Wie weit reicht die Haftung von Google, wenn Suchergebnisse Persönlichkeitsrechte verletzen? Am Dienstag könnte der BGH das definieren. Niko Härting erwartet eine Vorlage an den EuGH – damit der endlich seinen Job macht.
Seit der Google-Spain-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 13.05.2014, Az. C-131/12) gibt es in Europa ein sog. Recht auf Vergessen. Google und die Betreiber anderer Suchmaschinen müssen Suchergebnisse seit diesem Urteil des EuGH vielfach löschen, wenn sich ein europäischer Bürger durch diese Ergebnisse in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt fühlt.
Das Recht auf Vergessen ist beschränkt auf die Namenssuche. Stört sich Otto Normalnutzer an bestimmten Suchergebnissen, kann er verlangen, dass diese, wenn ein anderer User in der Suchmaschine nach "Otto Normalnutzer" sucht, nicht mehr angezeigt werden. Nicht verhindern kann Otto Normalnutzer jedoch, dass dieselben Suchergebnisse angezeigt werden, wenn der User andere Suchbegriffe wählt. Zudem lässt sich aus dem sog. Recht auf Vergessen auch kein Recht darauf ableiten, dass die Inhalte, an denen sich der Bürger stört, gelöscht werden. Sie werden bloß nicht mehr angezeigt.
Wie weit das "Recht auf Vergessen" reicht, ist in vielfacher Hinsicht unklar. Am Dienstag hat erstmals der Bundesgerichtshof (BGH) die Gelegenheit, sich dazu zu äußern (VI ZR 489/16 - Google). Ob der VI. Zivilsenat von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch machen oder den Fall an den EuGH weiterreichen wird, bleibt abzuwarten.
Wahr oder unwahr – wenn die Fakten fehlen
In dem Verkündungstermin wird es um die Revision gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Köln gehen. In seinem Urteil (v. 13.10.2016, Az.15 U 173/15) hatte das Kölner Gericht die Grundsätze der Störerhaftung auf das sog. Recht auf Vergessen angewandt und den Standpunkt vertreten, Google sei nur dann zur Löschung von Suchergebnissen verpflichtet, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich sei.
Das Kölner Urteil ist äußerst sorgfältig begründet. Man merkt der Entscheidung an, dass das Gericht der schwierigen Situation gerecht werden wollte, in der sich Google bei der Bearbeitung Zehntausender Löschersuchen befindet. Oft richten sich die Löschanträge gegen Berichte über eine extremistische oder kriminelle Vergangenheit.
Ob solche Beiträge wahr oder unwahr sind, ist für Google nicht ersichtlich. Bei der notwendigen Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten auf der einer und der freien Kommunikation auf der anderen Seite fehlt es den Betreibern der Suchmaschinen zudem an Informationen, die eine solide Abwägung ermöglichen würden. Findet man bei einer Namenssuche Fakten über eine frühere Mitgliedschaft in der NPD, so kommt es entscheidend darauf an, welche Aktivitäten der Bürger heute entfaltet. Die Abwägung wird bei einem heutigen Abgeordneten der AfD anders ausfallen als bei einem Geschäftsmann, der politisch nicht in Erscheinung tritt. Google kann das nur schwer beurteilen.
Ist Google Täter oder Störer?
Dass Google nur dann zur Löschung verpflichtet sein soll, wenn der Rechtsverstoß offensichtlich ist, ist eine Entscheidung, die die freie Netzkommunikation stärkt und den Schwierigkeiten angemessen Rechnung trägt, die Google bei der Beurteilung hat. Freunde der freien Meinung und Information dürfen daher hoffen, dass das Kölner Urteil vom BGH bestätigt wird.
Auch dann bleibt indes abzuwarten, ob Deutschlands höchste Zivilrichter die Einkleidung in die Grundsätze der Störerhaftung übernehmen, die das Kölner OLG vorgenommen hat. Diese Einkleidung ist schwer damit zu vereinbaren, dass der EuGH Google datenschutzrechtlich als "verantwortliche Stelle" für die Suchergebnisse angesehen hat. Für die Richter in Luxemburg war Google Täter und nicht nur Störer. Die verästelte Argumentation des OLG Köln zur Störerhaftung könnte sich schon im Ausgangspunkt als verfehlt erweisen.
Möglicherweise wird dem BGH nichts anderes übrig bleiben als eine Vorlage an den EuGH. Der Gerichtshof hätte auf diese Weise die Möglichkeit, eine der zahlreichen Fragen zu beantworten, die er im Urteil Google Spain offen gelassen hat. Und vielleicht würde Gerichtshof dann auch endlich die Gelegenheit nutzen, die in Art. 11 der EU-Grundrechtecharta garantierte Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit mit Leben zu erfüllen und zum Hüter der freien Netzkommunikation in Europa zu werden.
Der Autor Prof. Niko Härting ist Rechtsanwalt und Partner bei Härting Rechtsanwälte in Berlin. Er ist außerdem Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin). Seine Schwerpunkte liegen im Internet-, Datenschutz- und Fernabsatzrecht.
Niko Härting, BGH entscheidet am Dienstag: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27209 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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