BGH zu Amazon: Händler haften nicht für irre­füh­r­ende Kun­den­be­wer­tungen

Gastbeitrag von Dr. Thomas Utzerath

20.02.2020

Wer über Plattformen wie Amazon verkauft, muss sich als Händler unrichtige Kundenbewertungen zu seinen Produkten nicht zurechnen lassen. Thomas Utzerath zu einem Urteil, in dem sich der BGH überraschend deutlich bekennt.

Verkäufer, die ihre Produkte über Online-Handelsplattformen wie Amazon vertreiben, müssen sich Kundenrezensionen sowie darin enthaltene irreführende Angaben grundsätzlich nicht als Werbung zurechnen lassen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag in einem Revisionsverfahren zwischen dem klagenden Verband Sozialer Wettbewerb e.V. (VSW) und einem Verkäufer von Kinesiologie-Tapes entschieden (Urt. v. 20.02.2020, Az. I ZR 193/18).

Auslöser des Rechtsstreits waren sogenannte Kinesiologie-Tapes, eine Art Medizinprodukt, die über Amazon verkauft wurden. Der beklagte Händler hatte diese Produkte in der Vergangenheit u.a. damit beworben, dass sie zur Schmerzbehandlung geeignet seien. Mit Blick auf die gesetzlichen Irreführungsverbote in §§ 3 HWG, 5 UWG ist die Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben für Medizinprodukte von der deutschen Rechtsprechung seit jeher durch das sogenannte Strengeprinzip geprägt (vgl. BGH, Urt. v. 06.02.2013, Az. I ZR 62/11). Dieses geht davon aus, dass die Adressaten gesundheitsbezogener Werbeangaben besonders schutzwürdig sind, immerhin hat die Gesundheit als betroffenes Rechtsgut einen hohen Stellenwert. Entsprechend streng sind die Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit gesundheitsbezogener Werbeaussagen.

Der VSW hatte die Werbung des Händlers beanstandet, da die Angaben zur Schmerzlinderung nicht hinreichend medizinisch belegt seien. Daraufhin hat dieser eine durch ein Vertragsstrafeversprechen gesicherte Unterlassungserklärung abgegeben.

Was, wenn Bewertungen ein falsches Bild vom Produkt versprechen?

Anfang 2017 hatte der beklagte Händler bei Amazon erneut Kinesiologie-Tapes angeboten. Dabei hat er selbst keine Werbeangaben verwendet, die ihm durch die zuvor abgegebene Unterlassungserklärung verboten waren. Allerdings hatte Amazon dem Angebot des beklagten Händlers automatisch Kundenrezensionen zugewiesen, die unter anderem Hinweise wie "schmerzlinderndes Tape!", "This product is perfect for pain…" und "Die Schmerzen gehen durch das Bekleben weg" enthielten.

Um das Problem zu verstehen, ein kleiner technischer Exkurs: Für jedes auf Amazon angebotene Produkt wird über die EAN (European Article Number) eine diesem Produkt zugewiesene ASIN (Amazon-Standard-Identifikationsnummer) generiert, die sicherstellen soll, dass beim Aufruf eines bestimmten Produkts die Angebote sämtlicher Anbieter dieses Produkts angezeigt werden. Käufer können diese Produkte sodann auf der Online-Handelsplattform bewerten. Amazon weist eine solche Käuferbewertung im Anschluss daran ohne nähere Prüfung dem unter der entsprechenden ASIN geführten Produkt – und nicht spezifisch dem Angebot eines bestimmten Händlers – zu. Das hat zur Folge, dass zu einem Artikel alle, sowohl positive als auch negative, Kundenbewertungen angezeigt werden, die zu diesem - unter Umständen von mehreren Verkäufern angebotenen - Produkt abgegeben wurden.

Der klagende Wettbewerbsverein forderte daraufhin vom beklagten Händler die Zahlung einer Vertragsstrafe sowie Unterlassung der in den Kundenbewertungen enthaltenen irreführenden Angaben. Der Händler habe sich die Kundenrezensionen zu Eigen gemacht und hätte auf ihre Löschung hinwirken müssen. Falls dies nicht möglich sei, hätte er die Produkte bei Amazon nicht anbieten dürfen. So müsse ein Verkäufer, der die Vorteile einer großen Onlineplattform nutze, auch die mit deren Nutzung verbundenen Nachteile tragen, argumentierte der VSW.

Vorinstanzen: Kundenrezensionen zwar irreführend, aber keine zurechenbare Werbung

Das LG Essen hatte in seinem Urteil (v. 30.08.2017, Az. 42 O 20/17) die Klage abgewiesen, da ein Unterlassungsanspruch des VSW nicht bestehe. Zwar dürfe in der Publikumswerbung für Medizinprodukte nicht mit Äußerungen Dritter, insbesondere mit Dank-, Anerkennungs- oder Empfehlungsschreiben, oder mit Hinweisen auf solche Äußerungen geworben werden, wenn diese in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgten. Der Händler müsse sich die von Amazon ohne seine Mitwirkung dem Produkt zugewiesenen (positiven) Kundenbewertungen jedoch nicht zurechnen lassen.

Die Berufung des Wettbewerbsvereins hat das OLG Hamm mit seinem Urteil (v. 11.09.2018, Az. 4 U 134/17) ebenfalls zurückgewiesen. Zwar seien die in den Kundenrezensionen enthaltenen gesundheitsbezogenen Angaben irreführend. Sie stellten aber keine Werbung dar. Zumindest wäre eine solche Werbung dem beklagten Händler nicht zuzurechnen, befanden die Hammer Richter.

Auch habe der Händler seine unternehmerischen Sorgfaltspflichten nicht verletzt, weil er die im Streit stehenden Kundenbewertungen weder veranlasst hätte noch auf deren Zuweisung zu seinem Produkt in irgendeiner Weise habe Einfluss nehmen können. Insbesondere habe sich Amazon auf Anfrage des Händlers auch geweigert, die Kundenrezensionen zu löschen.

Ähnlich wie das OLG Hamm hat sich übrigens erst jüngst auch das OLG Naumburg in einem Urteil (v. 09.11.2019, Az. 9 U 6/19) positioniert, in dem es um die Frage einer Wettbewerbsverletzung durch den Verkauf von rezeptfreien, apothekenpflichtigen Medikamenten über Amazon ging. Die Werbemaßnahmen auf der Handelsplattform, so das OLG Naumburg in seiner Urteilsbegründung, gingen erkennbar auf Amazon bzw. mittelbar auf die Kunden zurück, die Rezensionen schrieben. Die Werbemaßnahmen bezögen sich auf das Produkt und nicht auf eine konkrete Online-Apotheke und kämen daher nicht nur einem, sondern allen auf der Plattform vertretenen Apothekern zugute.

BGH: Händler trifft keine Pflicht, irreführende Kundenbewertungen zu verhindern

Der BGH musste letztlich die Frage beantworten, wie weit die Haftung eines Verkäufers für ersichtlich von Dritten stammende Kundenbewertungen mit unzutreffenden Angaben auf Online-Handelsplattformen reicht. Dabei hat er sich in vollem Umfang der Auffassung der Vorinstanz angeschlossen. Der beklagte Händler habe mit den Kundenbewertungen weder selbst aktiv geworben noch diese veranlasst, noch habe er sich die Kundenbewertungen zu eigen gemacht, indem er die inhaltliche Verantwortung für diese übernommen habe. Die Kundenbewertungen seien vielmehr als solche gekennzeichnet und fänden sich bei Amazon getrennt vom Angebot des Händlers. Sie würden von den Verbrauchern auch nicht der Sphäre des Händlers zugerechnet, so die Karlsruher Richter.

Schließlich hat der BGH mit überraschender Deutlichkeit auch eine Pflicht des Verkäufers verneint, eine Irreführung durch die Kundenbewertungen zu verhindern. Kundenbewertungssysteme auf Online-Marktplätzen seien vielmehr gesellschaftlich ausdrücklich erwünscht und genössen verfassungsrechtlichen Schutz. Das Interesse von Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehörten, zu informieren oder auszutauschen, werde durch das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung, die Kinesiologie-Tapes womöglich mit sich bringen könnten, seien zudem nicht erkennbar.

Im Ergebnis bedeutet das, dass ein Händler nicht einmal dann in der Pflicht steht, wenn er mit zumutbaren Maßnahmen auf die Entfernung erkennbar unrichtiger bzw. irreführender Bewertungen hinwirken könnte. Klagende Vereine wie der WSV oder Wettbewerber sind daher gut beraten, sich mit Unterlassungsaufforderungen künftig direkt an den Plattformbetreiber zu wenden.

Der Autor Dr. Thomas Utzerath ist Rechtsanwalt in Düsseldorf. Er berät und vertritt insbesondere Unternehmen aus der Arzneimittel- und Medizinproduktebranche sowie Kosmetik- und Lebensmittelhersteller.

Zitiervorschlag

BGH zu Amazon: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40391 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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