Access-Provider stellen den Zugang zum gesamten Internet her – und damit auch zu Seiten, die die Rechte Dritter verletzen. Grundsätzlich können sie dafür haftbar gemacht werden, doch der BGH stellt hohe Anforderungen. Von Stefan Sander.
Der I Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) hat mit zwei Urteilen vom heutigen Tag (Urt. v. 26.11.2015 – I ZR 3/14, 174/14) seine grundsätzliche, auch vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bestätigte Linie zur Störerhaftung von Access-Providern fortgeführt. Danach ist es im Grundsatz möglich, Internetanbieter dafür in Anspruch zu nehmen, dass diese ihren Kunden Zugang zu Seiten mit rechtsverletzenden Inhalten gewähren. Die Voraussetzungen, unter denen dies im Einzelnen zulässig ist, hat der BGH nun präzisiert.
In dem Verfahren I ZR 3/14 nahm die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) Deutschlands größtes Telekommunikationsunternehmen auf Unterlassung in Anspruch. Im Verfahren I ZR 174/14 verfolgten Tonträgerhersteller gegen eine andere Betreiberin eines Telekommunikationsnetzes dasselbe Begehren. Der Vorwurf in beiden Fällen: Die Beklagten erbrächten Telekommunikationsdienstleistungen (Betreiben der Infrastruktur des "Internet") und leisteten damit einen Beitrag zu den mittels ihrer Systeme begangenen Urheberrechtsverletzungen (Stichwort: Filesharing). Beide Kläger waren in sämtlichen Vorinstanzen unterlegen, und hatten auch vor dem BGH keinen Erfolg.
"Netzsperren" bereits vor einigen Jahren kontrovers diskutiert
Das Ansinnen der Kläger lief letztlich darauf hinaus, dass Internetprovider Sperren errichten müssten, um ihren Kunden den Zugriff auf Webseiten mit illegalen Inhalten zu sperren. Dieser Gedanke hatte, allerdings in etwas anderem Kontext, bereits vor einigen Jahren Bedeutung erlangt: Unter dem Stichwort "Netzsperren" wurde seinerzeit das "Zugangserschwerungsgesetz" diskutiert und verabschiedet. Seine Geschichte war allerdings kurz und wenig spektakulär: Es wurde am 23.2.2010 trat es in Kraft, am 29.12.2011 wieder außer Kraft, und wurde zwischenzeitlich kein einziges Mal angewendet, da das insoweit zuständige Bundeskriminalamt keine Listen mit zu sperrenden Seiten erlassen hatte.
Die aktuellen Entscheidungen des BGH hatten die gesetzgeberischen Wertentscheidungen zu berücksichtigen, die den §§ 7 ff Telemediengesetz (TMG), insb. § 8 TMG, sowie den im Hintergrund stehenden Europäischen Richtlinien zugrunde liegen. § 7 Abs. 2 S. 1 TMG bestimmt, dass "Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 nicht verpflichtet sind, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen." Anforderungen, die auf Seiten des Internetproviders zu einer aktiven Überwachungspflicht führen würden, verneint das Gesetz damit im Grundsatz. Sodann heißt es jedoch in S. 2 der Vorschrift: "Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen bleiben auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 unberührt." Dies ist das Einfallstor für die Geltendmachung von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen auch gegen Access-Provider.
Störerhaftung gegenüber Internetprovidern grundsätzlich möglich
Wie allgemein bekannt, haftet im deutschen Recht derjenige als Störer bei der Verletzung absoluter Rechte (etwa des Urheberrechts oder eines Leistungsschutzrechts) auf Unterlassung, der - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt, sofern er zumutbare Prüfpflichten verletzt hat. In dem Erbringen von Telekommunikationsdienstleistungen liegt, so der BGH, eindeutig ein adäquat-kausaler Beitrag zur Rechtsverletzung. Denn nicht zuletzt muss das deutsche Recht vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG richtlinienkonform ausgelegt werden und deshalb eine Möglichkeit vorsehen, gegen Vermittler von Internetzugängen Sperranordnungen zu verhängen. Mit Blick auf eben jene Vorschrift hatte zudem der EuGH bereits vergangenes Jahr entschieden, dass Internetprovider gerichtlich verpflichtet werden können, gegenüber ihren Kunden den Zugang zu einzelnen Webseiten mit urheberrechtsverletzenden Inhalten zu sperren (Urt. v. 27.03.2014, Az. C-314/12).
Die Entscheidungen des BGH präzisieren nun, wo und wie die Haftung des Providers zwischen dem Haftungsprivileg des § 8 TMG einerseits und dem Rechtsschutzgebot gegenüber den in ihren Rechten Verletzten andererseits angesiedelt werden kann. Die sich stellende Frage lautet also, welche Prüfungspflichten sind dem Access-Provider zumutbar, die unterhalb der Schwelle zu den aktiven Überwachungspflichten liegen? Nicht erforderlich ist zunächst, dass auf der fraglichen Seite, zu der der Zugang gesperrt werden soll, ausschließlich rechtsverletzende Inhalte angeboten werden; eine Sperrpflicht kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn nach dem Gesamtverhältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen.
BGH zur Haftung von Access-Providern: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17680 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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