, also seinem Recht auf Anonymität überwiegen müsse.
Herbert Grziwotz, BGH zum Recht auf Kenntnis der Abstammung: . In: Legal Tribune Online, 29.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14519 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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