Sampling, Afghanistan-Papiere, Beck: BGH setzt dem Urhe­ber­recht neue Grenzen

von Dr. Markus Sehl

30.04.2020

Das im Hiphop beliebte Sampeln geht so gut wie gar nicht ohne Erlaubnis, das Urheberrecht dient nicht staatlichen Geheimhaltungsinteressen und Volker Beck unterliegt im Presserechtsstreit: Der Super-Thursday beim BGH.

Am Donnerstag entschied der Bundesgerichtshof (BGH) gleich drei grundsätzliche Verfahren zum Urheberrecht. Auf das Wesentliche heruntergebrochen ging es um drei Fragen. 

Erstens: Dürfen Hip-Hop-Musiker die Tonfetzen aus Musikstücken anderer Künstler ohne Erlaubnis sampeln und nutzen? (Die Band Kraftwerk gegen den Produzenten Moses Pelham, "Metall auf Metall", Az. I ZR 115/16). Kurzantwort: Nein, zumindest seit 2002 nicht mehr. Details wird das OLG Hamburg letztlich zu entscheiden haben. 

Zweitens: Kann die Bundesregierung unter Berufung auf das Urheberrecht die Veröffentlichung staatlicher Berichte durch Medien verhindern? (Afghanistan-Papiere, Az. I ZR 139/15). Kurzantwort: ebenfalls Nein.

Und Drittens: Können Medien fremde Texte auch dann veröffentlichen, wenn der Urheber diese (mit einer Distanzierung von eben jenen) bereits selbst veröffentlicht hat und nur mit einem Disclaimer veröffentlicht wissen wollte? (Spiegel ./. Volker Beck, Az. I ZR 228/15) Kurzantwort: Ja.

Die drei recht unterschiedlichen Verfahren hatte der BGH zusammengeschnürt und relevante Fragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) 2017 gebündelt zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Luxemburger Richter entschieden die Vorlagen im Juli 2019 ebenfalls alle an einem Tag. Auch mündlich verhandelte der BGH alle drei Verfahren in einem Durchgang. 

Am Donnerstag verkündete der I. Zivilsenat seine Entscheidungen – auch dieses Mal gebündelt. Zweimal geht es um die Grenzen des Urheberrechts gegenüber der Pressefreiheit und einmal um die des Leistungsschutzrechts gegenüber der Kunstfreiheit.

Fall I: "Metall auf Metall"

Dieser Rechtsstreit ist mittlerweile ein Klassiker. Seit rund 20 Jahren streiten der Frankfurter Hip-Hop-Produzent Moses Pelham und die Düsseldorfer Elektro-Pioniere von Kraftwerk. Den BGH haben sie nun bereits zum vierten Mal beschäftigt. 

Ohne Einverständnis von Kraftwerk hatte Pelham 1997 ein zwei Sekunden kurzes Sample aus dem Kraftwerk-Stück "Metall auf Metall" benutzt. Daraus wurde ein durchlaufender Beat für den Song Stück "Nur mir" der Rapperin Sabrina Setlur gebastelt.

Die beiden Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter und Florian Schneider verklagten den Produzenten daraufhin – und hatten zwischendurch auch Erfolg. Genau genommen geht es ihnen um das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller (85 UrhG), eine Art Nebenrecht des Urheberrechts. Der BGH entschied 2012, das Leistungsschutzrecht der Musiker und Plattenfirmen gelte auch für "kleinste Tonfetzen". Diese dürften nur dann frei genutzt werden, wenn sie nicht "in gleichwertiger Weise" nachgespielt werden können. Bei dem Kraftwerk-Sample wäre das möglich gewesen.

Das unterdessen per Verfassungsbeschwerde eingeschaltete Bundesverfassungsgericht entschied jedoch 2016, dass das BGH-Urteil die Kunstfreiheit von Moses Pelham verletze. "Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip Hop", stellten die Verfassungsrichter damals fest. Der Zugriff auf das Originaldokument diene der "ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften". Die Botschaft damals: Irgendwie muss das Sampling rechtlich zulässig sein. 

Den Interessenkonflikt hatten die Verfassungsrichter so beschrieben: "Danach steht hier ein geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile einer erheblichen Beeinträchtigung der künstlerischen Betätigungs- und Entfaltungsfreiheit gegenüber." Für diesen Ausgleich eine Lösung zu finden, sei Aufgabe der Gerichte. Vorschläge für mögliche Lösungen machte das Gericht in der Randnummer 110 seiner Entscheidung: Über § 24 UrhG (freie Benutzung), die großzügige Auslegung des Zitatrechts oder der Zentralnorm im Urheberrecht, § 85 UrhG. Allein: Die Entscheidung betraf aber noch die Rechtslage von vor 2002.

Das Jahr 2002: Eine europarechtliche Zäsur

Seit 2002 ist das Urheberrecht europaweit nämlich durch eine Richtlinie harmonisiert. Deshalb legte der BGH im Sommer 2017 den Sampling-Streit dem EuGH vor. Der sollte nun klären, was seit 2002 gilt. Die EuGH-Richter entschieden, dass schon keine Vervielfältigung vorliege, wenn das Sample in Ausübung der Kunstfreiheit so in ein neues Musikstück eingefügt wird, dass es nicht mehr wiederzuerkennen ist, es also gleichsam in dem neuen Kunstwerk verschwinde. Falls das Sample aber doch wiederzuerkennen ist, könnte es als Zitat erlaubt sein, so der EuGH. Das ist der Hintergrund für die Entscheidung des BGH am Donnerstag.

Wegen der im Dezember 2002 eingeführten Richtlinie unterscheidet der BGH zwischen der Rechtslage vor und nach der europäischen Harmonisierung. Für den Zeitraum vor Dezember 2002 steht der § 24 UrhG im Mittelpunkt. Der erlaubt: "Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden." 

Das bedeutet, bei dieser Art der Weiternutzung handelt es sich schon gar nicht erst um eine geschützte Vervielfältigung. Deshalb dürfe es sich um eine "freie Benutzung" handeln, so der BGH. Soweit für die Rechtslage vor 2002. Vieles spricht dafür, dass Pelham in dieser Zeit das Sample ungefragt nutzen durfte.

Wo ist die deutsche Regelung für das "Sampling"?

Anders stellt sich die Lage seit Dezember 2002 dar. Der BGH bezieht sich dazu auf die Entscheidung des EuGH zu seiner Vorlage. Demnach kommt es nicht auf die Dauer des Audioschnipsels an, sondern alleine auf die Wiedererkennbarkeit. Das richte sich nach dem Hörverständnis eines durchschnittlichen Musikhörers. "Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Beklagten die Rhythmussequenz zwar in leicht geänderter, aber beim Hören wiedererkennbarer Form in ihren neuen Tonträger übernommen", schreibt der BGH in seiner Mitteilung zur Entscheidung von heute. Das bedeutet: Eine Vervielfältigung des Ursprungstonträgers würde danach vorliegen, womit es dann letztlich auch die Erlaubnis seitens Kraftwerk bräuchte. 

Die europarechtliche Harmonisierung ist eine für die deutsche Urheberrechtsdogmatik einschneidende Weichenstellung. Denn damit ist der Lösungsweg fürs Sampling über § 24 UrhG versperrt. Alles, was unter "Vervielfältigung" fällt, wird vom harmonisierten EU-Recht abschließend geregelt, für die deutsche Regelung des § 24 UrhG zur "freien Benutzung" ist dann kein Platz mehr. Damit fällt ein Lösungsweg aus, der einen Ausgleich zwischen den Interessen des Tonträgerproduzenten und denen anderer Künstler hätte bieten können.

Zitat auch ohne Quellenangabe?

Auch der Weg über das Zitatrecht (§ 51 UrhG) führt aus Sicht des 1. BGH-Zivilsenats nicht weiter. Denn in dem konkreten Fall fehlte es an einer Markierung für das Zitat. Es scheidet als Schranke aus, "weil kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Hörer - wie für ein Zitat erforderlich - annehmen könnten, die dem Musikstück 'Nur mir' unterlegte Rhythmussequenz sei einem fremden Werk oder Tonträger entnommen worden." Eine solche ausdrückliche Markierung dürfte in so ziemlich allen Sampling-Fällen fehlen. 

Damit beendet der BGH seine Suche nach Schranken im UrhG, die das Sampling unter europarechtlichen Vorzeichen erlauben könnten. Schließlich müsse das OLG Hamburg den Fall entscheiden. Und zwar insbesondere zu der Frage, ob auch nach 2002 überhaupt noch Vervielfältigungen vorgekommen sind. Wonach sich das genau richten soll, lässt sich aus der Pressemitteilung des BGH nicht entnehmen, der volle Entscheidungstext wird erst in einigen Wochen veröffentlicht. Sollte es an solchen Vervielfältigungen ab 2002 fehlen, dann muss Pelham auch nicht an Kraftwerk zahlen. Damit könnte in dem jahrzehntelangen Rechtsstreit ein Schlussstrich gezogen werden.

Fall II: Afghanistan-Papiere 

Nicht um Tonträger, sondern um staatliche Papiere ging es in dem Verfahren zu den sogenannten Afghanistan-Papieren. In diesem Rechtsstreit beruft sich die Bundesregierung auf das Urheberrecht. 
Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) hatte zuvor Bundeswehrdokumente online veröffentlicht. Bei den Papieren handelte es sich um als Verschlusssache eingestufte Parlamentsunterrichtungen zur Sicherheitslage in Afghanistan. An diese Dokumente waren die Journalisten der WAZ auf ungeklärte Weise gelangt, nachdem die Bundeswehr es zunächst abgelehnt hatte, der Zeitung die Dokumente freiwillig zur Verfügung zu stellen. 

Da es keine anderweitige rechtliche Handhabe gegen die Veröffentlichung gab, verklagte die Bundesrepublik Deutschland die WAZ unter Berufung auf das Urheberrecht – schließlich hatten Soldaten der Bundeswehr die Lageberichte verfasst. Kritiker sprachen in diesem Kontext vom "Zensurheberrecht".

Das Landgericht hatte der Klage der Bundesregierung stattgegeben. Die Berufung der Beklagten Mediengruppe ist ohne Erfolg geblieben. 

BGH: Urheberrecht dient nicht staatlicher Geheimhaltung

Der BGH hat das Berufungsurteil am Donnerstag aufgehoben und die Klage der Bundesregierung abgewiesen. Ob die Papiere der Bundeswehr, die das Parlament erhalten hatte, überhaupt urheberrechtlich geschützt sind, könne offen bleiben, heißt es in der Pressemitteilung vom Donnerstag. Jedenfalls liege durch die Veröffentlichung der WAZ keine widerrechtliche Urheberrechtsverletzung vor. Denn für das Medium greift die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) ein. Die WAZ habe nicht nur die Dokumente ins Netz gestellt, sondern diese mit einem Einleitungstext und weiteren Links zu dem Thema versehen. Eine journalistische Auseinandersetzung mit den Dokumenten habe stattgefunden.

Der BGH führt weiter aus, dass das Urheberrecht nicht dazu gedacht sei, staatliche Geheimhaltungsinteressen zu erfüllen. Solche würden bereits durch andere Vorschriften wie etwa den §§ 93 StGB geschützt. "Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt allein das urheberrechtsspezifische Interesse des Urhebers, darüber zu bestimmen, ob er mit der erstmaligen Veröffentlichung seines Werkes den Schritt von der Privatsphäre in die Öffentlichkeit tut und sich und sein Werk damit der öffentlichen Kenntnisnahme und Kritik aussetzt." In der konkreten Abwägung überwiege das öffentliche Informationsinteresse an der politischen Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz.

Fall III: Volker Beck

Im Streit um die Veröffentlichung eines alten Buchbeitrags mit heiklem Inhalt auf Spiegel Online muss der Grünen-Politiker Volker Beck eine Niederlage hinnehmen. Die Pressefreiheit gehe in diesem Fall vor, entschied der 1. Zivilsenat des BGH am Donnerstag.

1988 hatte der langjährige Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Die Grünen) einen Text für den Sammelband "Der pädosexuelle Komplex" geschrieben. Darin hielt er die "Entkriminalisierung von Pädosexualität" (also von Sex mit Kindern) für "dringend erforderlich".

Von dem Text hat sich Beck seit 1993 distanziert. Im Jahr 2013 tauchte das Originalmanuskript in einem Archiv auf. Nachdem der Spiegel davon Kenntnis erlangte, konfrontierte er Beck mit dem Manuskript und informierte ihn über eine geplante Berichterstattung in dieser Sache. Beck ging daraufhin in die Gegenoffensive: Er veröffentlichte auf seiner eigenen Homepage das Schriftstück selbst. Auf jeder der Seiten versah er die Ausfertigung aber mit der Anmerkung: "Ich distanziere mich von diesem Beitrag." Einer anderen Art der Veröffentlichung stimme er nicht zu. 

Der Spiegel kam in seinem kritischen Beitrag zu der Einschätzung, dass es so gut wie keine Unterschiede zwischen den Versionen gebe. Die Journalisten stellten sodann beide Fassungen in voller Länge online - ohne Becks Einverständnis. Dabei fehlte der von Beck quer über jede Seite angebrachte Hinweis "Ich distanziere mich von diesem Beitrag."

Beim LG und Kammergericht in Berlin hatte Beck mit seiner Klage auf Unterlassung und Schadensersatz Erfolg. Der EuGH gab dem BGH 2017 aber klare Hinweise  für die Schrankenregelungen des § 50 und § 51 UrhG mit auf den Weg. 

Journalisten durften in selbst gewählter Form berichten

So entschieden die Karlsruher Richter am Donnerstag: Der Spiegel durfte in der selbst gewählten Form berichten. Die Ereignisse um den damals erneut für den Bundestag kandidierenden Kläger seien von aktuellem öffentlichen Interesse gewesen. Entscheidend war für die Richter, dass die Journalisten Becks Sinneswandel nicht verschwiegen, sondern ebenfalls in ihrer Veröffentlichung thematisiert hätten. Seinen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen sei damit hinreichend Rechnung getragen worden.

Beck reagierte erstaunt auf das Urteil. Gegenüber LTO sagte er: "Eine Abwägung, ob das legitime Informationsbedürfnis auch auf anderem Wege unter Wahrung oder Schonung der Rechte des Klägers gewahrt werden könnten, und welche Bedeutung die beliebig durch Dritte weiterverbreitete Veröffentlichungsform durch die Beklagte als PDF hat, spielt für das Gericht keine Rolle."

Rechtsanwalt Dr. Martin Gerecke von der Kanzlei CMS sagte am Donnerstag zu LTO: "Die Entscheidung ist richtig. Der BGH nimmt den Ball des EuGH auf, der in seinem Urteil vom vergangenen Jahr schon darauf hinwies, dass der freien Berichterstattung der Presse im Rahmen politischer Diskussionen von allgemeinem öffentlichem Interesse besonderes Gewicht zukommt. Der auf Gewerblichen Rechtsschutz und Medienrecht spezialisierte Jurist sagte weiter: "Eine wirtschaftliche Verwertung des Manuskripts scheidet aus und seinem Interesse, das Werk nur in der von ihm bestimmten Form veröffentlicht zu sehen – also mit Distanzierungsvermerk –, hatte der Spiegel durch differenzierte Berichterstattung hinreichend genüge getan."

Auch zu dieser Entscheidung wird der vollständige Entscheidungstext erst in einigen Wochen veröffentlicht.
 

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Sampling, Afghanistan-Papiere, Beck: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41480 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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