Führt der Datenschutzverstoß eines marktmächtigen Unternehmens auch zu einem Kartellrechtsverstoß? Das muss der BGH bald klären. Max Baumgart und Felix Berger erläutern vorab, was die Wettbewerbshüter plötzlich mit der DSGVO zu tun haben.
Was hat das Bundeskartellamt (BKartA) mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) am Hut? Eine berechtigte und nicht weniger spannende Frage, die am Dienstag vor dem Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt wird.
Was war passiert? Facebook verlangt von privaten Nutzern keine Bezahlung für die Nutzung seines sozialen Netzwerks – zumindest nicht in Geld. Allerdings müssen sie bei der Registrierung Nutzungsbedingungen akzeptieren, in denen das Unternehmen unter anderem die Einwilligung in weitreichende Datenerhebungs- und Verarbeitungsvorgänge verlangt. Dabei geht es zum Beispiel um personen- und gerätebezogene Daten, die bei der Nutzung des sozialen Netzwerks selbst erhoben werden. Außerdem erfasst Facebook Nutzerdaten über andere Dienste des Facebook-Konzerns wie beispielsweise Instagram sowie Daten auf fremden Webseiten mittels unternehmenseigener Analyse-Tools. Aus all diesen gesammelten Daten darf Facebook laut den Nutzungsbedingungen anschließend ein Nutzerprofil erstellen.
Der Haken: Teilweise benötigt Facebook die Daten, um den Betrieb des sozialen Netzwerks selbst gewährleisten zu können. Allerdings verwendet das Unternehmen die Nutzerdaten auch, um Werbeplätze auf Facebook vermarkten zu können. Hierdurch finanziert es letztlich den für private Nutzer, zumindest finanziell betrachtet, kostenfreien Dienst.
Nach Ansicht des BKartA verstößt Facebook damit zumindest teilweise gegen die DSGVO. Die Einwilligung der Nutzer in die Datenverarbeitung weise nämlich nicht die nach Art. 6 Abs. 1 UA 1 lit. a) DSGVO notwendige Freiwilligkeit auf: Wer Facebook nutzen will, muss seine Daten entsprechend den Nutzungsbedingungen freigeben – oder eben auf das größte soziale Netzwerk weltweit verzichten.
Außerdem, so das BKartA, sei die Datenerhebung auch nur in begrenztem Umfang für die Vertragsdurchführung erforderlich (Art. 6 Abs. 1 UA 1 lit. b) DSGVO). Die Datenverarbeitung, die über das zur Vertragsdurchführung erforderliche Maß hinausgehe, sei deshalb datenschutzrechtswidrig. Bereits über diese Bewertung ließe sich intensiv diskutieren, das ist aber am Dienstag vor dem BGH nicht die kartellrechtliche Kernfrage.
Die nämlich – einen Datenrechtsverstoß unterstellt – lautet: Verstößt ein marktmächtiges Unternehmen, welches (datenschutz-)rechtswidrige Konditionen zur Vertragsgrundlage macht, dadurch auch gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot aus § 19 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)? Anders ausgedrückt: Nutzt Facebook seine marktbeherrschende Stellung aus, indem es sich durch die Nutzungsbedingungen den so weitreichenden Zugriff auf die Nutzerdaten gewähren lässt?
BKartA: Kein durch Marktbeherrschung ermöglichtes Verhalten notwendig
Mit Beschluss vom 6. Februar 2019 (Az. B6-22/16) hat das BKartA darauf seine eindeutige Antwort gegeben. Es stellte zunächst fest, dass Facebook auf dem nationalen Markt für private soziale Netzwerke marktbeherrschend und somit Adressat des § 19 GWB sei.
Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 06.11.2013, Az. KZR 61/11, "VBL-Gegenwert") erarbeitet das BKartA sodann die Annahme, dass der Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen Ausfluss von Marktmacht sei – und damit auch ein kartellrechtswidriger Ausbeutungsmissbrauch.
Hinter dieser Feststellung verbirgt sich unter anderem die juristisch umstrittene Frage danach, ob man einen strengen oder weiter gefassten Maßstab für die Kausalität bei § 19 GWB anlegt. Das Kartellamt meint nämlich, dass es gerade nicht Voraussetzung sei, dass Facebook die Verwendung der Nutzungsbedingungen im Sinne sogenannter strenger Kausalität gerade nur aufgrund seiner Marktmacht möglich sein dürfe. Strenge Kausalität sei zwar hinreichende Bedingung für einen Kartellrechtsverstoß. Notwendig sei aber nur der weniger strenge Maßstab der sogenannten Ergebniskausalität. Nach dieser muss allein die wettbewerbsschädliche Wirkung wegen der Marktmacht des Verwenders eintreten. Letzteres sei bei Facebook der Fall, denn die Einschränkung der Selbstbestimmung der Nutzer sei maßgeblich an die Marktmacht Facebooks gekoppelt. Wer sich online mit anderen vernetzen will, der kommt um Facebook nicht herum, findet jedenfalls das BKartA.
Darüber hinaus stört die Wettbewerbshüter aber noch ein anderer Aspekt: Facebook behindere mit seiner weitreichenden Datensammlung auch seine Wettbewerber unbillig. Neben den Ausbeutungsmissbrauch gegenüber den privaten Nutzern trete auch noch ein Behinderungsmissbrauch gegenüber anderen Anbietern sozialer Netzwerke. Die Menge der erhobenen Daten sei bei werbefinanzierten Geschäftsmodellen im Internet nämlich derart eng mit dem Erfolg eines Unternehmens verbunden, dass Facebooks unbillige übermäßige Datenmacht es potenziellen Wettbewerbern erheblich erschwere, in dem gleichen Markt erfolgreich zu sein.
Auf der Grundlage dieser Erwägungen erließ das BKartA die Abstellungsverfügung, gegen die sich Facebook nun wehrt. Die Wettbewerbshüter untersagtem dem sozialen Netzwerk nämlich, die betreffenden Teile der Nutzungsbedingungen weiter zu verwenden.
OLG Düsseldorf: BKartA zu weitreichend – nun klärt der BGH
Gegen die Verfügung legte Facebook Beschwerde zum Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) ein. Die Entscheidung in der Hauptsache steht zwar noch aus. Das OLG hegt jedoch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abstellungsverfügung. Es ordnete deshalb einstweilig die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an, sodass die Abstellungsverfügung vorerst nicht vollziehbar ist (Beschl.v. 26.08.2019, Az. VI-Kart 1/19 (V)).
Das OLG ist der Ansicht, dass das BKartA aus der VBL-Gegenwert Rechtsprechung falsche Schlüsse zieht. Eine strenge Kausalität, so die Düsseldorfer Richter, sei notwendig und nicht bloß hinreichend, um von außerkartellrechtlichen Rechtsverstößen auf einen kartellrechtswidrigen Ausbeutungsmissbrauch schließen zu können. Marktbeherrschung werde wettbewerblich erst problematisch, wenn der Marktbeherrscher sich gerade aufgrund dieser herausgehobenen Stellung unabhängig von Wettbewerbern verhalte und dadurch den wirksamen Wettbewerb störe. Nicht jedes rechtswidrige Verhalten bei Marktbeherrschung führe somitauch zu einem Kartellrechtsverstoß. Erst die strenge Kausalität könne diese erforderliche Verbindung zu den kartellrechtlichen Wertungen herstellen. Reine Ergebniskausalität reiche zwar in manchen Fallgruppen des § 19 Abs. 1 GWB aus. Dabei handle es sich aber um Fälle des anders gelagerten Behinderungsmissbrauchs.
Die OLG-Richter sprechen sich also für den strengen Maßstab aus – und eine streng kausale Verknüpfung fehlt ihrer Auffassung nach im Facebook-Fall. Ihr Argument: Die Nutzer registrierten sich bei Facebook aus freien Stücken. Die Einwilligung in die Datenverarbeitung sei das Ergebnis einer selbstbestimmten Abwägung der privaten Nutzer und erfolge nicht aufgrund der alternativlosen Ausbeutung einer Zwangssituation aufgrund von Facebooks Marktmacht.
Weiterhin moniert das OLG, dass das BKartA den ebenfalls angenommenen Behinderungsmissbrauch gegenüber seinen Wettbewerbern nicht schlüssig dargelegt habe. Große Datenmengen seien nicht alleinige Voraussetzungen für den Erfolg eines sozialen Netzwerkes. Wichtiger sei es, in kurzer Zeit eine ausreichend große Nutzerbasis aufzubauen.
Das BMWi hat schon reagiert
Unabhängig von der nun vor dem BGH anstehenden Verhandlung griff das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) die Erwägungen des OLG bereits auf. Ein Referentenentwurf zur anstehenden 10. GWB-Novelle sieht eine nur auf den ersten Blick marginale Wortlautänderung im § 19 Abs. 1 GWB vor. Nach seiner Begründung – die ausdrücklich auf den Beschluss des OLG Bezug nimmt – soll diese Umstellung klarstellen (!), dass bereits nach der aktuellen Rechtslage eine strenge Kausalität in keinem Fall des § 19 GWB notwendig sei.
Der Referentenentwurf ist allerdings noch nicht verbindliches Gesetz und kann bis zur endgültigen Verabschiedung durch das Parlament noch Änderungen unterliegen. Der BGH dürfte sich hierdurch in seiner Entscheidung also nicht ausschlaggebend beeinflussen lassen.
Wie der BGH entscheidet, ist völlig offen
Die Ausgangsfrage des Facebook-Verfahrens klingt verhältnismäßig unkompliziert. Bei näherer Betrachtung erweist sie sich aber als vielschichtig. Auf der Tatsachenebene tritt hinzu, dass nur schwer zu bewerten ist, ob Datenerhebung und -verarbeitung angemessen sind. Welchen Wert die preisgegebenen Nutzerdaten haben und ob es sich um einen fairen Austausch für die im Gegenzug zugänglichen Dienste handelt, ist mit herkömmlichen Methoden kaum messbar.
Wie der BGH über die Rechtsbeschwerde des BKartA entscheiden wird, ist daher kaum zu prognostizieren. Zu vielzählig sind die zu behandelnden Probleme, von denen letztlich jedes einzelne den Ausgang des Verfahrens verändern kann. Feststehen dürfte, dass der BGH im Rahmen des Facebook-Falls eine ganze Reihe interessanter Fragestellungen beantworten müssen wird. Für die Praxis sowie für den rechtswissenschaftlichen und politischen Diskurs wird die Entscheidung des Gerichts von hoher Relevanz sein, ganz gleich wie das Ergebnis letztlich ausfällt.
Die Autoren Dr. Max Baumgart und Felix Berger, LL.B. sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Kartell- und Regulierungsrecht, Recht der digitalen Wirtschaft sowie am Institut für Energiewirtschaftsrecht (EWIR) der Universität zu Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M (Berkeley).
BGH verhandelt zu Facebook: . In: Legal Tribune Online, 22.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41966 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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