Ob dieses Urteil vor dem EGMR Bestand haben wird? Ein Ausländer bekommt nach einem Urteil des BGH keine Entschädigung vom Land, wenn er statt in einer besonderen Hafteinrichtung in einer JVA untergebracht wurde.
Abschiebehäftlinge dürfen nicht zusammen mit gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht werden. So hat es einst der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. Urt. v. 17.07.2014, Az. C-473/13, C-514/13, C-474/1) entschieden. Und wenn sie doch in einer Haftanstalt untergebracht werden? Dann begründet dieser Verstoß gegen das Trennungsgebot jedenfalls keinen Anspruch auf Haftentschädigung gegen das Land, urteilte am Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 18.04.2019, Az. III ZR 67/18).
Zugrunde liegt der Entscheidung der Fall eines Mannes aus Afghanistan, der im Oktober 2013 mit Frau und Tochter in Deutschland ankam. Er hatte bereits in der Slowakei einen Asylantrag gestellt, wollte allerdings in Deutschland bleiben. Wer was in der Folge anordnete, ist nun wichtig:
Die Bundespolizei verfügte die Zurückschiebung in die Slowakei und beantragte auch die Haft zur Sicherung der Rückschiebung. Das Amtsgericht Passau und später das Amtsgericht München ordneten die Haft an. Der Mann wurde für vier Wochen in einer Abteilung für Abschiebehäftlinge innerhalb der Justizvollzugsanstalt (JVA) München-Stadelheim untergebracht, da Bayern über keine spezielle Abschiebehaftanstalt verfügte. Dann setze das Landgericht (LG) München I die Haft zunächst unter Auflagen aus und hob später unter Erklärung der Rechtswidrigkeit derselben die Haftanordnung auf. Es habe keine Hinweise gegeben, dass sich der Afghane einer Rückführung entziehen wollte, so das LG.
Nachdem sein Eilantrag gegen die Rückführung gescheitert war, begab sich der Afghane in ein Kirchenasyl und wartete dort den Ablauf der sechsmonatigen Frist ab, nach der Deutschland zur Übernahme des Asylverfahrens verpflichtet war. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erkannte ihn daraufhin als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention an. Der Mann lebt heute in Deutschland.
Das Land Bayern und den Bund hat der Afghane in der Folge auf Haftentschädigung verklagt, je 100 Euro pro Hafttag, insgesamt 2.700 Euro. Das Oberlandesgericht ging davon aus, es sei an die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gebunden und gewährte dem Mann 810 Euro, also 30 Euro pro Tag, Entschädigung vom Land. Beide Seiten legten Revision ein.
BGH: Prognosen haben Bewertungsspielräume
Vor dem BGH ist der Afghane nun auf ganzer Linie gescheitert: Der u.a. für das Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Doch dabei bleib es nicht: Auf die Revision des Landes Bayern hat der BGH auch die früheren Entscheidungen von LG und OLG abgeändert und die Klage des Afghanen damit insgesamt abgewiesen. Aus Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der für jeden Menschen das Recht auf Freiheit und in Absatz fünf einen Entschädigungsanspruch bei Verstoß regelt, ergebe sich für den Mann kein Anspruch auf Haftentschädigung.
Zwar müsse die richterliche Haftanordnung zwar auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden, erklärten die Karlsruher Richter. Zudem liege ein objektiver Konventionsverstoß auch nicht erst dann vor, wenn die Entscheidung des Haftrichters unvertretbar war, wie es bei der Amtshaftung gefordert wird, § 839 BGB, Art. 103 GG. Jedoch könne der Richter im Entschädigungsprozess für die Bewertung der sachlichen Unrichtigkeit die Prognose des Haftrichters einfach durch seine eigene ersetzen.
"Das gehe nicht an", erklärten die Karlsruher Richter. Es liege in der Natur der Sache, dass es "nicht nur eine einzige richtige Entscheidung gibt und alle anderen Bewertungen rechtswidrig sind". Im Rahmen der Prognosen, denen Bewertungsspielräume eigen seien, könne auch eine andere Würdigung nachvollziehbar, tragfähig und insoweit im Rahmen des Art. 5 EMRK rechtmäßig sein.
So seien die AG davon ausgegangen, dass die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung verhältnismäßig war - und diese Prognose sei auch nicht zu beanstanden.
Es geht um die Freiheit, nicht ihre Modalitäten
Auch aus dem Verstoß gegen das Trennungsgebot von Straf- und Abschiebehaft ergebe sich kein Schadenersatzanspruch, so der BGH. Denn Art. 5 Abs. 5 EMRK betreffe nur die Freiheitsentziehung als solche, nicht den Vollzug oder die sonstigen Modalitäten. Aus der Norm folgten daher auch keine Rechte der Inhaftierten auf ihre Behandlung in der Haft.
Auch gegen den Bund habe sich in diesem Fall kein Anspruch ergeben können. Wie die Instanzgerichte zuvor ging der BGH davon aus, dass dieser nicht passiv legitimiert, also nicht der richtige Klagegegner gewesen sei. Denn nicht der Bund habe die Haftentscheidung getroffen, sondern die Amtsgerichte Passau und München. Anspruchsgegner sei aber der Hoheitsträger, dessen Hoheitsgewalt ausgeübt worden sei – hier also des Landes Bayern, in dessen Dienst die Richter stehen, Art. 104 Abs. 2 GG. Zuständigkeiten für den Haftantrag oder den Vollzug hätten dabei keine Auswirkungen.
Auch dass das LG München I als Vorinstanz bereits die Rechtswidrigkeit der Haft festgestellt hatte, war für diese Entscheidung unerheblich. Denn das OLG sei daran nicht gebunden gewesen, so der BGH. Zwar gebe es eine solche Bindungswirkung bei Amtshaftungsprozessen und diese Grundsätze gölten auch für einen Haftentschädigungsanspruch nach der EMRK. Diese Wirkung könne sich aber nur auf die tatsächlich am Verwaltungsverfahren Beteiligten beziehen – in diesem Fall also den Afghanen und die Bundespolizei, also eine Behörde der Bundesrepublik. Das Land Bayern war in dem damaligen Verfahren nicht involviert und habe kein rechtliches Gehör erhalten, Art. 103 Abs. 1 GG. Damit könne der Afghane gegen das Land erst gar keinen Anspruch auf Entschädigung geltend machen.
BGH zum Schadensersatz nach Abschiebehaft: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34991 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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