Wer alleine in seiner Küche an einer Bombe für einen Terroranschlag bastelt, kann allein dafür bestraft werden. Der BGH hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken an einer solchen Vorverlagerung der Strafbarkeit. Allerdings erhöht er die Anforderungen an den Vorsatz so sehr, dass der Tatbestand kaum mehr angewandt werden kann, meint Michael Kubiciel.
Das Strafrecht dient dem Schutz von Rechtsgütern, lautet ein Mantra der Strafrechtswissenschaft. Nach den Anschlägen von New York (2001), Madrid (2004) und London (2005) sah sich der Gesetzgeber veranlasst, den Schutz seiner Bürger vor Terroranschläge auch mithilfe des Strafrechts zu verbessern.
Fortan sollte nicht nur die Bildung einer terroristischen Vereinigung strafbar sein, §129a Strafgesetzbuch (StGB), sondern auch die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten durch einen Einzeltäter. Wer einen Terroranschlag vorbereitet, indem er sich beispielsweise Einzelteile für die Herstellung einer Sprengvorrichtung verschafft, dem droht seit 2009 eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, § 89a StGB.
Unverhältnismäßige Aufregung
Obgleich viele Staaten derartige Tatbestände einführten, war die Empörung über diese Erscheinungsform eines kriminalpräventiven Strafrechts nirgends größer als in der deutschen Strafrechtswissenschaft: Mancher wähnte sich auf dem Weg nach "Absurdistan" und sah einen rechtsstaatlichen "Tiefpunkt" erreicht.
Hinter der aufgeregten Kritik stehen zwei Bedenken: Zum einen wird moniert, dass es der Gesetzgeber mit dem Rechtgüterschutz übertreibe, weil der Tatbestand die Strafbarkeit zu weit in die Phase der Vorbereitung verschiebe. Zum anderen sei die Vorschrift so unbestimmt, dass der "Durchschnittsbürger" (sic!) nicht mehr vorhersehen könne, wann er den Bereich des Strafbaren betrete.
Trotz dieser Angriffe ist es zuletzt ruhiger geworden um § 89a StGB. Es fehlte dem Tatbestand schlicht an praktischer Relevanz, geraten Einzeltäter wie der Frankfurter Flughafenattentäter doch häufig erst nach Begehung eines Attentats in das Visier der Ermittler. Der Zeitpunkt, zu dem § 89a StGB rechtsgüterschützend eingreifen könnte, ist dann längst verstrichen. Anders gewendet: Die Aufregung um § 89a StGB steht in keinem Verhältnis zu seiner praktischen Bedeutung.
Akribische Vorbereitung
Es war denn auch der Zufall, der zur Ergreifung eines Bürgers führte, dem zumindest eine weit überdurchschnittliche Akribie attestiert werden kann. Seit 2009 beschaffte sich der Angeklagte nämlich in kurzer Zeit Dokumente mit mehr als 10.000 DIN-A4-Seiten von einschlägigen Internetseiten und speicherte diese, nach Stichworten systematisiert, auf seinem PC. In diesen Dokumenten lernte er nicht nur, wie man den heiligen Krieg finanziell und moralisch unterstützen kann, er fand auch die Anleitung "Make a bomb in the kitchen of your mom".
Sechs Monate nach Erscheinen des Artikels mietete der Angeklagte einen Kellerraum und begann, sich Gegenstände zum Bau der in dem Magazin beschriebenen Sprengvorrichtung zu beschaffen. In unzähligen Stunden Arbeit schabte er das Zündpulver von 7.000 bis 8.000 Streichhölzern, die er nach und nach in kleinen Mengen gekauft hatte. Ferner besorgte er, bis auf die Nägel, sämtliche andere Einzelteile der in dem Artikel vorgestellten Bombe. Er legte die Glühwedel an einer Glühlampe einer Lichterkette frei und bohrte Öffnungen in die Verschalung eines Mobiltelefons sowie in ein Rohr.
Hätte er die Bombe fertig montiert und in einem Rucksack deponiert zur Explosion gebracht, wäre die Explosion in einem Umkreis von neun Metern tödlich gewesen. Es kam anders: Beim Hantieren mit dem Zündpulver löste der Angeklagte eine Explosion aus, die ihn zunächst ins Krankenhaus, danach zur polizeilichen Vernehmung und sodann in die Justizvollzugsanstalt führte. Das Landgericht Frankfurt a.M. verurteilte ihn zu drei Jahren Freiheitsstrafe.
Verfassungskonforme Ausgestaltung
Mit seiner Revision hatte der Angeklagte die Verfassungswidrigkeit des § 89a StGB gerügt, unter Verweis auf die von der Strafrechtswissenschaft erhobene Kritik. Der Bundesgerichtshof (BGH) folgte dem nicht. Der Tatbestand sei weder zu unbestimmt noch verletze die Vorverlagerung der Strafbarkeit das Tat- und Schuldprinzip (Urt. v. 08.05.2014, Az. 3 StR 243/13).
Tatsächlich ist es die genuine Aufgabe von Rechtspraxis und Wissenschaft, Tatbestände auszulegen und zu konkretisieren. Denn wegen der Vielgestaltigkeit des Lebens kann kein Tatbestand sämtliche Informationen enthalten, die für die Entscheidung eines Einzelfalles erforderlich sind.
Wann und wie Tatgerichte und BGH konkretisierungsbedürftige Normen anzuwenden haben, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung zum Untreue-Paragrafen ausführlich erläutert. Verglichen mit § 266 StGB beschreibt § 89a StGB das verbotene Verhalten sogar recht präzise: Strafbar ist die Verschaffung und Verwahrung von Gegenständen und Stoffen, die wesentlich für die Herstellung einer Sprengvorrichtung sind.
Für die Verwahrung von Zündpulver, angebohrten Mobiltelefonen, Zündkörpern und präparierten Rohren lässt sich keine andere realistische Verwendung denken als "to make a bomb in the kitchen of your mom". Bezieht man, was stets notwendig ist, die Handlungsumstände mit ein, kann von einem "sozialadäquaten" Verhalten keine Rede sein. Das Verhalten des Angeklagten ist weder weit verbreitet noch gesellschaftlich goutiert.
Notwendige Vorverlagerung
Daher ist die angebliche Sozialadäquanz auch kein Grund, an den subjektiven Tatbestand erhöhte Anforderungen zu stellen, wie dies der BGH nun tut. Weil der Tatbestand sozialadäquate Handlungen erfasse, müsse dem Täter nachgewiesen werden, dass er bereits fest dazu entschlossen gewesen sei, ein Attentat zu begehen, so der 3. Strafsenat.
Auch der Verweis auf die Verlagerung der Strafbarkeit in das Vorfeld zwingt nicht zu einer solchen Einschränkung: Denn der seit Jahren vom BGH angewandte § 129a StGB knüpft die Strafbarkeit an ein Handeln, das noch weiter im Vorfeld einer Straftat angesiedelt ist: die Bildung einer terroristischen Vereinigung. Dass von einer solchen Vereinigung wegen der ihr zugeschriebenen "Gruppendynamik" eine größere Gefahr ausgehe als von Einzeltätern, ist eine Behauptung, die ebenso oft erhoben wie widerlegt wird: Man denke nur an den Oklahoma-Attentäter, Anders Breivik und den Schützen vom Frankfurter Flughafen.
Die Entscheidung des BGH macht die Anwendung des § 89a StGB noch schwerer, als sie es ohnehin schon ist. Die Strafverfolgungsbehörden werden nämlich in Zukunft nachweisen müssen, dass der Täter entschlossen ist, eine staatsgefährdende Straftat zu begehen. Ob dem Landgericht der Nachweis gelingen wird, darf bezweifelt werden.
Der Autor Professor Dr. Michael Kubiciel ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität zu Köln und Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung. In seiner Habilitationsschrift "Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts" (Vittorio Klostermann, 2013) hat er sich eingehend mit der Legitimation und Interpretation des § 89a StGB befasst.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, BGH zu Antiterror-Vorschrift § 89a StGB: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11911 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag